J. Peirano: Der geheime Code der Liebe Meine Patchworkfamilie leidet, weil mein Partner ständig um seine bipolare Ex-Frau kreist

Schwierige Beziehungen zu Ex-Partnern können Patchwork-Familien belasten (Symbolbild)
Schwierige Beziehungen zu Ex-Partnern können Patchwork-Familien belasten (Symbolbild)
© skynesher / Getty Images
Ihre eigene Scheidung hat Johanna gut überstanden, über ihren Partner kann sie das nicht sagen. Kann sie ihre Familie von den Problemen der Ex-Frau abgrenzen?

Liebe Frau Peirano,

ich (37) bin Mutter von zwei Kindern (12 und 8) und von meinem Mann geschieden. Vor zwei Jahren habe ich über meine Arbeit einen Mann kennen gelernt, der auch zwei Kinder hat. Wir verstehen uns oft sehr gut und wir sind eine lebhafte Patchworkfamilie geworden.

Mein Ex-Mann und ich verstehen uns nicht besonders  gut und geraten immer mal wieder wegen der Wochenendregelung aneinander. Wir haben uns getrennt, weil er keine Verantwortung für den Haushalt und die Kinder übernommen hat. Er war noch sehr jung und wollte seine Freiheit und sich ausleben. Ich musste ihn immer um jeden Handgriff bitten und er hat alles nur murrend erledigt. Aber im Großen und Ganzen läuft es trotz Reibereien meistens stabil.

Was aber unsere Beziehung wirklich belastet ist das Verhältnis meines neuen Freundes zu seiner Ex-Frau. Die beiden sind seit fünf Jahren getrennt. Sie hat eine bipolare Störung und das hat die Beziehung sehr belastet. Sie war häufiger in der Psychiatrie und letztlich ist auch die Mutter meines Partners eingesprungen und hat sich um die Kinder gekümmert.

Aber mein Partner kann irgendwie nicht richtig Grenzen setzen, was seine Ex-Frau betrifft. Es geht nicht darum, dass er noch Liebesgefühle für sie hat oder sie begehrt. Sondern er kümmert sich um sie und hilft ihr, wo er nur kann, obwohl sie sehr aggressiv mit ihm umgeht und kaum mit ihm spricht. Die Ex-Frau wollte mich noch nicht kennen lernen, aber ich weiß von gemeinsamen Freunden, dass sie sich viel mit mir und meinem Kindern beschäftigt und über mich redet (auch teilweise sehr schlechte Dinge über nicht sagt). Sie hat gesagt, dass ich mal schön vorsichtig sein soll und mich nicht so weit aus dem Fenster lehnen soll, sonst passiert mir vielleicht noch was. Ich fühle mich davon bedroht, aber mein Freund spielt das runter.

Einmal war sie bei bei meinem Freund in der Wohnung und danach fehlten meine Ohrringe und ein Parfum.

Mein neuer Partner macht sich riesige Sorgen um seine Ex, redet häufig über sie, spricht mit Ärzten, holt sie vom Flughafen ab und liest alle ihre Emails an ihn. Sie schreibt ihm mehrmals pro Woche mehrere Seiten. Angeblich macht er das, um im Bilde zu sein, was mit ihr ist, damit er seine Kinder (12 und 14) vorbereiten kann. Ich habe aber manchmal das Gefühl, dass er ohne sie und die Aufregung, die sie produziert, irgendwie nicht klarkommt. Ich weiß, dass das ein krasser Gedanke ist, aber ich empfinde es so.

Er tanzt komplett nach der Pfeife der Ex-Frau. Ist sie in der Psychiatrie sicher aufgehoben, können wir in den Urlaub fahren. Wenn sie gerade eine manische Phase hat und frei herumläuft und Ärger macht (trinken, Sex mit wechselnden Männern, darunter auch seine Freunde), dann ist er unkonzentriert und lässt sich auch mal tagelang krank schreiben.

Ich komme nicht an ihn heran, und ich denke auch, dass er mir Dinge verschweigt. Seine Mutter war übrigens schizophren.

Das heißt, dass die Stimmung zwischen meinem Freund und mir irgendwie davon abhängig ist, wie es seiner Ex-Frau geht. Ist sie stabil, kann er sich auf mich einlassen. Ist sie in der Psychiatrie sicher untergebracht, kann er sich etwas entspannen. Aber wenn sie gerade manisch ist oder wird, dreht sich in seinen Gedanken anscheinend alles um sie und er ist nicht präsent. Aber er redet nicht wirklich mit mir darüber, sondern macht nur vage Versprechungen, dass sich alles erst setzen muss in der neuen Patchworkfamilie. Sind zwei Jahre nicht auch mal genug dafür? Und es ändert sich  nichts…

Ich bin total genervt davon und fühle mich vernachlässigt. In den schwierigen Phasen kann ich mich dann auch alleine um alle vier Kinder und den Haushalt kümmern, neben meiner Arbeit.

