Birgit Vanderbeke "Dann mache ich Ihnen den schönsten Ochsenschwanz"

Sie schreibt feingeistige Literatur, voller Witz und Eleganz. Sie isst Schweinebacke, genießt Hammelhoden und Schneckenspieße. Sie joggt nicht, sie bewegt sich kaum. Lustvoll lässt Birgit Vanderbeke Deftiges und Fettes in Töpfen schmoren - und dennoch: "Bei meinem letzten Buch habe ich über fünf Kilo abgenommen. Denken hält schlank"

Frau Vanderbeke, was für eine sind Sie bloß? Seltsames wie Schweinefüße, Schweineschwarten, Schweinenieren, Schneckenspieße, Kutteln, Kalbshirn, Brennnesseln und Hammelhoden preisen Sie in Ihrem Kochbuch als große Genüsse an.

Ja und, warum denn nicht? Das sind herrliche Geschmackserlebnisse meiner Kindheit, wunderbare Erinnerungen. Diese Dinge sind großartig, vor wenigen Jahren noch war das die ganz normale Alltagsküche.

Hammelhoden?

Ja. Sie brauchen pro Person zwei Hoden. Die werden in Scheiben geschnitten, Knoblauch, gemörserte Peperoni dazu, ein Glas Olivenöl und ein Glas Wasser, Salz, Pfeffer, und dann werden sie sachte gegart. Nach zehn Minuten sind die Dinger fertig - sie sind zart und wohlschmeckend, ein ganz großer Genuss.

Ich bitte Sie, mit Nietzsches Zarathustra möchte man da aufschreien: "Ha! Lass! - Haha! Ekel, Ekel, Ekel - wehe mir!"

Ach, was. Aber Sie haben schon Recht, bei der Masse der Leute greift das Gefühl von Ekel um sich, eine Igitt-Haltung macht sich breit, und immer mehr Gerichte verschwinden. Man isst den Schinken vom Schwein, schüttelt sich aber beim Gedanken, seine Leber zu essen.

Was bringt eine Romanschriftstellerin, eine Ingeborg-Bachmann-Preisträgerin dazu, ein Kochbuch zu schreiben?

Ich will einfach nicht wortlos hinnehmen, wie gute Gerichte mit Tabus belegt werden und verschwinden. Ich habe als Kind Schweinshirn und Kartoffelbrei gegessen. Ich habe das nicht vergessen. Wenn Sie das heute einer Mutter empfehlen, dann, dann...

...dann schreit die entsetzt auf!

Ja. Und dagegen schreibe ich an. Vielleicht dachten manche tatsächlich, die Vanderbeke hat jetzt einen Knall, so ein Buch zu machen. Aber dieses Kochbuch ist mir genauso wichtig wie meine literarischen Werke. Es ist jahrelang in mir gewachsen.

Was hat Sie denn dazu getrieben? Wut?

Es ist Ärger, ein Nicht-einverstanden-Sein damit, wie sich die Welt entwickelt. Literatur entsteht doch nur, wenn man zwischen sich und der Welt einen Abgrund empfindet. Und ich sehe, wie sich ein Abgrund zwischen mir und der kulinarischen Welt entwickelt hat.

Kochen ist Zaubern

Als Kind aß sie am liebsten Erbsensuppe mit Schweineschwänzchen oder Linsensuppe mit Schweinsohren. Manchmal, auf dem Weg in den Kindergarten, kaufte sich das Mädchen in Frankfurt beim Metzger Waibel Schweinsfüße - um daran rumzuknabbern. Merkwürdigerweise wurde Birgit Vanderbeke nicht Köchin, sondern Schriftstellerin. Aber - logisch - Essen spielt in ihrem ersten Buch "Das Muschelessen" eine große Rolle: Der tyrannische Vater kommt nicht rechtzeitig zum Essen, die Familie plant die Revolte. Mit dieser Groteske gewann Vanderbeke 1990 in Klagenfurt einen der wichtigsten deutschen Literaturpreise, den Ingeborg-Bachmann-Preis. Seitdem gilt die heute in Südfrankreich lebende Autorin als wichtige deutschsprachigen Schriftstellerin. In "Alberta empfängt einen Liebhaber", einem ihrer Bestseller, demontiert sie das Glücksversprechen der Liebe: "Ein grandios geschriebenes, hocherotisches Buch", lobte Marcel Reich-Ranicki. 15 Jahre gärte ihr aktuelles Buch in ihr: "Schmeckt's? Kochen ohne Tabu" (158 S., 14, 90 Euro, S. Fischer). Aus Wut hat die 48-Jährige es geschrieben - weil alte Rezepte verschwinden, weil Supermärkte um sich greifen, weil Genüsse wie Rinderzunge verpönt sind. Es ist ein ungewöhnliches Kochbuch, ohne Bilder, manchmal ohne genaue Temperatur- und Mengenangaben - ein Lesebuch, ein kulinarisches Manifest gegen die Gleichschaltung des Geschmacks. Es geht um die Kunst des Kochens, es geht um viel mehr, sagt Vanderbeke: "Es geht um Zauberei."

