Der EU werden Tech-Giganten wie Apple, Amazon, Google und Meta, sogenannte "Gatekeeper", zu mächtig. Nun will man Konzernen, die bei digitalen Dienstleistungen auf mehr als 45 Millionen Nutzende kommen, Grenzen setzen und monopolartige Strukturen aufbrechen. Ab einem Firmenwert von mehr als 75 Milliarden US-Dollar, oder bei Umsätzen von mehr als 7,5 Milliarden Euro aus Geschäften innerhalb der EU, gelten gemäß des neuen Gesetzes deutlich strengere Regeln. Das betrifft zum Beispiel die Bevorzugung eigener Produkte und Dienste vor Alternativen der Konkurrenz oder eine Beschränkung auf eigene Marktplätze, wie beispielsweise bei Apples App Store.
Ebenfalls Teil des DMA ist eine sogenannte Interoperabilität zwischen unterschiedlichen Messengern der großen Anbieter. Das heißt: Whatsapp, iMessage und der Facebook-Messenger müssen es ermöglichen, Nutzer:innen anderer Plattformen auf direktem Wege zu erreichen – nach einer Gnadenfrist von vier Jahren soll das sogar für Gruppenchats gelten. Die Absicht hinter der Forderung nach Zusammenarbeit ist klar: Derart mächtige Plattformen wie Whatsapp will man in der EU nicht, bei keinem Dienst sollen sich Menschen durch eine bloße Mehrheit zur Nutzung gezwungen fühlen. Allerdings: Das Gesetz gilt nicht für Anbieter wie Signal, Threema oder Telegram. Bei den kleineren Plattformen will man es den Betreibern überlassen, ob sie sich für die Konkurrenz öffnen wollen.
Bei Verstößen sind empfindliche Strafen vorgesehen, sollte sich ein Gatekeeper-Konzern weigern, die neuen Regeln zu akzeptieren. Genannt werden Strafzahlungen in Höhe von bis zu zehn Prozent des weltweiten Jahresumsatzes, bei wiederholten Verstößen sogar 20. Im Juli muss das Europäische Parlament den Digital Markets Act in seiner finalen Form noch bestätigen, dafür ist eine letzte Abstimmung vorgesehen. Mit einem Inkrafttreten wäre dann 2023 zu rechnen.
"Entscheidender Schlag gegen Whatsapp"
Sollte der DMA in seiner aktuellen Form in Kraft treten, würde das einen enormen Umbruch der Tech-Branche bedeuten. Von Patrick Breyer (Piratenpartei) heißt es dazu: "Unser Sieg bei der Interoperabilität ist ein entscheidender Schlag gegen die Abhängigkeit von dem datenhungrigen und verbraucherfeindlichen Whatsapp. Zum ersten Mal können Nutzer:innen zu datenschutzfreundlichen alternativen Messengern wechseln und trotzdem mit ihren Kontakten, die weiterhin Whatsapp nutzen, in Kontakt bleiben. Sichere Interoperabilität mit höchstem Datenschutz und Ende-zu-Ende-Verschlüsselung, echte Wahlmöglichkeiten für die Verbraucher:innen und Wettbewerb werden hoffentlich zur Normalität für Messenger und später auch einmal für soziale Netzwerke werden." Auch der Abgeordnete Rasmus Andresen (Grüne) freut sich: "Die EU schreibt mit dem Digital Marktes Act Geschichte. Die Marktmacht [...] kann gebrochen werden." Die Interoperabilität von Kurznachrichten-Apps bezeichnet er als "das beste" am Gesetz über digitale Märkte.

Bei aller Euphorie der Entscheider gibt es unter Experten große Zweifel an der Sinnhaftigkeit der Maßnahmen. Mehr noch: Durch eine Öffnung der Messengerplattformen laufe man nach deren Einschätzung sogar Gefahr, die Ende-zu-Ende-Verschlüsselung aufzubrechen. Das Senden und Empfangen von Nachrichten wäre so anfälliger für Angriffe. Auf Anfrage des stern erklärte Ann Cathrin Riedel, Vorsitzende des Vereins für liberale Netzpolitik "LOAD": "Wir als LOAD sind prinzipiell ein großer Befürworter von Interoperabilität. Im Falle von Messengern lehnen wir sie jedoch ab. Unser wichtigster Grund: Die verschlüsselte Kommunikation wird dadurch geschwächt. Denn nutzen zwei Messenger unterschiedliche Arten, um zu verschlüsseln, braucht es eine technische Brücke, die übersetzt – sowas ist immer eine Schwachstelle."
"Ein unüberlegter Schnellschuss"
Auch was die Entwicklung neuer und vielleicht besserer Messenger angeht, macht Ann Cathrin Riedel sich Sorgen. "Außerdem sehen wir ein Hemmnis für neue Messenger. Wie sollen künftig Geschäftsmodelle auf Messenger (wie z.B. Threema) aufgebaut werden, wenn ich niemanden davon überzeugen kann, die Messenger-App zu erwerben? Dadurch erhöht sich nur die Wahrscheinlichkeit, dass Menschen bei datenschutztechnisch problematischen Messengern wie Whatsapp bleiben oder Telegram weiter nutzen, der nichts gegen rechtswidrige Inhalte unternimmt." Insgesamt, so Riedel, sei der DMA "ein unüberlegter Schnellschuss."
Die Konzerne sehen das Vorhaben der EU kritisch: Apple positionierte sich sehr klar und wies darauf hin, dass eine Öffnung der Plattformen große Sicherheitsrisiken berge. Meta, als Betreiber des Facebook Messengers und Whatsapp, ließ dem stern ausrichten: "Meta kommentiert den DMA aktuell nicht."
Es muss nicht Whatsapp sein: Das sind fünf sichere Messenger-Alternativen

Der Messenger Signal ist nicht nur für viele Kunden die Alternative zu Whatsapp – sondern auch für einen der Gründer. Jahre nachdem er mit dem Verkauf von Whatsapp Milliarden verdient hatte, verließ Brian Acton Facebook, vermutlich im Streit um die Sicherheit des Messengers. Danach steckte er Millionen in Signal. Dort wird Privatsphäre groß geschrieben: Der Betreiber kann die Chats nicht mitlesen, selbst die zur Suche nach anderen Nutzern hochgeladenen Telefon-Bücher werden vorher verschlüsselt und in einer für die Firma nicht verwertbaren Form („Hash“) miteinander verglichen. Die für Desktop, Android und iOS verfügbare App ist kostenlos.
Eine positive Reaktion folgte von Seiten der Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv). Jutta Gurkmann, Vorständin des vzbv, erklärt: "Große Digitalkonzerne wie Google, Apple oder Amazon kontrollieren den Zugang zu Märkten und digitalen Ökosystemen. Die europäische Einigung zur Regulierung der Digitalmärkte (DMA) wird diesen Gatekeepern verschiedene Praktiken untersagen, mit denen sie bisher ihre Marktstellung ausnutzen konnten. Wir werden genau beobachten, ob sich die Digitalunternehmen an die neuen Regelungen halten."
Quellen: Europäische Kommission, Twitter [1], Patrick Beyer