Der Soundtrack der Empörung da draußen im Netz geht so: "Ihr sagt, wir sind kriminell, doch wir sind nur die User. Im Knast saugen wir weiter, Copyrights sind was für Loser." So rappt die Band Deichkind. Mehr als 1,6 Millionen Mal wurde ihr Video "Illegale Fans" auf Youtube angeklickt. Es ist eine Abrechnung mit jenen, die verzweifelt versuchen, die Urheberrechte auch im Internet durchzusetzen.
Als er das Lied das erste Mal gehört habe, sei er wütend geworden, sagt Harald Heker. "Das ist in höchstem Maße traurig, wir werden da in eine Ecke gestellt, in die wir nicht gehören." Heker ist Vorstandschef der Gema, der Gesellschaft für musikalische Aufführungs- und mechanische Vervielfältigungsrechte - und damit für viele der Böse in der schönen neuen Onlinewelt. Heker will Geld haben für die Musik im Internet, vor allem für die Clips auf Youtube. Das macht sehr viele sehr zornig.
Wenn er morgens den Laptop auf dem antiken Holzschreibtisch in seinem Büro hochfährt, hat er oft Hassmails im Postfach, persönlich an ihn gerichtet, ganz übel. "Fuck den Scheiß, ich hab Bock auf gute Vids auf Youtube. Und was ist! Alles gesperrt", pöbelt einer auf der Facebook-Seite "Fuck Gema". "Wegelagerer", "Parasit", tönt es Heker entgegen. Im Netz kursieren Videos der Hackergruppe Anonymous, Maskenträger werfen der Gema darin Geldgier und Zensur vor. "Wir beobachten mit Sorge eure überhöhten Forderungen gegenüber Youtube."
Wir sind die Guten
In Hekers Augen ist das eine verkehrte Welt. "Die Debatte ist in den letzten Jahren äußerst schiefgelaufen", sagt er. Heker, 54, ist Jurist. Er redet in scharfen Sätzen, doch selbst wenn seine Worte hart klingen, umspielt seine Mundwinkel ein feines Lächeln. "Youtube hat keinen Vertrag mit uns." Lächeln. "Das heißt: Die Musik, die dort eingestellt ist, wird illegal genutzt." Lächeln. "Youtube verdient sehr viel Geld durch die Nutzung unserer Musik, die ziehen ihr Geschäftsmodell rücksichtslos durch. Und wir werden beschimpft! Dabei setzen wir uns zum Schutz der Hilflosen ein." Lächeln. "Wir sind die Guten."
Der Kulturkampf um das Urheberrecht im Internet hat sich in den vergangenen Wochen zugespitzt. Die Piratenpartei und Zehntausende Demonstranten gegen das Acta-Abkommen warnten vor Zensur und einem "Ende des Internets, wie wir es kennen". Und auf der anderen Seite haben sich etliche Musiker und Künstler erhoben und gegen die Verlogenheit der Raubkopierer gewettert, allen voran der Sänger Sven Regener, der als Erster seine Wut auf Youtube rausließ: "Ein Geschäftsmodell, das darauf beruht, dass die, die den Inhalt liefern, nichts bekommen, das ist kein Geschäftsmodell, das ist Scheiße."
Nun schauen sie alle auf die Gema, eine der letzten Bastionen im Kampf ums Urheberrecht. Ihr Gefecht mit der Google-Tochter Youtube ist eines der wichtigsten. Seit Jahren kämpfen beide mit allen Tricks, es geht um sehr viel Geld, das die Gema aus den Milliardengewinnen des Konzerns an die Künstler verteilen möchte. Am Freitag fällt vor dem Landgericht in Hamburg ein Urteil in einem Musterverfahren, auf das ganz Europa wartet.
"Symbol der gesamten Auseinandersetzung um das Urheberrecht"
"Der Streit ist ein Symbol der gesamten Auseinandersetzung um das Urheberrecht im Internet geworden", sagt Dieter Gorny, der Chef des Bundesverbands der Musikindustrie (BVMI). "Die Auseinandersetzung zwischen Gema und Google hat Signalcharakter", sagt auch Karl-Nikolaus Peifer, Juraprofessor in Köln und einer der renommiertesten Urheberrechtsexperten in Deutschland. Deals mit anderen Plattformen und in anderen Ländern werden sich daran orientieren. Es geht schließlich um nicht weniger als die Frage, wie künftig mit Inhalten im Internet Geld verdient werden kann.
