In lauter einzelnen kleinen Fächern einer großen Plastikschachtel bewahrt Gabi Mann auf, was die gefiederten Freunde ihr von unterwegs mitbringen. Es ist ihr kostbarster Schatz. "Du darfst dir alles genau ansehen, aber nichts anfassen", sagt Gabi. Diese Warnung sagt sie sonst immer zu ihrem jüngeren Bruder - und muss dabei jetzt selbst lachen. Sie freut sich über Zuhörer.
In der Box befinden sich Reihen mit kleinen Objekten in Klarsichtbeutelchen. Sie sind beschriftet und auf einem steht: "Schwarzer Tisch beim Futtertablett. 14.30 Uhr, 9. Nov. 2014". Darin befindet sich eine zerbrochene Glühbirne. Ein anderes Tütchen enthält eine Scherbe braunes Glas, blindgewaschen vom Meer. "Bierfarbenes Glas", hat Gabi das Fundstück genannt.
Eine eigenartige Kollektion
Jedes Teil ist einzeln verpackt und kategorisiert. Gabi nimmt einen schwarzen Reißverschluss aus einem Beutel und hält es hoch. "Wir versuchen, sie in gutem Zustand zu halten", sagt sie und erzählt, dass dieses Objekt zu ihren Favoriten gehört. Ein silberfarbenes Kügelchen, ein schwarzer Knopf, eine blaue Büroklammer, eine gelbe Glasperle, ein verblichenes Stück Hartgummi, ein blaues Lego-Teil - die Liste an Fundstücken ist lang. Viele sind abgenutzt und dreckig. Eine eigenartige Kollektion für ein kleines Mädchen, aber für Gabi ist sie mehr als Gold wert.
Sie hält ein perlfarbenes Herz hoch, ihr wertvollstes Geschenk. "Es zeigt mir, wie sehr sie mich lieben." Gabis Beziehung zu den Vögeln begann 2011, ganz zufällig. Sie war vier Jahre alt und neigte dazu, Essen fallen zu lassen. Sie wollte aus dem Auto steigen und ein Chicken-Nugget fiel von ihrem Schoß. Eine Krähe kam angeflogen und holte es sich. Kurz darauf begannen die Krähen, sie zu beobachten, in der Hoffnung, dass noch einmal etwas für sie abfiele.
Beste Freunde
Als sie größer wurde, belohnte Gabi diese Aufmerksamkeit, indem sie auf dem Weg zum Schulbus den Inhalt ihrer Brotdose mit den Krähen teilte. Ihr Bruder machte das nach. Schon bald reihten sich nachmittags die Krähen auf und warteten auf Gabis Bus, in der Hoffnung auf eine weitere Fütterung. Gabis Mutter Lisa war nicht böse darüber, dass die Krähen den größten Teil dessen bekamen, was sie in die Brotdosen gepackt hatte. "Ich mag es, dass sie die Tiere lieben und bereit sind zu teilen", sagt sie zu Katie Sewall, und gesteht, dass sie die Krähen nie wahrgenommen habe, bis ihre Tochter sich für sie interessierte. "Es war wie ein Wandel, ich habe mich früher nie für Vögel interessiert." Seit 2013 füttern Gabi und Lisa die Krähen täglich und lassen nicht mehr nur ab und zu etwas fallen.
Sie füllen jeden Morgen das Vogelbad mit frischem Wasser und verstreuen Cashewkerne auf den Futterflächen. Gabi wirft Hände voll Hundefutter ins Gras. Während die beiden das Essen verteilen, versammeln sich die Krähen auf den Telefonleitungen und rufen ihnen laut zu. Kurz nachdem sie diese Routine entwickelt hatten, tauchten die ersten Geschenke auf. Die Krähen fraßen die Nüsse von den Tabletts und ließen dort glänzende Schmuckstücke zurück: einen Ohrring, ein Scharnier, einen glänzenden Stein. Ein Muster ließ sich nicht erkennen. Die Geschenke kamen sporadisch - alles, was glänzte und klein genug war, um in den Schnabel zu passen.
