J. Peirano: Der geheime Code der Liebe Mein Freund lässt sich von seiner bipolaren Mutter und seinem schwer narzisstischen Vater manipulieren

Diskussionen mit der Schwiegermutter sind anstrengend genug, wenn sie nicht bipolar ist (Symbolbild)
Diskussionen mit der Schwiegermutter sind anstrengend genug, wenn sie nicht bipolar ist (Symbolbild)
©  JackF / Getty Images
Eltern und Schwiegereltern machen viele Beziehungen komplizierter. Im Falle von Amelies Freund sogar noch mehr als sonst. Kann sie einen Ausweg finden?

Sehr geehrte Frau Dr. Peirano,

ich (25) stecke in einer auf der einen Seite sehr glücklichen und auf der anderen Seite sehr unglücklichen Beziehung mit meinem Freund (31 Jahre alt). Wir kennen uns bereits einige Jahre und sind seit über einem Jahr fest zusammen. Seit vier Monaten wohnen wir fest zusammen.

Leider wohnen wir sehr weit entfernt von meiner Familie und meinen Freunden und dafür nur einen Katzensprung entfernt von der Familie meines Freundes.

Seine Mutter wurde vor vielen Jahren bipolar diagnostiziert. Sie verweigert jedoch die Medikamente. Sein leiblicher Vater wollte ihn nie kennen lernen und verschwand vor der Geburt. Als mein Freund circa fünf Jahre alt war, heiratete sie einen schwerst-narzisstischen Mann. Dieser adoptierte meinen Freund und er nennt diesen Mann bis heute "Papa", obwohl seine Mutter mittlerweile wieder einen neuen Mann hat. Somit besteht die Familie meines Freundes aus seiner kranken Mutter, seinem Stiefvater und dem Ex-Mann der Mutter, den er Vater nennt.

Relativ früh nachdem wir zusammengekommen sind, ist mir aufgefallen, dass mein Freund auffällig oft mit seinem "Vater" telefoniert (jeden oder jeden zweiten Tag) und noch öfter mit ihm Nachrichten schreibt. Reagiert mein Freund mal nicht oder nicht sofort, bekommt er böse Beleidigungen und Drohungen geschickt. Er würde ihn enterben und so weiter. Er wohnt circa eine Autostunde entfernt von uns. Alle zwei, drei Wochen erwartet sein "Vater" natürlich auch persönliche Besuche. Diese Besuche waren immer sehr unangenehm, da er sehr manipulativ auf mich einredet, wenn mein Freund grade nicht da ist und sagt, er könnte dafür sorgen, dass mein Freund mich verlässt, wenn ich mich mit ihm (dem Vater) nicht gut stellen würde.

Für mich war schnell klar, dass dieser Mann Ärger für unsere Beziehung bedeutet. Mein Freund will trotzdem auf keinen Fall den Kontakt zu ihm abbrechen oder verringern. Er empfindet für ihn ein starkes Dankbarkeits-Gefühl, da er ihm das Studium, das Auto und mehr bezahlt hat. Mittlerweile fährt er alle paar Wochen allein für ein Wochenende zu ihm und ich bleibe zuhause.

Dann gibt es noch die Belastung: Mutter. Seit wir zusammen sind, taucht sie mit ihrem aktuellen Mann regelmäßig ohne Anmeldung bei uns zuhause auf. Sie laden sich dann selbst zum Bleiben ein. Bringen manchmal auch Essen und Trinken mit und bleiben bis spät nachts. Ob wir dann sagen, dass ich starke Bauchschmerzen habe oder mein Freund morgen früh raus muss, interessiert dabei keinen.

Mein Freund hat schon mehrmals versucht ihnen klarzumachen, dass diese Überfälle aufhören müssen und sie unsere Privatsphäre respektieren sollen. Jedoch ändert sich nichts und jedes Mal, wenn sie wieder vor der Tür stehen, macht er ihnen freudig auf und bietet Getränke an. Wenn ich mal für ein paar Wochen nicht vor Ort bin, hängt er in jeder freien Minute mit seiner Mutter und seinem Stiefvater rum.

