Viele diskutieren über Künstliche Intelligenz, kaum einer versteht sie. Das Textprogramm ChatGPT hat das Konzept zwar erstmals für eine breite Masse erlebbar gemacht, doch als Meinungsforscherin stelle ich fest: Der Blick der Bevölkerung ist diffus, fast dystopisch. Es herrscht Uneinigkeit darüber, ob KI unsere Gesellschaft positiv oder negativ verändern wird. Rund jeder Zweite denkt, der Mensch werde langfristig Kontrolle über KI verlieren. Sechs von zehn gehen davon aus, dass KI zu weniger Arbeitsplätzen führt. Dass neue Technologien Skepsis in der Bevölkerung auslösen, ist ein bekanntes Phänomen. Schnelle Züge? Gefährlich für die Gesundheit. Das Auto, das Internet – wird sich alles nicht durchsetzen. Bemerkenswert am aktuellen Technologiesprung: Selbst Tech-Größen wie Apple-Mitgründer Steve Wozniak und Elon Musk sprechen sich für eine Weiterentwicklungspause und mehr Regulierung aus.
Dafür mag es gute Gründe geben. Gleichzeitig ist es kaum vorstellbar, dass eine internationale Einigung zwischen allen Stakeholdern zeitnah verbindlich gelingt. Technologie war immer schneller als ihre Regulierung. Zudem ist jetzt schon klar, dass KI Effizienzen hebelt und ihr Einsatz zur ökonomischen Chancenfrage wird.
Es ist schon wieder Transformation
Die gesamtwirtschaftliche Debatte bleibt allerdings bislang aus. Stattdessen scheinen wir den nächsten Technologiesprung zu verschlafen. Dabei fordert KI uns heute schon heraus und ist eine Gefahr für den öffentlichen Diskurs: Medienprofis fällt es schwer, künstlich generierte Bilder von echten zu unterscheiden. Fake News im digitalen Raum nehmen seit Jahren zu, nun ermöglicht KI, Falschnachrichten viel einfacher, schneller, passgenauer und billiger zu produzieren und zu verbreiten. Je mehr unsere Diskurse und die öffentliche Meinungsbildung von KI beeinflusst werden, desto stärker braucht es ein Gegengewicht, das Fakten schafft. Neben einer unabhängigen, reichweitenstarken Presse ist hier vor allem eine Branche gefordert: die Meinungsforschung.

Janina Mütze (Jg. 1990) ist Mitgründerin und Geschäftsführerin von Civey. Darüber hinaus ist sie Mitglied des Verwaltungsrats im Architektur- und Bauunternehmen Burckhardt+Partner. Sie engagiert sich besonders für die Themen Transformation und Digitalisierung, gesellschaftlichen Wandel sowie Führung und Unternehmertum. So ist sie Mitglied im Beirat für Gründungen an der Hochschule für Technik und Wirtschaft in Berlin und Kolumnistin für verschiedene Tages- und Fachmedien.
Die Methoden der Demoskopen bilden Meinungen verlässlich ab. Sie machen den Volkswillen sichtbar und holten schon Menschen aus Filterblasen heraus, bevor diese überhaupt so hießen. Obwohl die Fähigkeiten der Demoskopie im digitalen Zeitalter wichtiger werden, tut sich ein Teil der Branche schwer, diese Chance nach mehr Relevanz auch zu ergreifen. Denn auch unter Meinungsforschern werden bisweilen lieber die Technologiesprünge der Vergangenheit diskutiert als die der Gegenwart.
Dabei machen erste Forscher sich die Technologie heute schon zunutze. Zum Beispiel beim Erhöhen der Teilnahmebereitschaft von Befragten – der existenziellen Herausforderung für Demoskopen. Künstliche Intelligenz kann hier helfen, indem individuell spannende Fragestellungen ausgespielt werden, die die Wahrscheinlichkeit erhöhen, dass Befragte längere Fragebögen beantworten.
Künstliche Intelligenz als Herausforderung für Demoskopen
Demoskopie mithilfe der Digitalisierung so zu gestalten, dass auch in Zukunft genügend Meinungen aus breiten und spitzen Zielgruppen für gesellschaftliche Debatten zur Verfügung stehen – nichts anderes haben Teile der Branche mit dem Wechsel von Telefon- zu Onlinebefragungen vollzogen. Mit keinem anderen Medium erreicht man mehr Menschen als über das Internet. Weil immer weniger Bürger an Telefonumfragen teilnehmen wollen und über einen Festnetzanschluss verfügen, war das Einschlagen neuer Wege notwendig. Dass diese ebenfalls zu präzisen Ergebnissen führen, ist schon lange bewiesen. Dennoch wird die Digitalisierung in der Markt- und Meinungsforschung nach wie vor verblüffend häufig mit Argwohn beäugt. So sehr, dass viele übersehen: Mit KI ist längst der nächste Entwicklungssprung da. Gerade in dieser Branche wäre ein gemeinsamer KI-Rahmen fällig – eben weil Demoskopen in öffentlichen Diskursen eine besonders hohe Verantwortung haben.
Am Ende sind es Menschen, die Maschinen trainieren und mit Daten füttern. Wenn zum Beispiel nicht mehr ein Wissenschaftler oder eine Wissenschaftlerin, sondern KI die Fragen formuliert oder Antworten analysiert – sollte es dann nicht gemeinsame Standards dafür geben? Wie wird methodische Sauberkeit sichergestellt? Welche Transparenzregeln gelten bei Veröffentlichungen? Und wie positioniert sich die Branche zu Umfragen, die nicht mehr von Menschen, sondern von KI beantwortet werden?
Neue Fragen wie diese kommen mit KI in nahezu allen Branchen und Lebensbereichen auf. Deshalb sollten wir jetzt alles daran setzen, die Technologie besser zu verstehen. Das fängt schon in der Schule an: Den Lehrplan, wie wir ihn kennen, stellen die technologischen Fortschritte auf den Kopf – nicht nur in Sachen Medienkompetenz. Es geht nicht darum, die Materie bis ins letzte Detail durchdrungen zu haben. Sondern alles, was wir über KI wissen, an ihr fürchten oder uns von ihr wünschen, von jetzt an in der Breite zu diskutieren, über alle Disziplinen hinweg. Ohne eine Bildungsoffensive werden wir weder die Risiken von KI beherrschen, noch ihr wirtschaftliches Potenzial ausschöpfen. Machen wir uns nichts vor: KI wird bleiben und vieles von dem verändern, was für uns noch selbstverständlich ist. Technologie lässt sich nicht aufhalten.