Einmal war es ein kleines Stück Metall, auf das das Wort "Best" gedruckt war. "Ich weiß nicht, ob sie den Teil, auf dem 'Friend' steht, noch haben", lacht Gabi bei der Vorstellung, dass eine der Krähen die andere Hälfte der Freundschaftskette trägt. Sieht man die Sammlung, fällt es einem schwer, sich nicht eigene geschenkebringende Krähen zu wünschen.
Nachmachtipps vom Experten
"Wenn du eine Beziehung zu einer Krähe entwickeln willst, musst du sie regelmäßig belohnen", rät John Marzluff, Professor für Tierforschung an der Universität Washington. Er hat sich auf Vögel spezialisiert, insbesondere auf Krähen und Raben. "Welches Futter ist das beste?", hat Sewall ihn gefragt. "Ein paar Erdnüsse mit Schalen. Das ist hochenergetisches Futter und macht ein Geräusch, wenn du es auf den Boden wirfst. Das können sie dann hören und sie gewöhnen sich an deine Routine."
Marzluff und sein Kollege Mark Miller haben eine Studie über Krähen und Menschen, die sie füttern, verfasst. Sie fanden heraus, dass Krähen und Menschen eine sehr persönliche Beziehung führen. "Es gibt eine wechselseitige Kommunikation. Sie verstehen die gegenseitigen Signale", so Marzluff. Die Vögel teilen sich auf die Art, wie sie fliegen, mit, wie dicht sie herankommen und wo sie sitzen. Die Menschen lernen diese Sprache und die Krähen lernen den Rhythmus und die Körperhaltung ihrer Fütterer. Sie beginnen, sich kennenzulernen und sich zu vertrauen. Manchmal lässt eine Krähe ein Geschenk zurück.
Aber Geschenke von Krähen sind keine Garantie. "Ich kann nicht versprechen, dass sie das immer tun." Marzluff gesteht, selbst nie ein Geschenk erhalten zu haben, "aber ich habe schon eine ganze Menge Zeug gesehen, das Krähen Menschen gebracht haben". Auch stellen nicht alle Krähen glänzende Schätze zu. Manche verschenken Dinge, "die sie auch einem Artgenossen geben würden". "Balz-Futter, etwa. Deswegen bekommen manche Menschen tote Küken von Krähen."
Lost and found
Gabi hat auch schon ein paar ekelige Dinge bekommen. Ihre Mutter hat zum Beispiel eine verrottete Krebsschere ausgemistet. Gabi zeigt auf eine stark verrostete Schraube, die sie lieber nicht anfasst. Sie trägt das Label "Drittliebstes Teil". Auf die Frage, warum ein Objekt, das sie nicht berühren mag, einer ihrer Favoriten ist, antwortet sie: "Man sieht Krähen nicht so oft Schrauben transportieren. Außer sie versuchen, ein Haus zu bauen."
Lisa, Gabis Mutter, fotografiert die Krähen regelmäßig und zeichnet ihr Verhalten sowie die Interaktion auf. Das für sie erstaunlichste Geschenk kam erst vor ein paar Wochen, als sie ihren Objektivdeckel auf einem Weg in der Nähe verloren hatte, als sie einen dreisten Adler fotografierte, der in der Nachbarschaft kreiste. Sie musste gar nicht erst danach suchen, er lag auf der Ecke des Vogelbades. Hatten die Krähen ihn gebracht? Lisa loggte sich in ihren Computer ein und hielt die Vogelkamera an. Da war die Krähe, die sie unter Verdacht hatte. "Man sieht sie, wie sie ihn in den Garten bringt, zu dem Vogelbad läuft und tatsächlich Zeit darauf verwendet, den Objektivdeckel abzuspülen. Ich bin sicher, das war Absicht", lacht Lisa. "Sie beobachten uns die ganze Zeit. Ich bin sicher, sie wussten, dass ich ihn fallengelassen habe. Und ich bin sicher, sie wollten ihn zurückgeben."