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Überlastetes Gesundheitssystem Verzweifelte Hilferufe im Netz: Inder suchen über Social Media nach Sauerstoff und Medikamenten

Mann liegt mit mit Sauerstoffmaske in einem Auto
Dramatische Lage in Indien: Sauerstoff ist während der zweiten Welle in dem südasiatischen Land kaum noch zu bekommen
© Altaf Qadri/AP / DPA
Indien leidet schwer unter der Covid-19-Pandemie, die Zustände sind dramatisch. In den sozialen Netzwerken versuchen die Bürger:innen verzweifelt, sich selbst Sauerstoff und Krankenhausbetten zu organisieren. Das funktioniert zumindest teilweise.

Seit mehr als einem Jahr wütet das Coronavirus rund um die Welt, doch in kaum einem Land war die Lage so dramatisch wie aktuell in Indien. Seit Pandemiebeginn wurden dort 20 Millionen Corona-Fälle erfasst, Expert:innen gehen davon aus, dass die tatsächliche Zahl der Betroffenen deutlich über den offiziellen Zahlen liegt. Am Samstag meldete Indien als erstes Land auf der Welt mehr als 400.000 Neuinfektionen binnen 24 Stunden. Kliniken und Krematorien sind völlig überlastet, Erkrankte können oft nicht versorgt werden.

Die Verzweiflung unter den 1,3 Milliarden Einwohner:innen ist groß. Für viele ist es nicht möglich, die notwendige medizinische Versorgung zu erhalten, Sauerstoff und Medikamente sind nur schwer zu bekommen. Da in vielen Krankenhäusern keine Betten mehr frei sind, sterben die Menschen teilweise buchstäblich auf der Straße. Die letzte Hoffnung für viele Betroffene ist, über Social Media an Hilfe zu gelangen.

Covid-19 in Indien: Hilferufe verbreiten sich "wie ein Lauffeuer"

Das soziale Netz spielt in der indischen Gesellschaft seit jeher eine große Rolle, benötigte Güter werden oft über Kontakte organisiert. In der aktuellen Krise sind es die sozialen Netzwerke im Internet, in denen die Inder:innen versuchen, sich gegenseitig zu unterstützen. Auf Facebook und Twitter häufen sich die Hilferufe der Angehörigen von Erkrankten, sie suchen nach Sauerstoff, Medikamenten, Beatmungsgeräten und freien Krankenhausbetten. Der US-Sender CNN berichtet von einer Facebook-Gruppe, in der sich normalerweise indische Geschäftsleute über Jobangebote und ähnliches austauschen. Nun ist die Diskussion dort von verzweifelten Anfragen mit Betreff Covid-19 bestimmt.

Die Hilfesuchenden verlinken gezielt User:innen mit vielen Kontakten, so verbreiten sich die Nachrichten sehr schnell. Auf Twitter wird unter dem Hashtag #SOSIYC nach Unterstützung gerufen. Der Oppositionspolitiker B.V. Srinivas hat den Hashtag ins Leben gerufen, mit einem Team versucht er, Angebot und Nachfrage zu vernetzen. Die Abkürzung steht für "SOS Indian Youth Congress" und verweist auf die Jugendorganisation der linksliberalen Partei Indian National Congress, deren Vorsitzender Srinivas ist. Seit Anfang April würden sich die Hilferufe auf Twitter "wie ein Lauffeuer" verbreiten, sagte er der "New York Times". Während sich die Krise in Indien in den vergangenen Wochen dramatisch verschärft hat, scheinen viele Bürger:innen das Vertrauen in den Staat endgültig verloren zu haben – und versuchen jetzt, sich im Internet selbst zu helfen. Manche probieren es sogar über die Dating-App Tinder.

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Social Media "ein Geschenk Gottes"

Und das Konzept funktioniert – zumindest teilweise. Jeder bringt sich ein, wo er kann, und mit den Möglichkeiten, die er selbst hat. Bollywood-Stars verbreiten Hilferufe über ihre Social-Media-Accounts an ein Millionenpublikum, in Nachbarschaften finden sich Personen, um für Covid-19-Patienten zu kochen. Ein Social-Media-Experte veröffentlichte ein Video mit einer kurzen Anleitung, wie User:innen Twitter nutzen können, um Hilfe zu finden. Mitten in den apokalyptisch anmutenden Verhältnissen in dem südasiatischen Land ist das ein Lichtblick für die Menschen.

"Social Media ist ein Geschenk Gottes für uns", sagte ein Betroffener, der über die sozialen Netzwerke Hilfe für seine Angehörigen gefunden hat, der "New York Times". Das ändert allerdings nichts daran, dass die Lage weiterhin dramatisch ist und bleibt. Seine Arbeit sei "ein Tropfen im Ozean", gibt Srinivas zu – "aber immerhin ein Tropfen".

Regierung geht gegen Kritik in Netzwerken vor

Auf den Social-Media-Plattformen geht es jedoch nicht nur darum, sich gegenseitig zu helfen, auch die Gründe für die aktuelle Situation sind ein allgegenwärtiges Thema. Die Kritik an der Regierung unter Premierminister Narendra Modi ist groß, das überforderte Gesundheitssystem wird ihm angelastet. Modi nimmt das zum Anlass, die Redefreiheit im Internet weiter einzuschränken. Laut einem neuen Gesetz müssen die Netzwerke nach Aufforderung Nutzerdaten preisgeben. Zur Begründung hieß es, regierungskritische Beiträge würden die Pandemie-Bekämpfung behindern.

Gleichzeitig verbreiten sich in den sozialen Netzwerken Fake News bezüglich der Pandemie, die zum Beispiel alternative Covid-19-Behandlungen propagieren, berichtet die Deutsche Welle. Die meisten Falschinformationen verbreiten sich über den Messengerdienst Whatsapp. Dort wird teilweise die Wirksamkeit der Impfungen in Frage gestellt und behauptet, Inder hätten eine größere Immunität gegen das Virus – Thesen, die sich wissenschaftlich nicht halten lassen.

Quellen: CNN / "New York Times" / "Welt" / Deutsche Welle / "Vox"

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