Ich bin fassungslos, wie wenig sich mein Freund gegen seine Familie durchsetzen kann, wir streiten uns sehr oft deswegen. Er sagt dann Sachen wie "Es bringt doch eh nix, er/sie ändert sich eh nicht, du müsstest dich doch mittlerweile dran gewöhnt haben."

Ich sehe im Moment nur noch das Aus für unsere Beziehung und das alles Dank seiner Familie, die keine Grenzen kennt. Liegt es wirklich an mir? Reagiere ich falsch und sollte einfach akzeptieren wie es ist?

Liebe Grüße und vielen Dank vorab

Amelie T.

Liebe Amelie T.,

zuerst einmal möchte ich Ihnen sagen, dass Sie auf keinen Fall "falsch" reagieren. Ich habe die Haltung, dass jeder ein Recht auf seine Gefühle und seine Wahrnehmung hat. Wenn ich mich in Ihre Situation hinein fühle und mir vorstelle, dass mein Freund, mit dem ich zusammen lebe, nicht nur eine, sondern drei psychisch kranke und höchst anstrengende Verwandte hat, dann fühle ich starke Beklemmung. Und ich würde mich auch fragen, welchen Stellenwert ich und die Beziehung für meinen Partner haben, wenn er unser gemeinsames Zuhause nicht nach außen schützt und sichert. Ich würde mich sehr unwohl und überrannt fühlen, weil anscheinend meine Befindlichkeit und meine Wünsche nicht zählen.

Auf der anderen Seite kann ich mir aber auch vorstellen, dass Ihr Partner seine eigene Wahrnehmung und Gefühlswelt hat. Er ist ohne Vater bei einer Mutter aufgewachsen, die eine bipolare Störung hat. Wenn sie diese Störung schon in seiner Kindheit hatte, ist er dadurch schwer belastet worden. Kinder brauchen eine angemessene Spiegelung von ihren Eltern. Sie sollten lernen, dass die Bezugsperson mitschwingt, also z.B. tröstet, wenn man traurig wird; liebevoll herumalbert oder mit einem lacht, wenn man selbst lustig und spielerisch ist; einem Grenzen setzt, wenn man Dinge zerstört oder Menschen angreift.

Porträt Dr. Julia Peirano
© Kirsten Nijhof

Dr. Julia Peirano: Der geheime Code der Liebe

Ich arbeite als Verhaltenstherapeutin und Liebescoach in freier Praxis in Hamburg-Blankenese und St. Pauli. In meiner Promotion habe ich zum Zusammenhang zwischen der Beziehungspersönlichkeit und dem Glück in der Liebe geforscht, anschließend habe ich zwei Bücher über die Liebe geschrieben. 

Informationen zu meiner therapeutischen Arbeit finden Sie unter www.julia-peirano.info.

Haben Sie Fragen, Probleme oder Liebeskummer? Schreiben Sie mir bitte (maximal eine DIN-A4-Seite). Ich weise darauf hin, dass Anfragen samt Antwort anonymisiert auf stern.de veröffentlicht werden können.

Eine depressive Mutter hat meistens eine starre Mimik und leidet unter Antriebslosigkeit und trüber Stimmung. Sie kann auf positive Gefühle des Kindes nicht reagieren und ihm wenig Liebe zeigen (zumindest in depressiven Phasen). Eine manische Mutter kann die Realität nicht richtig einschätzen und keine Grenzen setzen, weil sie selbst ihre eigenen Grenzen nicht kennt (zumindest in manischen Phasen). Depressive Mütter können oft den Haushalt nicht führen und finden es schwer, ihr Kind zu versorgen. Dadurch lernt das Kind schon früh, selbst einzuspringen und die Mutterrolle zu übernehmen. Manische Mütter können Gefahren nicht richtig einschätzen und ihre Kinder nicht richtig beschützen (z.B. vor dem Straßenverkehr). Oder sie sind ständig mit oder ohne Kind auf Achse und überfordern so ihr Kind (oder lassen es im Stich). Das alles ist sehr verwirrend und psychisch hoch belastend für ein Kind.