Sie haben nichts dagegen, wenn ich Sie jetzt die Mutter Teresa des Kochlöffels nenne?

Ich bin keine Missionarin. Ich bin einfach enttäuscht. Ich habe mir nie viele Gedanken übers Essen gemacht, bis zu dem Augenblick, als aus den Läden die Sachen verschwanden, die mir schmeckten, und zugleich Light-Produkte und Fertiggerichte aufkamen, als sich der Gesundheits-, Fitness-, Sport- und Gemüsewahn in Deutschland ausbreitete - und die Menschen dennoch immer dicker und dicker wurden, so viereckig, so quadratisch wie die Amerikaner.

Und dagegen empfehlen Sie Rezepte, aus denen das Fett tropft?

Ich habe keine Angst vor Fett, ich koche mit Öl, Butter, Gänse-, Enten- oder Schweineschmalz. Ich jogge nicht, renne nicht rum wie eine Verrückte - ich habe mein Leben lang enorm gut gegessen, nie eine einzige Kalorie gezählt, wiege 56 Kilo und bin 1,68 groß.

Wenn Sie ein Buch schreiben, sitzen Sie am Schreibtisch, bewegen sich kaum - da wird man doch dick.

Schreiben ist physisch sehr anstrengend, ich verbrenne da unglaublich viel Energie. Ich hab mal einen Winter lang ein Buch geschrieben und mich dabei fast ausschließlich von Bohnensuppe und Grünkohl mit Schweinebacke ernährt. Ich habe trotzdem fünf Kilo abgenommen. Denken hält schlank. Ich fühle mich wohl in meiner Haut. Und ich glaube, das ist auch so, weil ich gerne koche und die Speisen meiner Kindheit genieße.

Mutters Rezepte verschwinden, klagt Wolfram Siebeck, und fast verzweifelt ruft der Gourmet-Papst: "Retten wir den Geschmack, retten wir die Erbsensuppe!"

Ja. Mein Kochbuch ist ein Abgesang auf das vergangene Jahrhundert. Ich bin bittertraurig. Wer heute aufwächst, wird nicht mehr vermissen, wie fein gebratenes Lammhirn schmeckt. Er kennt es nicht, kann gar nicht traurig sein über die Verarmung seines Lebens. Ich hänge an dem, das dem Fortschritt geopfert wird. Mein Kochbuch ist ein nostalgischer Abschied, ein Rückblick auf ein Leben, in dem das Essen noch einfach so wuchs - nicht durch künstliche Enzyme manipuliert, durch Gen-Futter stimuliert. Es ist ein Buch des inneren Aufruhrs.

Sie wünschen sich, dass die Leser nach dem Genuss Ihres Kochbuches Gabel und Messer in die Hand nehmen und auf die Supermärkte losstürmen und ...

...die Revolution auslösen? Schön wär's. Ich glaube nicht, dass ich die Geschmacksneutralisierung der Welt aufhalten kann. Aber es wäre natürlich großartig, wenn die Menschen in die Metzgereien und Läden stürmten und fragen würden: "Wo sind die Hühnerherzen? Wo ist das Kalbsbries? Wo sind die Schweinsfüße?" Das ist mein Traum. Und dass die Leute anfangen, Ochsenschwanzragout zu kochen, weil es ihnen schmeckt. Dass sie wieder lernen, eine Brennnesselsuppe zu kochen, weil die herrlich schmeckt. Dass sie lernen, eine Zunge, die die Kuh im Maul hatte, ohne Ekelgefühle anzufassen und mit Lust zu verarbeiten.

Ihrer schönen Hoffnung zum Trotz, Frau Vanderbeke - nach einer Untersuchung wissen 60 Prozent der Bundesbürger nicht mehr, wie man einen Braten zubereitet.

Ich weiß, dass die Nahrungsmittelindustrie gewinnen wird, wohl schon gewonnen hat. Sie hat es geschafft, ein Nahrungsbild zu vermitteln, nach dem Kochen ganz schnell gehen muss. Man geht in den Supermarkt, greift nach dem in Plastik eingeschweißten fertig panierten Schnitzel, wirft das grau-grauplige Zeugs für ein paar Minuten in die Pfanne - fertig. Was man da in sich reinstopft - man weiß es nicht. Ich finde das pervers.

