J. Peirano: Der geheime Code der Liebe Nach meiner Abtreibung habe ich starke Schuldgefühle und finde keinen Halt

Die Entscheidung zur Abtreibung verfolgt viele Frauen noch lange (Symbolbild)
Die Entscheidung zur Abtreibung verfolgt viele Frauen noch lange (Symbolbild)
©  Finn Hafemann
Als sie sich für eine Abtreibung entschied, war die noch sehr junge Luisa damit völlig alleine. Auch Jahre später macht sie sich Vorwürfe. Kann sie lernen, mit ihrer Entscheidung zu leben?

Liebe Frau Peirano,

ich habe mich selbst in eine schreckliche Lage gebracht und ich schäme mich, jemandem davon zu erzählen. Ich bin 19 und hatte vor zwei Jahren eine Beziehung mit einem etwas älteren (23) Jungen. Ich war verliebt und hatte gehofft, dass es sich zu einer festen Beziehung entwickelt.

Vier Monate später blieb meine Regel aus und ich wurde panisch, habe aber niemandem davon erzählt, weil wir unsere Beziehung auch geheim gehalten haben. Nach zwei weiteren Monaten habe ich mich getraut, einen Schwangerschaftstest zu machen, und der war positiv. Ich habe dem Jungen (Ben) dann davon erzählt. Was ich mir erhofft habe, weiß ich nicht mal genau. Er hat heftig reagiert und meinte, dass er sich nicht vorstellen kann, so früh Vater zu werden und dass ihm das seine Zukunft versaut. Ich wusste auch nicht, was ich machen sollte, aber mir fiel niemand ein, der mir helfen könnte. Ich lebte noch bei meiner Mutter, wir hatten dauernd Streit und sie hat immer wieder Depressionen.

Zum Schluß habe ich eine Beratungsstelle aufgesucht und mich für einen Schwangerschaftsabbruch entschieden, gerade noch rechtzeitig. Der Eingriff war okay, aber ich hatte später starke Krämpfe und Blutungen. Ein paar Tage später wurde mir klar, was ich getan hatte und ich konnte nicht aufhören zu weinen. Eine Weile lang habe ich diese Gefühle nicht ausgehalten und bin viel feiern gegangen und habe auch sehr viel getrunken, um meinen Schmerz zu betäuben.

Einige Zeit später habe ich mich gefangen und mit dem Studium angefangen. In einer anderen Stadt habe ich ein neues Leben begonnen. Ich hatte immer noch Schuldgefühle und Stimmungsschwankungen, und manchmal musste ich weinen, wenn ich in einem Film eine Mutter mit ihrem Baby gesehen habe. Ich habe mir dann ausgerechnet, wie alt meine Tochter jetzt wäre.

Das dicke Ende kam dann noch. Ich hatte Anfang des Jahres häufig Unterleibsschmerzen und habe mich bei meiner Gynäkologin untersuchen lassen. Sie stellte fest, dass ich eine schwere Endometriose habe. Sie meinte, dass die Wahrscheinlichkeit, dass ich Kinder bekommen kann, sehr gering ist.

Ich weiß, dass ich das nicht tun sollte, aber ich mache mir die ganze Zeit Selbstvorwürfe. Ich habe leichtfertig mein Kind abgetrieben, und jetzt sieht es so aus, als wenn es das einzige Kind war, dass ich je bekommen werde. 

Ich habe auch Probleme, Menschen zu vertrauen. Ben hat damals so ablehnend reagiert und mich völlig allein gelassen mit der Abtreibung. Er hat mich nicht einmal in die Klinik gefahren oder mich abgeholt. Das kann ich ihm auch nicht verzeihen, dass er sich aus der Verantwortung gezogen hat und mich alleine mit der Entscheidung gelassen hat. Manchmal schaue ich auf Facebook und Instagram, was er macht, und es sieht so aus, als wenn sein Leben sorglos und glücklich ist. Während ich mich schlecht fühle.

Was kann ich tun, um mit der Situation und mit meinen Schuldgefühlen klar zu kommen?

Viele Grüße,

Luisa T.

Liebe Luisa T.,

es hört sich so an, als wenn Sie in Ihrem Leben schon viel Schweres durchgemacht haben.   

