In sich schnell entwickelnden Nachrichtenlagen wie dem Angriff der Hamas auf Israel sind die sozialen Medien oft ein guter Weg, auf Stand zu bleiben. Doch die Geschwindigkeit birgt Risiken beim Umgang mit Falschmeldungen oder insbesondere mit drastischen Inhalten. Für X, vormals Twitter, droht das nun Folgen zu haben. Die EU hat offiziell Ermittlungen gegen den Kurznachrichtendienst aufgenommen.
Dem Unternehmen wurde von Seiten der EU eine sogenannte Informationsanfrage übermittelt, die bis kommende Woche beantwortet werden muss. Was sich harmlos anhört, könnte für X teure Folgen haben: Die Anfrage erfolgt auf Grundlage des im August in Kraft getretenen Gesetzes für digitale Dienste. Werden die Fragen nicht oder unzureichend beantwortet, kann die EU eine harte Konsequenz beschließen: Das Gesetz sieht Strafen bis zu sechs Prozent des Vorjahresumsatzes vor.
Ermittlung gegen X
Konkret geht es um den Umgang der Plattform mit Desinformationen sowie in der EU illegalen Materials. In den vergangenen Tagen sind auf X Unmengen an Falschmeldungen verbreitet worden, etwa dass die israelische Armee eine der ältesten christlichen Kirchen der Welt zerstört habe. Aber auch die teils extrem grausamen Gewaltvideos könnten ein Problem sein.
Dass die Ermittlung kommt, dürfte die Führung des Unternehmens eigentlich nicht überraschen. Schon am Dienstag hatte EU-Kommissar Thierry Breton das Unternehmen zur Stellungnahme aufgefordert und eine Frist von 24 Stunden gesetzt. X-Besitzer Elon Musk reagierte zwar, gab sich aber mehrfach ahnungslos hinsichtlich dessen, was Breton von ihm wolle. Erst am Donnerstag reagierte die von Musk eingesetzte Linda Yaccarino mit einem offenen Brief auf die Anfrage. Doch dieser reichte der EU offenbar nicht aus: Wenige Stunden später erhielt das Unternehmen die Informationsabfrage.
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Klare Fragen, vage Antworten
Der Krieg in Israel wird damit zum Testfeld für das neue Internetgesetz. Das kurz DSA – Abkürzung für Digital Services Act – genannte Gesetz soll für eine größere Sicherheit der EU-Bürger im digitalen Raum sorgen. Die Betreiber der Plattformen werden darin verpflichtet, im EU-Gebiet illegale Inhalte zu entfernen, Risiken für die öffentliche Sicherheit durch die Plattformen zu reduzieren sowie für einen funktionierenden zivilen Diskurs zu sorgen.
In Bezug auf den Israel-Konflikt will die EU nun etwa von X wissen, welche Vorkehrungen man für den Fall einer Krise wie dieser getroffen habe und welche Protokolle es für den Umgang mit Falschinformationen wie manipulierter Bilder und Videos aus dem Krieg gebe. Die Frist für die Beantwortung der Fragen zum Krisenprotokoll ist der 18. Oktober, die übrigen Informationen kann X bis zum Ende des Monats nachreichen. Dann wolle man weitere Schritte abwägen, erklärte die EU.
Die Antworten von Yaccarino hatten der EU offenbar nicht ausgereicht. Auf den drei Seiten erklärt die von Musk eingesetzte X-Chefin zwar, dass man Propaganda-Accounts gesperrt habe, gegen das Teilen illegaler Inhalte vorgehe und die Sichtbarkeit von Posts reduziere, die zwar drastisch, aber legal seien. Wie genau und nach welchen Maßgaben das geschehe, erklärt sie aber nicht.
Auch Facebook und Tiktok müssen antworten
Twitter ist aber nicht das einzige Unternehmen, das die EU wegen der aktuellen Lage im Auge hat. Auch Facebooks Mutterkonzern Meta wurde am Mittwoch von Breton aufgefordert, sich zu seinem Umgang mit diesen Inhalten auf den eigenen Plattformen zu äußern. Am Donnerstag folgte eine Aufforderung an Tiktok. Auch hier setzte Meta jeweils eine Frist von 24 Stunden.
Meta hat bereits reagiert und listete im Gegensatz zu X detailliert sein Vorgehen auf. So baute der Konzern etwa eine Sonderarbeitsgruppe auf, die aus teils arabisch und hebräisch-sprachigen Experten besteht, arbeitet mit Factcheckern zusammen und konnte sehr konkrete Maßnahmen nennen, um die besondere Situation effektiv begleiten zu können.
Hausgemachtes Problem
Dass X eine solche Reaktion schwerer fällt, dürfte nicht zuletzt an Elon Musk liegen. Der versteht sich selbst als "Meinungsfreiheits-Absolutist", wie er mehrfach betonte. Hatte Twitter vor der Übernahme regelmäßig selbst Inhalte gelöscht und war auch eigenständig gegen Hassrede und Desinformationen auf der Plattform vorgegangen, wurde das von Musk immer als Zensur bewertet. Auch auf Bretons erste Aufforderung hatte Musk entsprechend trotzig reagiert und gefordert öffentlich konkrete Beispiele genannt zu bekommen. "Wir arbeiten hier nicht im Hinterzimmer", warf er dem EU-Kommissar entgegen.
Tatsächlich dürften auch Musks Sparmaßnahmen eine erhebliche Rolle beim aktuellen Problem spielen, der Desinformationen Herr zu werden. Unter seiner Führung wurden die Arbeitsplätze bei Twitter drastisch zusammengestrichen, hahezu das gesamte Team zum Kampf gegen Falschinformationen vor die Tür gesetzt. Diese Sparmaßnahme könnte für X nun teuer werden.
Quellen: EU-Kommision, Reuters, X, Meta