Aber Sie schreiben, wie "sympathisch sich Lammhirn" anfühlt: "weich, aber nicht zu weich". Klingt auch pervers!

Wieso denn? Die meisten Menschen haben heute leider eine Scheu, ein Hirn oder eine Niere in die Hand zu nehmen. Sie ekeln sich. Solange das Zeug in der Wurst steckt, essen sie, ohne mit der Wimper zu zucken, Hirn, Klauen, Zehen und Knorpel. Aber igitt rufen sie, sobald sie sehen, dass die Dinge, die sie essen, mal gelebt haben. Eine Kalbsleber erinnert sie an Leben.

Wenn ich ein Rinderherz sehe, denke ich mit Schrecken an meine eigene Pumpe.

Ja, sicher. Und da ich um dieses Ekelgefühl weiß, fange ich in meinem Kochbuch ganz didaktisch immer mit der kleinsten Form der Innereien an, also beim Herzen zuerst mit Hühnerherzen. Mit so einem kleinen Hühnerherzlein kann jeder umgehen. Wer sich darauf einlässt, stellt plötzlich fest: Es schmeckt unglaublich gut! Ich habe in Kinderläden gekocht, da sagten Mütter oft: "Mein Kind isst nur Nudeln mit Butter!" "Rinderzunge? Iiieh! Die isst mein Sebastian nicht!" Aber die Kinder essen die erstaunlichsten Dinge.

Das mag ja sein, aber noch etwas hält die Leute vom Kochen ab: Bohnen schnippeln, Zwiebel schneiden, einen glitschigen Fisch filetieren - das ist Arbeit, das macht Mühe, kostet Zeit! Viel Zeit

! Das mit der Zeit ist doch absurd! Die Leute haben sich einreden lassen, dass Kochen Zeitverschwendung ist und in der Küche alles ganz schnell gehen muss. Der Sündenfall ist die Mikrowelle mit dem Versprechen, Essen lasse sich in zwei Minuten kochen. Dieses Versprechen ist ein Verbrechen. Die Mikrowelle ist so schlimm wie das Handy! Wie? Was meinen Sie denn damit? So wie das Handy die Intimität und die Privatheit zerstört hat, zertrümmert die Mikrowelle die Kultur des Kochens. Es herrscht nun der Terror der Geschwindigkeit. Aber Kochen ist ein Vorgang, ein Prozess, der sich nicht beschleunigen lässt. Die Leute haben doch Zeit, stundenlang joggen sie sinnlos durch die Gegend. Für das Fernsehen haben sie unendlich viel Zeit.

Sie regen sich ja richtig auf!

Nein, aber die Frage ist doch: Warum hören denn die Menschen auf, Bücher zu lesen, seit es das Fernsehen gibt? Es ist Faulheit. Die Faulheit raubt den Menschen unglaublich angenehme Stunden und wunderschöne Erfahrungen, tötet Kreativität. Ich staune, wie die Menschen die Verarmung ihres Genusslebens hinnehmen, wie willfährig sie nach standardisiertem Essen greifen, nach fürchterlichen Fertigpizzen, die blähen.

1971 eröffnete McDonald's sein erstes Lokal in Deutschland, heute sind es 1262. Damals schrieb eine Kritikerin der "Süddeutschen Zeitung" über eine Kostprobe: "Es schmeckt eines wie das andere, und das Sesambrötchen eignet sich gewiss zur Füllung eines Plumeaus, federnd weich, aber Geschmack hat es nicht. Was ich vor allem für gefährlich halte: dass sich die Menschheit an eine solche Art Essen einmal gewöhnen könnte." Sie hat sich daran gewöhnt: 50 Millionen Kunden bewirtet McDonald's pro Tag in 119 Ländern.

Genuss muss man lernen. Warum wird Essen nicht in den Schulen gelehrt? Natürlich, alle Kinder wollen zu McDonald's, die bieten wunderbare Geburtstagspartys, die wissen, wie man die Leute anlockt. Ich bin mit meinem Sohn, er war damals elf, die Champs-Élysées in Paris hochgegangen bis zum Triumphbogen. Es gibt dort einen Fast-Food-Laden nach dem anderen. Mein Sohn war wie alle anderen Kinder scharf auf das Zeugs, und ich habe zu ihm gesagt: "Jetzt machen wir eine Geschmacksprobe." Wir sind in jeden Laden rein und haben uns durch die Hamburger gekostet - er war enttäuscht, wie gleich alles schmeckte. Fast Food hat er nie mehr angerührt. Und heute, mit 20, kocht er jeden Tag für seine Freundin. Die staunt - und genießt mit Freuden.