Der Umsatz der Musikindustrie ist im vergangenen Jahrzehnt allein in Deutschland von 2,4 auf 1,5 Mrd. Euro abgestürzt. Erst untergruben Tauschbörsen wie Napster das Geschäft, inzwischen vor allem Hostingplattformen und Streamingdienste. Rund 900 Millionen Songs wurden 2010 laut BVMI in Deutschland illegal heruntergeladen. Zwar steuert die Industrie seit Jahren dagegen, lässt Hunderttausende Abmahnungen versenden. Und zuletzt gelangen spektakuläre Erfolge gegen Drehscheiben wie Megaupload, Kino.to oder zuletzt - dank der Gema - Rapidshare. Doch das Grundproblem bleibt.
Die Gema verdient bei Musik immer mit
"Wir sind jetzt in der ganzen Entwicklung in einer ganz entscheidenden Phase", sagt Gema-Chef Heker. Es entscheiden sich die Spielregeln der Zukunft. Und er sieht die Gema als einen der letzten Aufrechten, während sich die Politik aus Angst vor den Acta-Aktivisten zurückgezogen hat.
Die Gema, das ist ein Verein aus Dichtern, Komponisten und Verlegern, 1903 gegründet vom Opernmeister Richard Strauss, dessen Bronzebüste bis heute vor dem Vorstandsbüro im sechsten Stockwerk der Zentrale in München thront.
Ermächtigt durch den Staat und streng kontrolliert vom Deutschen Patent- und Markenamt nimmt der Verein die Urheberrechte seiner derzeit rund 65.000 Mitglieder wahr. Alles aus einer Hand, so muss nicht jeder Künstler seine Rechte überall durchsetzen. Überall, wo in Deutschland Musik zu hören ist, verdient die Gema mit, beim Laternenfest im Kindergarten, in der Telefonwarteschleife, im Radio, in der Disco. 825,5 Mio. Euro sammelte sie 2011 ein, nur 21 Mio. Euro davon aus der Verwertung im Internet, mühsam erstritten. Insgesamt rund 702 Mio. Euro schüttete die Gema im vergangenen Jahr an ihre Mitglieder aus.
Youtube ist für die Musikbranche nicht irgendein Anbieter
So gut es ging hat sich die Verwertungsgesellschaft auf die neue Zeit eingestellt. Hat Millionen in IT-Systeme investiert, hat Fachleute angeheuert, die sich in den Untiefen der Netzwelt tummeln. In der Lizenzabteilung Online im zweiten Stock scannt ein zwölfköpfiges Team den Markt, verfolgt jeden Trade, klassische Business-Intelligence. Die Experten, darunter drei neu eingestellte Wirtschaftsjuristen, sollen möglichst früh die Geschäftsmodelle neuer Anbieter durchrechnen - und das Maximum herausholen.
Nach jahrelangen zähen Verhandlungen konnte sich die Gema im Dezember mit dem Branchenverband Bitkom auf einen Tarif für Musikdownloads einigen. Zwischen 6 und 9 Cent erhält sie nun für jeden verkauften Song. Für werbefinanzierte Streamingplattformen wie Youtube entwickelten die Experten Anfang des Jahres einen eigenen Tarif. Er sieht eine pauschale Beteiligung von 10,25 Prozent an allen Werbeeinnahmen vor, sowie bis zu 0,6 Cent pro geklicktem Musikstück. Noch gibt es keinen Deal auf dieser Basis. Die Verhandlungen mit Diensten wie Simfy oder Spotify laufen, die mit Youtube wurden gestoppt, so verhärtet sind die Fronten.
Youtube ist für die Musikbranche nicht irgendein Anbieter. Fast jeder dritte Musikabruf läuft inzwischen über die Plattform, längst ist sie das, was Viva und MTV früher waren. Nun soll Youtube auch zur Geldmaschine werden. Ohne Einigung mit der Gema fließt jedoch kein Geld. Sony-Music-International-Chef Edgar Berger klagte vor Monaten schon, "Millionenumsätze verloren" zu haben. Und Tim Renner, Chef des Indie-Labels Motor Entertainment, sagt: "Im internationalen Vergleich ist in Deutschland das Download- und Streaminggeschäft deutlich unterentwickelt. Das ist das zentrale Problem der Musikwirtschaft - und zwar maßgeblich, weil es keine Einigung zwischen Gema und Youtube gibt." Ein Deal mit Youtube hätte immense Bedeutung für die gesamte Industrie.