Es ist so schlimm, dass ich überlege, ob ich mit trenne. Aber vorher wollte ich noch eine Paartherapie versuchen. Doch auch darauf kann mein Freund sich nicht richtig festlegen.
Was raten Sie mir?

Viele Grüße,
Johanna T.

Liebe Johanna T.,

ich kann nachfühlen, dass Sie mit der Situation nicht zufrieden sind und sich belastet fühlen! Sie haben ja schon in Ihrer ersten Ehe die Erfahrung gemacht, mit Aufgaben alleine dazustehen und oft keinen zuverlässigen, engagierten Partner an der Seite zu haben.

Und jetzt sind Sie wieder in einer Situation, in der Sie in Ihrer Partnerschaft oft die Aufgaben alleine bewältigen müssen und Partner an der Seite haben, der mit Ihnen an einem Strang zieht. Das zehrt an den Kräften und es kann sich auch negativ auf das Selbstwertgefühl auswirken im Sinne von: "Bin ich es nicht wert, einen Partner zu haben, bei dem ich die erste Geige spiele?"

Porträt Dr. Julia Peirano
© Kirsten Nijhof

Dr. Julia Peirano: Der geheime Code der Liebe

Ich arbeite als Verhaltenstherapeutin und Liebescoach in freier Praxis in Hamburg-Blankenese und St. Pauli. In meiner Promotion habe ich zum Zusammenhang zwischen der Beziehungspersönlichkeit und dem Glück in der Liebe geforscht, anschließend habe ich zwei Bücher über die Liebe geschrieben. 

Informationen zu meiner therapeutischen Arbeit finden Sie unter www.julia-peirano.info.

Haben Sie Fragen, Probleme oder Liebeskummer? Schreiben Sie mir bitte (maximal eine DIN-A4-Seite). Ich weise darauf hin, dass Anfragen samt Antwort anonymisiert auf stern.de veröffentlicht werden können.

Allerdings ist die Situation mit Ihrem aktuellen Partner zwar ähnlich wie die mit Ihrem Mann, aber die Gründe dafür sind ganz unterschiedlich. Ihr Ex-Mann wollte sich aus persönlichen Gründen nicht einlassen, sondern seine Freiheit haben. Ihr neuer Partner hingegen ist sehr unfrei, weil er sich vom psychischen Zustand seiner Ex-Frau abhängig gemacht hat.

Ich habe hier schon öfters über Co-Abhängigkeit (die Sucht hinter der Sucht) geschrieben. Von Co-Abhängigkeit spricht man, wenn jemand eine*n Partner*in oder einen nahen Angehörigen hat, der eine Sucht oder eine schwere psychische Erkrankung (z.B. Schizophrenie, Borderline, bipolare Störung hat). Die betroffene Person kreist dann um den Alkohol, um Drogen oder erlebt seine Achterbahnfahrt mit der Schizophrenie oder der psychischen Störung.
Und die co-abhängige Person kreist um die betroffene Person (den Partner/die Partnerin oder ein Kind) und verliert darüber den Zugang zu den eigenen Bedürfnissen und Gefühlen.

Oft verleugnen co-abhängige Menschen den Ernst der Sucht und verleugnen das Problem ("Es ist ja nur eine Phase, früher ging es ihm/ihr ja auch viel besser"). Einige Angehörige lügen für den Betroffenen, um das Problem zu vertuschen ("Sie hat eine Grippe" statt: "Sie ist alkoholabhängig und hat gestern zwei Flaschen Wein getrunken"). Co-abhängige Menschen verlieren sich darin, helfen zu wollen. In Suchtkliniken findet man mitunter Angehörige, die den Suchtkranken im Entzug Alkohol oder Drogen in die Klinik schmuggeln, damit sie nicht leiden müssen.

Und co-abhängige Menschen haben meistens wenig Zugang zu ihren eigenen Gefühlen, insbesondere denen, die der Abgrenzung dienen könnten wie Ärger oder Wut. Sie finden Erklärungen, reden sich die Situation schön und übernehmen die Arbeit der betroffenen Person.