Für die meisten Menschen bleibt Kochen aber freudlose Arbeit, Zeitverschwendung. Deshalb reißen sie Tüten auf, werfen Brühwürfel ins Wasser - ratzfatz ist die Suppe fertig, und das Zeugs schmeckt ja!

Ja? So etwas kann man nur sagen, wenn die Geschmacksnerven schon denaturiert sind. Brühwürfel schmecken nach Salz und immer gleich, nach irgendwelchen synthetischen Extrakten. Ein Brühwürfel ist ein aromatisiertes Chemieprodukt. Wenn die Leute wüssten, was sie da runterschlucken, würde es ihnen hochkommen. Es ist Weizenkleber, der mit Leichtbenzin ausgelaugt, mit Natronlauge neutralisert, mit Aromen aufgepäppelt und mit E621, E627, E631geschmacksverstärkt wird. Eklig. Aber eher würgen die Leute bei der Vorstellung, ein Huhn in einen Topf zu werfen, Suppengrün draufzulegen und das Ganze ein paar Stunden in Wasser vor sich hinköcheln zu lassen. Dann sagen sie noch: Das ist Arbeit. Mühe. Ich kann das nicht!

Nein, es ist nicht nur Arbeit, es ist auch eine Frage des Geldes. Es ist doch billiger, sich aus Dosen und Tüten zu ernähren, von Fast Food und Fertiggerichten zu leben.

Das ist nun wirklich Unsinn. Es gab eine Zeit für mich, das war vor dem Bachmann-Preis, da wusste ich oft nicht, wie ich die Miete zahlen sollte. Aber ich habe trotzdem sehr gut, sehr gesund gegessen. Makrelen in jeder Form, die sind billig, Eier in Senfsauce mit Salzkartoffeln, Aufläufe, Linsen kosten kaum etwas. Aus Brennnessel lassen sich wunderbare Suppen herstellen. Als wir das Haus hier kauften, hatten wir kein Geld mehr. Wir entdeckten, dass bei uns Sauerampfer wächst. An Sauerampfersuppe haben wir uns dann überfressen. Aber ich habe damals gelernt: Wenn ich schon arm bin, ruiniere ich mich doch nicht weiter, indem ich etwa Chili con Carne in der Dose kaufe, das mich dreimal so viel kostet, als wenn ich ein Chili aus ein paar Bohnen, ein bisschen Fleisch und Tomaten selber herstelle! Und das ungleich besser schmeckt als dieser fürchterliche Fertigfraß für die teure Mikrowelle!

Sie klagen und klagen: Dabei wird im Fernsehen auf allen Kanälen geschnippelt, gehobelt, geraspelt, gerührt und geköchelt.

Das stimmt. Aber man weiß aus anderen Kulturen, dass etwas nochmals kurz und heftig aufblüht, bevor es endgültig verschwindet. In der Botanik nennt man solch einen Boom Panikblüte - nach dieser Panikblüte sind die Dinge weg. Im Augenblick geht das Wissen verloren, dass man mit Kochen zaubern und verzaubern kann. Saure Nierchen sind auf dem Rückzug. Leber, Berliner Art - wie lange wird es das noch geben? Es verschwindet das Wissen, dass man mit drei, vier trivialen Dingen etwas schaffen kann, wovon man noch Wochen später träumt.

Gibt es ein Essen, auf das Sie immer wieder Lust haben?

Ja, klar. Alle paar Monate habe ich einfach im Mund die große Sehnsucht nach Ochsenschwanzragout. Ochsenschwanzragout? Ja, und es ist ganz leicht zu machen. Sie braten einen Ochsenschwanz in Olivenöl, Enten- oder Schweineschmalz an, geben geschnittene Zwiebeln, etwas Knoblauch hinzu, wenn Sie wollen auch ein paar Tomaten, ein paar Karotten, das muss aber nicht sein. Und dann füllen Sie das mit Wasser auf, lassen es ein paar Stunden schmoren, geben ein Glas Rotwein dran, ein paar Pilze und Kartoffeln, lassen das ziehen - und fertig ist das Ragout.

Ich sag's doch: Das ist Arbeit.

Ach was. Das ist Genuss. Unheimlich gut. Das ist ein Geschmackserlebnis, das man sonst nirgendwo findet. Ihnen läuft das Wasser im Mund zusammen. Sicher, denn dieser Ochsenschwanz ist großartig. Jetzt gehen wir zum Metzger, ich kenn da einen guten, dann mache ich Ihnen den schönsten Ochsenschwanz!

print
Arno Luik

PRODUKTE & TIPPS