Frau Runge, in der BRIGITTE berichten Mütter und Väter über ihre Erlebnisse als Eltern im Job. Es sind zum Teil haarsträubende Dinge. Ist das normal?
Ja, absolut. Und es entspricht dem, was ich selbst erlebt habe. Als ich aus meiner ersten Elternzeit auf meine Stelle als Abteilungsleiterin bei einer mittelständischen Firma zurückkehrte, wurde mir gekündigt. Der Job sei ausgelagert, hieß es, was sich später als Lügenmärchen herausstellte. Ich klagte, erhielt eine Abfindung, machte mich selbstständig. Seitdem sind zehn Jahre vergangen, doch ich habe das Gefühl, nichts hat sich geändert! 80 Prozent meiner Mandant:innen sind heute Mütter, die ähnliche Erfahrungen gemacht haben wie ich oder derartiges befürchten. Auch Väter kommen zu mir.
Wieso reichen die bestehenden Gesetze zum Schutz von Eltern nicht aus?
Das Mutterschutzgesetz und das Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetz schützen nur punktuell vor Benachteiligungen, etwa vor Kündigungen während Schwangerschaft und Elternzeit. Ein allgemeiner Schutz, der arbeitenden Eltern in jeder Situation vor Benachteiligungen schützt, fehlt jedoch. Zwar können sich Eltern bei Diskriminierungen im Job aufs Gleichbehandlungsgesetz (AGG) berufen und zum Beispiel Anspruch auf Schadensersatz geltend machen. Doch dieses Gesetz hat zwei große Lücken.

Welche?
Eine ganz wichtige Lücke klafft beim Wiedereinstieg. Das ist besonders tragisch, weil es hier die meisten Diskriminierungen gibt und diese dann auch oft besonders schlimme Folgen für die Eltern haben. Kündigungen, Degradierungen oder Versetzungen gleich nach der Elternzeit, die systematische Ablehnung von Teilzeitanträgen ohne dringende betriebliche Gründe – all das kann nicht nur Karrieren ruinieren, sondern Familien in Existenznot bringen, etwa wenn eine Alleinerziehende ihren Job verliert oder plötzlich 100 Kilometer zu ihrem Arbeitsplatz pendeln soll.
Gibt es weitere Schutzlücken?
Das sind die Väter. Bei den Diskriminierungsmerkmalen werden sie völlig ausgeblendet. Das Gesetz trat 2006 in Kraft – heute nehmen mehr Väter Elternzeit, wollen in Teilzeit wechseln. Das macht ihren Ausschluss im AGG zunehmend unsinnig und für die Väter zum Risiko: Werden sie wegen ihrer Elternschaft im Job diskriminiert, haben sie kaum Möglichkeiten, sich gerichtlich zu wehren.

Durch die Aufnahme von "Elternschaft" ins AGG würde sich das ändern?
Ja. Denn statt des Geschlechts wäre nun entscheidend, dass ein Mensch Kinder hat. Das heißt: Mütter wie Väter hätten im Fall einer Benachteiligung ein Leistungsverweigerungsrecht und Anspruch auf Schadensersatz. Und, ganz wichtig: Elternschaft stünde dann im AGG an prominenter Stelle, gleich bei der Auflistung der Diskriminierungsmerkmale. Das würde die Unternehmen unter Druck setzen, sich endlich um familienfreundliche Arbeitsbedingungen zu kümmern. Vorgesetzte, Personalabteilungen und Betriebsräte hätten einen klaren und unmissverständlichen Auftrag für die Ausgestaltung einer familienfreundlichen Unternehmenskultur. Vor allem aber wäre es eine wichtige gesellschaftliche Geste: Wir würdigen, was Mütter und Väter leisten, indem wir ihnen besonderen gesetzlichen Schutz bieten.
Das ungekürzte Interview mit Sandra Runge sowie Erlebnisse von betroffenen Eltern und rechtliche Hinweise zu den Fällen finden Sie unter brigitte.de/elternrechte.