Vor zwanzig Jahren kam der Kult-Film "American Pie" in die US-Kinos. Damals war ich 13. Das muss man sich mal auf der Zunge zergehen lassen. Spontaner Gedanke: Boah, bin ich alt. Halt, nee, stimmt gar nicht. Ich war einfach nur verdammt jung. Vielleicht zu jung! Ich habe mir den versauten Teeniestreifen, in dem vier Milchbubis unbedingt bis zum Abschlussball entjungfert werden möchten, damals zusammen mit meiner besten Freundin angesehen.
Mit fatalen Folgen: Das Drehbuch wurde zu so etwas wie unserer persönlichen Bibel. Genau wie die Jungs im Film hatten wir in den darauffolgenden Jahren nur ein Ziel: 1.) einen festen Freund zu kriegen und 2.) mit ihm Sex zu haben. Im Film haben sich die Jungs ihren Abschlussball als Deadline gesetzt. Bei uns war es der 17. Geburtstag.
Dabei ging es uns kurioserweise überhaupt nicht darum, eine besonders geile oder romantische Erfahrung zu machen. Nö. Wir wollten es einfach nur hinter uns bringen – um nicht als Loser dazustehen. In unserem Kopf war der Begriff "Jungfrau" in etwa gleichbedeutend mit uncool, nicht begehrenswert, hässlich, unsexy.
Unser Know-how bezogen wir aus der Bravo

Henriette Hell: Love from Hell
Henriette Hell wurde 1985 geboren und arbeitet als Journalistin/Autorin in Hamburg und unterwegs auf ihren Reisen rund um den Globus. Ihr Buch "Achtung, ich komme! In 80 Orgasmen um die Welt" ist 2015 erschienen und wurde prompt zum Bestseller. 2017 folgte "Erst kommen, dann gehen – Die Sexbibel fürs 21. Jahrhundert". Henriette schreibt gerne, ehrlich und lässig über Sex, weil sie findet, dass das viel zu wenig Leute tun.
Schockierend, nicht wahr? Immerhin hatte ich damals noch mein ganzes (Sexual-)leben vor mir. Dennoch ließ ich mich von propagierten Idealen und angeblichen Normen aus Medien, Fernsehen, Zeitschriften ganz schön unter Druck setzen. Oder ist das Ganze vielmehr als ein Trick von "Mutter Natur" zu werten, die den Fortbestand der Menschheit dadurch absichert, dass Jugendliche per se an nichts anderes denken können/sollen als Fummeln?
Achso, unser Ziel haben meine Freundin und ich natürlich nicht erreicht. Das hat uns echt gewurmt. Also taten wir das, was alle anderen Teenager auch taten: Wir haben gelogen. Geschichten erfunden. Von heißblütigen Urlaubsbekanntschaften und ausgefallenen Stellungen. Unser Know-how bezogen wir aus der Bravo.
Im Film gipfelt die Verzweiflung des Hauptdarstellers Jim (gespielt von Jason Biggs) über die eigene Unerfahrenheit schließlich darin, dass er sein bestes Stück in einen warmen Apfelkuchen steckt, weil ihm jemand erzählt hat, dass sich das anfühlen würde wie eine Vagina. Dabei wird er von seinen Eltern erwischt. Einer der peinlichsten Momente der Filmgeschichte.
Heute haben die Jungen weniger Sex
Und heute? Neue Studien belegen, dass junge Menschen viel später ein richtiges Sexleben entwickeln und weniger häufig Sex haben, als Mitglieder früherer Generationen. Schuld sind, klar, mal wieder Youporn, Tinder, Instagram, Werbung. Durch verzerrte Schönheitsideale, retouchierte Models, (vermeintlich) perfekte Instagram-Menschen, Pornostars mit Designer-Vaginas fühlen sich die Jugendlichen unter Druck gesetzt und finden echte, ihre eigenen, Körper plötzlich nicht mehr attraktiv. Also wollen sie sich lieber nicht im "real life" zeigen. Beim Sex könnten sie sich unter diesen Umständen ohnehin nicht fallenlassen. Beziehungen ohne Sex sind dafür im Kommen. Und Computerspiele, die Beziehungen simulieren. Da lob ich mir doch fast unsere alberne "American Pie"-Sex-Challenge von damals!
Dreizehn Jahre nach "American Pie" - ich war mittlerweile keine Jungfrau mehr - hatte ich das Vergnügen, Jason Biggs und seinen Kollegen Sean William Scott (aka. "Stifler") für ein Interview anlässlich einer Fortsetzung der "American Pie"-Reihe mit Berliner Ritz-Carlton zu treffen. Ich bin mit den beiden dafür in die Hotelküche gegangen. Dort haben wir zusammen einen Apfelkuchen gebacken.