Die E-Mail ist eines der letzten Relikte aus den Urzeiten des Internets, ein lebendes Fossil. Das Netz wandelte sich vom Nerd-Spielzeug zur Lebenswelt, aus der Textwüste wurde ein buntes Bildermeer. Die E-Mail blieb. Trocken und zuverlässig gehen jeden Tag Milliarden der elektronischen Briefe um den Globus. Jeder von uns nutzt sie - und empfindet sie als lästiges Pflichtprogramm. E-Mails machen keinen Spaß, sie sind langweilig und anstrengend. Kann man sie noch einmal neu erfinden?
Diese Frage stellte sich das US-Magazin "Wired" und sprach mit zahlreichen Entwicklern, die der E-Mail zu neuem Glanz verhelfen wollen. Denn eigentlich spricht viel für die elektronische Post. Während unsere Kommunikation sich immer mehr in beschränkte Plattformen wie Facebook oder Whatsapp verlagert, ist die E-Mail frei kompatibel. Egal, bei welchem Anbieter ich meinen Account habe, wer meine Adresse hat, erreicht mich. Und weil die technischen Standards hinter der E-Mail niemandem gehören, wird das auch so bleiben. Zudem ist sie einfach zu verstehen und zu benutzen.
Die Mail, ein Trauerspiel
Leider hat die Mail auch ihre Schattenseiten. Die größte ist sicher der Spam. Wenn wir so viele Werbeanrufe wie Spam-Mails bekämen, würden wir innerhalb von Stunden die Telefonnummer wechseln. Doch auch Mails, die wir bekommen wollen, strengen uns an. Während man im Messenger schnell und unkompliziert antwortet, schreiben wir die meisten Mails immer noch wie Briefe. Formell, ausformuliert und mit Gruß und Anrede. Kein Wunder, dass uns der Messenger einfach mehr Spaß macht - und die Mail als lästige Arbeit empfunden wird.
Verschiedene Unternehmen wollen das ändern. Deren These laut "Wired": Es ist nicht E-Mail, die nicht funktioniert - sondern unsere Art, wie wir sie nutzen. Und die Unternehmen haben sehr unterschiedliche Ideen, wie sich das ändern soll.
Mit Flow und KI gegen die Mailflut
Da ist etwa Superhuman. Der neuartige Mail-Client schafft die Angewohnheit ab, bei der Arbeit mal eben eine Mail zu schreiben - indem er die Mail vollständig in den Vordergrund stellt. Selbst auf dem Desktop kann man das Programm nur im Vollbildmodus nutzen, um so in einen Arbeitsflow zu kommen und sich voll auf das Abarbeiten des E-Mail-Berg zu konzentrieren. Alles ist darauf ausgerichtet, diesen Flow zu erreichen. Mit wenigen Klicks sind komplette Nachrichten kopiert und bearbeitet, in Sekunden alle Mails durchsucht. Am Mail-Alltag der meisten Menschen dürfte das aber voll vorbeigehen.
Andere versuchen daher, den Mail-Nutzern lieber mit künstlicher Intelligenz unter die Arme zu greifen. Das Programm Edison etwa sortiert automatisch die Mails vor, die wichtigsten landen im Postfach oben. Auf Wunsch meldet es eigenständig aus Newslettern ab. Oder sammelt alle Mails zum Urlaub in einer praktischen Übersicht und warnt sogar, wenn sich etwas ändert. Nutzen muss man keines der Features - es gibt auch ein klassisches Postfach. Doch das bekommen viele Edison-Nutzer gar nicht mehr zu Gesicht.

Keine Antwort möglich
Ohnehin sähen viele Entwickler die Mail gar nicht mehr als Kommunikations-Werkzeug, so "Wired". Schaut man sein Postfach durch, sind die meisten Mails nur Benachrichtigungen, eine Antwort wird nicht erwartet oder ist gar unmöglich. Ein Dialog findet bei Rechnungen, Benachrichtigungen und Newslettern ja gar nicht statt. Arlo Rose, E-Mail-Experte bei AOL, sieht das ähnlich. Seinen Daten zufolge seien 85 Prozent der Mails Rechnungen und ähnliche Belege. Er nennt sie "Transaktionsmails". "Ob Reisebestätigung oder digitaler Beleg: Alles landet in unserem Postfach. Wir horten Haufenweise diese Mails an". So, als würde man jeden Brief aufheben.
Dringend sind die wenigsten dieser Mails. Klar, die Flugtickets braucht man irgendwann. Im Garantiefall ist auch die Rechnung wichtig. Benötigt werden die Mails aber nur im richtigen Moment, eine Antwort erfordern sie praktisch nie. Bei anderen Mails, sieht das ganz anders aus. "Wenn du mir aber eine Ein-Satz-Mail mit Fragezeichen schickst - dann willst du eine Antwort", erklärt Jacob Bank, der bei Google Gmail entwickelt. Der mit 1,2 Milliarden Nutzern größte Mail-Dienst der Welt versucht ebenfalls, das Mail-Dilemma zu lösen. Mit seinen Unmengen an Daten hat er tiefe Einsichten in die Mail-Nutzung, kann etwa vorgefertigte Antworten anbieten. Am Ende könnte eine individuelle Mail-Erfahrung für jeden Nutzer stehen. "Aber wie können wir das auf eine Art tun, die die Nutzererfahrung beibehält und trotzdem alle Möglichkeiten bietet", fragt Bank. "Das ist die Herausforderung."
Lieber Langeweile als gar keine Mails
Ob das wirklich klappen kann, steht auf einem anderen Blatt. Durch die große Freiheit ist die E-Mail in verschiedenste Richtungen gewuchert. In einem Unternehmen schreibt man anders als unter Freunden, bei externen Kunden ist der Ton eher der eines Briefes als eine schnell geschickte Antwort. Vom unterschiedlichen Angang verschiedener Altersklassen, Länder- oder gar firmeninternen Sitten einmal ganz abgesehen. Die E-Mail wirklich noch einmal für alle neu zu erfinden, dürfte daher kaum noch gelingen. Aber vielleicht reicht es ja auch, sie weniger anstrengend und langweilig zu machen. Schließlich will wohl kaum jemand, dass Rechnungen und Flugtickets irgendwann über Facebook kommen.