Es ist natürlich verständlich und auch nötig, dass jemand, der einen suchtkranken oder psychisch kranken Partner hat, mehr Verantwortung übernimmt und den Partner betreut. Das ist ja auch in einer ausgewogenen Partnerschaft der Fall, wenn der eine eine Grippe hat und ausfällt. Der Partner würde dann ja den anderen pflegen und schonen und nicht darauf bestehen, dass die Partnerin mit einer Grippe die Kinder in die Schule bringt, den Wocheneinkauf erledigt und schnell noch einen Kindergeburtstag vorbereitet.

Doch Co-Abhängigkeit geht oft noch einen Schritt über das Nötige hinaus, da sich Co-Abhängige oft unbewusst eine*n Partner*in suchen, der eine Sucht oder eine psychische Erkrankung hat. Und oft bleiben und kämpfen sie, um den/die Partner*in zu retten, anstatt sich zu fragen: "Wie geht es mir eigentlich in dieser Beziehung? Ist es das, was ich mir gewünscht habe?"

Oft ist der Hintergrund, dass sie als Kinder einen suchtkranken Elternteil hatten, dem sie nicht helfen konnten und aus einer Art Wiederholungszwang nun stellvertretend versuchen, den/die Partner*in zu retten.

Warum schreibe ich das? Sie sind ja nicht co-abhängig, sondern Sie wünschen sich ja eher, dass die Situation mit der Ex-Frau Ihres Partners unkomplizierter und unbelasteter wäre. Aber Ihr neuer Freund scheint sein Thema mit Co-Abhängigkeit zu haben. Er könnte eigentlich seine Ex-Frau loslassen nach der Trennung, aber es gelingt ihm nicht.

Und damit sind Sie als seine Partnerin in einer Rolle, die ich aus Mangel an einem besseren Ausdruck jetzt einmal als co-co-abhängig taufen würde. Sie kreisen um einen Mann, der co-abhängig um eine psychisch kranke Frau kreist.
Ich habe auch einige Patient*innen (meistens sind es Frauen) in Therapie, die versuchen, ihren co-abhängigen Müttern dabei zu helfen, die Situation mit deren alkoholabhängigem Partner oder straffälligen Sohn (also dem Bruder der Patientin)  "unter Kontrolle" zu halten.

Teilweise werden die Töchter dazu angehalten, die Vergehen des Bruders zu tolerieren und sich juristisch dafür einzusetzen, dass er mildernde Umstände bekommt. Oder die Töchter sollen einen guten Job haben, damit sie den Lebensunterhalt der Mutter mitfinanzieren können, da sie ja einen alkoholkranken Partner zu Hause hat. Oder sie soll über das übliche Maß im Haushalt helfen, auf kleinere Geschwister aufpassen oder sich um einen Elternteil kümmern, damit der Elternteil seine Co-Abhängigkeit in Bezug auf jemanden anders fortsetzen kann.

Den co-co-abhängien Menschen fällt auch oft schwer, sich für ihre Rechte einzusetzen und zu sagen: "So geht das nicht! Ich komme zu kurz!" Oder "oder "Es war deine Entscheidung, dir einen alkoholabhängigen Partner zu suchen. Ziehe mich da bitte nicht mit rein."

Sie werden keine Literatur zu dem Thema Co-Co-Abhängigkeit finden, da ich den Begriff erst erfunden habe. Er ist auch nicht ganz akkurat. Denn während co-abhängige Menschen hartnäckig an ihrem Kreisen um den Partner oder das Kind festhalten, fühlen sich co-co-abhängige Menschen oft genervt oder überrollt von den Erwartungen, die an sie herangetragen werden. Sie würden gerne mehr Distanz haben, aber sie wissen nicht, wie sie das mache können oder haben Angst vor den Konsequenzen. Viele Co-Co-Abhängige geraten in ein Burn-Out-Syndrom.

Ich kann Ihnen raten, ganz bewusst darauf zu achten, dass Sie wieder bei sich selbst ankommen, um sich zu spüren. Praktische Methoden wären Gespräche mit Freunden, Meditation, Tagebuch schreiben oder achtsamer Sport wie Yoga, Tanzen oder Pilates.

Fragen Sie sich doch einmal, warum Sie in Beziehungen immer wieder die zweite Geige spielen und so große Rücksicht nehmen. Und wahrscheinlich wäre es generell gut, auf Ihre Autonomie zum achten und in getrennten Wohnungen zu leben, den eigenen Freundeskreis zu pflegen und immer wieder eigene Wege zu gehen, wenn Ihr Freund ausfällt.
Das wäre eine gute Grundlage, damit Sie sich fragen können, ob diese Beziehung für Sie überhaupt passend ist.

Herzliche Grüße,

Julia Peirano

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