Wie bei so vielen Jachten ranken sich auch um die Eigentümerverhältnisse der "Scheherazade" (IMO 9809980) Mythen und Rätsel. Denn es ist offenbar völlig unklar, wem die 140-Meter-Jacht mit einem Wert von rund 700 Millionen US-Dollar gehört. Um das herauszufinden brauchen die Behörden viel Zeit – und die rennt davon. Wie die "New York Times" berichtet, bereitet sich die Mannschaft des Schiffes auf das Auslaufen aus dem Hafen von Carrara vor, einem italienischen Küstenort nahe Massa und La Spezia.
Schon seit September liegt das Schiff für Reparaturarbeiten dort im Trockendock der "Italian Sea Group". Im Zuge der russischen Invasion in der Ukraine geriet die "Scheherazade" schnell in den Fokus, da vermutet wurde, sie könne einem sanktionierten Oligarchen gehören. Oder sogar Wladimir Putin höchstselbst.
Team Nawalny schimpft öffentlich
Diesen Verdacht bestärkte ein Team um den russischen Oppositionellen Alexei Nawalny, welches nun auch auf Twitter Alarm schlägt, dass den Behörden ein ganz dicker Fisch durch die Lappen gehen könnte, wenn man die "Scheherazade" nun gewähren ließe. Die russische Investigativ-Journalistin Maria Pevchikh schreibt auf Twitter: "Okay, Leute, wir haben ein Problem. Putins geheime 700-Millionen-Dollar-Jacht ist dabei, den Sanktionen zu entgehen, indem sie einfach aus Italien flüchtet. Es ist nur noch eine Frage von Tagen. Die italienischen Behörden unternehmen nichts, um sie zu stoppen. Also sollten wir es tun."
Im Zuge einer ausführlichen Aneinanderreihung ihrer bisherigen Recherche zeichnet sie ein Bild, was die Arbeit der italienischen Behörden in ein eher schlechtes Licht rückt. So erklärt sie unter anderem: "Dies ist für mich besonders besorgniserregend. Die italienischen Behörden sagten der "Financial Times", dass sie mit uns, der Anti-Korruptions-Stiftung, in Kontakt stünden. Aber das war nicht der Fall. Wir haben nicht eine einzige E-Mail oder einen Anruf von ihnen erhalten. Sie haben auch keine Beweise von uns angefordert."
Weiter heißt es: "Wir haben am 23. März 2022 eine formelle Beschwerde in dieser Angelegenheit eingereicht. Haben wir eine Antwort erhalten? Nein, keine. Nichts. Niente. Ich habe den Eindruck, dass sie wirklich nicht gewillt sind, zu handeln. Hier gibt es nicht viel zu untersuchen. Die US-Behörden glauben, dass diese Jacht Putin gehört. Die Besatzungsmitglieder sagen, sie gehöre Putin. Wir haben festgestellt, dass die Besatzung der "Scheherazade" fast vollständig aus Putins persönlichem Personal besteht."
Schon vor Wochen hatte das Investigativ-Team rund um Nawalny ein langes Video veröffentlicht, in dem es sehr ausführlich auf die Crew, die Jacht und die Verbindung zu Putin eingeht. Und doch scheinen den Behörden stichhaltige Beweise zu fehlen. Von der Crew jedenfalls erfahren sie nichts. Schon Anfang März hatte man den britischen Kapitän Guy Bennett-Pearce gebeten, den Eigner der Jacht zu nennen. Der verweis auf seine "wasserdichte Geheimhaltungsvereinbarung", ließ jedoch wissen, dass der Eigner nicht auf einer Sanktionsliste auftauche, also nicht Putin sei.
Immer wieder Chudainatow
Das unterstützen theoretisch auch die italienischen Medien "La Stampa" und "Il Gazzetino", die den langjährigen Weggefährten Putins, Eduard Jurjewitsch Chudainatow, als Eigner benennen. Damit wäre die "Scheherazade" frei, denn Chudainatow ist aktuell nicht sanktioniert, obwohl er dem russischen Präsidenten nachweislich seit vielen Jahren treu und als ehemaliger Chef des russischen Mineralölunternehmens Rosneft eigentlich ein Oligarch par excellence ist.
Es liegt die Vermutung nahe, Chudainatow könne nur ein Strohmann sein. Dafür spricht, dass auch die in Fidschi festgehaltene "Amadea" angeblich sein Schiff ist (hier lesen Sie mehr) und nicht, wie US-Behörden vermuten, dem sanktionierten Oligarchen Suleiman Abusaidowitsch Kerimow gehört. Aber: Im Falle der "Amadea" konnte das eine Beschlagnahmung nicht verhindern.
Wie das Problem der bevorstehenden Flucht der "Scheherazade" zu lösen wäre, weiß Maria Pevchikh. Sie schlägt vor, Chudainatow schnellstmöglich auf die Sanktionslisten der EU zu nehmen und so mehr Zeit für die Ermittlungen zu gewinnen, da man das Schiff dann leichter "einfrieren" könne. Sie fordert die italienische Finanzpolizei auf, "sich nicht weiter zu blamieren und es einfach zu tun."
Wohin geht es für die "Scheherazade"?
Die "New York Times" zitiert den pensionierten Werftmitarbeiter Roberto Franchi. Er sagte: "Wenn die "Scheherazade" einmal schwimmt, kann sie den Hafen relativ schnell verlassen." Mögliche Ziele wären, gemessen an den Aufenthaltsorten von Jachten, die sanktionieren Oligarchen wie Roman Arkadjewitsch Abramowitsch eindeutig zuzuordnen sind, die Gewässer der Türkei, der Arabischen Emirate oder rund um die Inseln der Malediven.
Oder aber die "Scheherazade" macht sich, wie auch die "Nord" von Alexei Mordaschow und die "Graceful" von Putin, direkt auf den Weg nach Russland. Für die Arbeit der italienischen Behörden hätte das eine niederschmetternde Symbolkraft.
Quelle: New York Times