Kann es sein, dass Ihre Probleme nicht erst mit Ihrer Schwangerschaft angefangen haben, sondern schon viel früher? Sie beschreiben, dass Ihre Mutter psychische Probleme hat und mit ihrem eigenen Leben und ihren Problemen stark gefordert - wenn nicht überfordert ist. Dadurch haben Sie früh gelernt, dass Sie niemanden zur Last fallen dürfen und mit Ihren Sorgen und Problemen alleine da stehen müssen. 

Das ist das Los vieler Kinder, die einen depressiven Elternteil haben. Sie müssen selbst viel zu stark sein und sich um sich selbst und oft noch um die Mutter kümmern. Außerdem kann eine depressive Mutter in der Regel einem Kind nicht beibringen, wie man sich um seine Gefühle kümmert, seine Bedürfnisse erspürt und sich schöne Momente schafft. Die Mutter hat ja selbst Defizite in diesem Bereich, und das überträgt sich auf das Kind. 

Und dann kam Ben in Ihr Leben. Er hat Ihre negativen Glaubenssätze 
"ich bin nicht wichtig",
"ich bin eine Last, wenn ich etwas brauche"
und "ich muss alleine klarkommen" 
durch sein abweisendes und entwertendes Verhalten verstärkt. Das war für Sie in Ihrer Notsituation traumatisch, wie unterlassene Hilfeleistung, und dieser Schock hat sich tief in Ihr System eingebrannt. Letztendlich war diese Erfahrung ein entscheidender Auslöser für Ihre depressiven und posttraumatischen Symptome, unter denen Sie bis heute leiden.

Porträt Dr. Julia Peirano
© Kirsten Nijhof

Dr. Julia Peirano: Der geheime Code der Liebe

Ich arbeite als Verhaltenstherapeutin und Liebescoach in freier Praxis in Hamburg-Blankenese und St. Pauli. In meiner Promotion habe ich zum Zusammenhang zwischen der Beziehungspersönlichkeit und dem Glück in der Liebe geforscht, anschließend habe ich zwei Bücher über die Liebe geschrieben. 

Informationen zu meiner therapeutischen Arbeit finden Sie unter www.julia-peirano.info.

Haben Sie Fragen, Probleme oder Liebeskummer? Schreiben Sie mir bitte (maximal eine DIN-A4-Seite). Ich weise darauf hin, dass Anfragen samt Antwort anonymisiert auf stern.de veröffentlicht werden können.

Deshalb würde ich Ihnen auch empfehlen, genau dort anzusetzen und sich eine Psychotherapeutin oder einen Psychotherapeuten zu suchen, mit dem Sie das Trauma aufarbeiten und auch an Ihren Denkmustern arbeiten können. Es wäre sinnvoll, wenn es jemand wäre, der Traumatherapie oder EMDR anbietet. Sie können sich dazu auf dieser Webseite informieren.

Sehr wichtig für den Therapieerfolg ist eine vertrauensvolle und tragfähige therapeutische Beziehung. In einer solchen Beziehung zu sein, ist eine Erfahrung, die Sie leider bis jetzt nicht machen durften. Sie können durch eine unterstützende, mitfühlende und stabile Beziehung zur/m Therapeut*in Ihre Denk- und Verhaltensmuster hinterfragen und ändern.  Es wäre bestimmt gut, wenn Sie erfahren, dass man sich Hilfe holen darf. Oder daran zu arbeiten, wie man Menschen erkennt und an sich bindet, die hilfsbereit und vertrauenswürdig sind. In der Therapie könnten Sie dann auch an Ihren Schuldgefühlen arbeiten und Mitgefühl für das 17-jährige Mädchen entwickeln, das mit der Schwangerschaft ganz alleine ohne Unterstützung heillos überfordert war. 

Wenn Sie keinen Therapieplatz finden, können Sie sich zunächst an Beratungsstellen wenden (z.B. kirchliche Beratungsstellen, AWO, pro familia) und deren Beratungsangebot prüfen.

Ich bin zuversichtlich, dass eine Therapie Ihnen hilft, Ihre Belastungen und Probleme zu sortieren und einen Umgang damit zu erlernen, der es Ihnen leichter machen, mit diesem Kapitel abzuschließen.

Herzliche Grüße

Julia Peirano

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