Ihr Partner hatte also als Kind eine sehr schwierige Ausgangsposition. Dann trat ein schwer narzisstischer Mensch in sein Leben, der ihn, wie es sich anhört, benutzt und manipuliert hat (und es immer noch tut). Er brachte möglicherweise eine äußere Ordnung und eine finanzielle Stabilität in das Leben, aber, wie es bei Narzissten eben so ist, hatte das einen Preis. "Ich bezahle dir das Studium, aber dafür musst du dich meinen Wünschen unterwerfen."

Ich kann ein fünfjähriges Kind verstehen, das nach diesem Strohhalm greift. Was soll es sonst machen? Ihr Partner ist also in vielfältiger Weise vernachlässigt, missbraucht und manipuliert worden. Dadurch ist er, wie es klingt, co-abhängig geworden.

Co-Abhängigkeit bedeutet, dass ein Mensch, der mit einem psychisch kranken oder von von Alkohol- oder Drogensucht betroffenen Partner oder Elternteil lebt, sich um diesen dreht. Dabei entwickeln sie selbst suchtartige Verhaltensweisen, die den Partner oder Elternteil betreffen. Sie nehmen ihre eigenen Gefühle und Bedürfnisse nicht wahr, sondern konzentrieren sich auf die Bedürfnisse des - in diesem Fall - Elternteils. "Meine Mutter will uns besuchen und lange bleiben, also heiße ich sie willkommen."

Leider ist aus meiner Erfahrung Co-Abhängigkeit oft genau so hartnäckig wie z.B. eine Suchtkrankheit. Beispiel: Ein Patient berichtete, dass seine Freundin nachts trank und ihn beschimpfte. Er kümmerte sich um ihre Kinder (aus erster Ehe), kam für den Lebensunterhalt auf und benutzte Notlügen, um sie bei der Arbeit zu schützen ("sie hat Kopfschmerzen" anstatt "sie hat getrunken"). Als wir das Thema Co-Abhängigkeit am Wickel hatten und therapeutisch vertieften, schrieb er mir aus heiterem Himmel, dass eine Therapie nicht weiter nötig sei. Er habe seiner Freundin einen Heiratsantrag gemacht und es sei alles bestens.

Diese Geschichte ist keine Ausnahme, sondern um ehrlich zu sein, haben sowohl meine Kolleg*innen als auch ich uns schon oft die Zähne an co-abhängigen Menschen ausgebissen und relativ wenig Therapieerfolge auf dem Gebiet vorzuweisen.

Was ich damit sagen will: Ihr Freund zeigt co-abhängige Verhaltensmuster und er scheint große Angst zu haben, seiner Familie Grenzen aufzuzeigen. Wahrscheinlich fürchtet er (aus meiner Sicht zu Recht!), dass Kritik oder Verweigerung das Ende der Beziehung zu seiner Mutter oder seinem Vater bedeuten würde. Und das würde auf einer kindlichen Ebene bedeuten, verlassen zu werden! Das ist wahrscheinlich seine Urangst.

Es ist schwer, Ihnen einen "Tipp" zu geben. Ich habe die Situation beleuchtet, damit Sie verstehen, was auf einer tiefen Ebene für Abhängigkeitsmuster bestehen und dass diese nicht leicht auflösbar sind. Nur wenn Ihr Partner die Bereitschaft hat, wirklich seine Vergangenheit und seine Beziehung zu seiner Familie aufzuarbeiten, hätte er eine Chance, Grenzen zu ziehen. Und den Eindruck macht er nicht. Meistens brauchen Co-Abhängige auch mehrere Anläufe, um etwas zu verändern.

Lesen Sie sich doch einmal in die Thematik ein und sprechen Sie mit Ihrem Freund. Sie können ihm ja vielleicht auch meine Antwort zeigen. Aber erwarten Sie bitte keine Wunder.

Herzliche Grüße

Julia Peirano

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