Google verweist aufs Ausland
Als Youtube an den Markt ging, gab es eine Einigung mit der Gema, eine Art Kennenlernangebot. Als der Vertrag 2009 auslief, wollte die Gema mehr Geld, Youtube weigerte sich. Es sei klar, dass Künstler Geld für ihre Inhalte kriegen müssten, sagt ein Google-Sprecher. Das Unternehmen respektiere das Urheberrecht und wolle eine Einigung. Doch das von der Gema vorgeschlagene Vergütungsmodell passe nicht zu Youtube. Google bietet eine pauschale Werbebeteiligung, will aber keine klickabhängige Vergütung, weil die für den Konzern nicht steuerbar ist. Und in der vorgeschlagenen Höhe schon mal gar nicht. "Wir würden bei jedem Abruf Geld verlieren." Die Gema wiederum besteht auf ihrem Modell, ein Kompromiss scheint derzeit unmöglich.
Google verweist gern auf das Ausland. Man habe sich dort mit Verwertungsgesellschaften für 42 Länder geeinigt, das bringe der Industrie "mehrere Hundert Millionen Dollar", so ein Sprecher. Warum geht das in Deutschland nicht? Ganz einfach, sagt Heker: "Die Verträge, die im Ausland geschlossen wurden, sind zum Teil äußerst schlecht."
In Großbritannien oder Frankreich haben sich die Rechteinhaber über den Tisch ziehen lassen, nur in Japan kämpfen sie ähnlich entschlossen wie die Gema. Sogar zwei der vier angloamerikanischen Major-Label, EMI und Sony, lassen inzwischen ihre Onlinerechte in Europa von der Gema durchsetzen, weil sie vermuten, hier am meisten für ihre Rechte zu bekommen. Heker ist stolz darauf.
Mit Youtube gelingt kein Deal
Mit Youtube jedoch gelingt ihm kein Deal. Im Mai 2010 eskalierte der Streit. Die Gema forderte Youtube auf, rund 600 Titel zu sperren. Eine Machtdemonstration. Nun soll das Musterverfahren einen Präzedenzfall schaffen. "An Youtube soll ein Exempel statuiert werden", sagt Musikmanager Renner.
Konkret geht es vor Gericht um zwölf Songs, um Schlager wie "Zwei kleine Italiener" oder "Akropolis adieu" genauso wie um Kinderlieder von Rolf Zuckowski und Popsongs von Boney M. oder U96. Man hätte auch andere Lieder auswählen können, so Gema-Chef Heker. "Es geht ums Prinzip." Sollte Google verlieren, müssten die Songs in allen Versionen von der Plattform runter. Und es ist die Frage zu klären, wie Google das überwachen soll.
Der Konzern schlägt dafür sein Programm "Content ID" vor, entwickelt für 30 Mio. Dollar, um Urheberrechtsverletzungen automatisiert zu entdecken. Jeden Tag scannt es 100 Jahre Filmmaterial. "Ein mächtiges System", sagt ein Sprecher. Die Gema lehnt das ab, das Material müsse schon vor dem Upload mit einem Filter geprüft werden, damit es gar nicht erst online gehen kann. Endgültig werden diese Streitfragen wohl erst in ein paar Jahren vor dem BGH entschieden.
Und so wird der Streit weiter über das Netz geführt. Youtube sperrte seit 2009 Tausende Musikvideos, offiziell aus Angst vor drohenden Schadensersatzforderungen. Die Gema sieht darin ein populistisches Manöver, um Druck aufzubauen. Fakt jedenfalls ist: Wer einen der Clips aufruft, erhält die Meldung: "Leider ist dieses Video in Deutschland nicht verfügbar, da es möglicherweise Musik enthält, für die die erforderlichen Musikrechte von der Gema nicht eingeräumt wurden." Das schürt Ängste vor Zensur. Und Zorn.
Die Videos von Deichkind sind nicht gesperrt.