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Sarah Wiener über gesunde Ernährung "Die Leute ekeln sich, wenn sie einen toten Fisch sehen"

Rund zwei Millionen Kinder in Deutschland sind übergewichtig. Mit der Initiative "Ich kann kochen" will Sarah Wiener Kindern ein Bewusstsein für gesunde Ernährung vermitteln. Im stern-Gespräch verrät sie, warum Kochen mehr als nur ein Frauen-Thema ist.
Von Larissa Schwedes & Wiebke Wetschera

Man kann nur mögen, was man kennt: Sarah Wiener und die Barmer GEK wollen Kindern die Lust an gesundem Kochen und Essen näher bringen. Mithilfe der neuen Initiative "Ich kann kochen" sollen Kinder eine eigene Haltung und die Fähigkeit entwickeln, sich selbst gesund zu ernähren.  Innerhalb der nächsten fünf Jahre sollen Lehrer und Erzieher als "GenussbotschafterInnen" in Kindergärten und Schulen eingesetzt werden. Deren Aufgabe ist es, aus über einer Million Kindern genussvolle Esser und kreative Köche zu formen.

Viele Menschen in Deutschland ernähren sich falsch. Welche Folgen wird das haben?

Es wird von Generation zu Generation schlimmer. Es ist kein Zufall, dass heute Sechsjährige Alters-Diabetes, Allergien, Nahrungsmittelunverträglichkeiten oder Fettsucht haben. Das sind Alarmsignale, die mit Bewegungsmangel, Umweltgiften, aber in erster Linie mit Ernährung zu tun haben.

Wo liegt die Wurzel des Problems?

Wir sind nicht mehr mit der Umwelt und den Bauern verbunden, die unser Essen anbauen. Leute ekeln sich, wenn sie einen toten Fisch sehen. Gleichzeitig hauen sie sich Burger und Fischstäbchen rein. Wir essen wochenlang haltbares Brot aus dem Supermarkt, weil wir nicht mehr wissen, dass frisches Brot in Plastik sofort schimmeln würde. Wir haben eine Vorliebe für Industriezucker - für tote, leere Kalorien.

Was macht das mit unserem Ernährungsbewusstsein?

Wenn du nicht mehr weißt, wie ein selbstgemachter Salat mit roten, gelben, blauen, schwarzen Tomaten schmeckt, wirst du auch niemals danach Sehnsucht haben. Du wirst immer nur die großen, roten Kugeln aus dem Supermarkt essen, schnittfestes Wasser ist das.

Warum sollten Kinder in der Schule kochen?

Weil sie dabei so viel lernen: Rechnen, Lesen, Logik, Geografie, Chemie, Physik. Viele denken: Eine Köchin macht einen netten Kochkurs , weil ihr wahrscheinlich nicht anderes eingefallen ist.

Stimmt das nicht?

Für mich ist Kochen der erste zivilisatorische und kulturelle Beitrag, der Menschen in ihrem Denken unabhängig macht. Es ist wichtig, dass du beurteilen kannst, was du in deinen Körper stopfst. Sonst habe ich Zweifel, dass du irgendetwas Anderes beurteilen kannst. Kochen züchtet Individualisten heran. Deswegen ist Kochen auch mehr als ein leichtes Frauen-Thema, wie viele Männer denken. Die denken, sie retten mit ihren Devisen die Welt auf dem Wirtschaftsmarkt, aber ich sage: Die werden sich umschauen, wenn sie nichts mehr zu essen haben!

Bringt eine Initiative wirklich was, wenn im Elternhaus alles schief läuft?

Wir können zumindest ein Samenkorn pflanzen. Wenn du einmal an einem heißen Herd gestanden, Öl reingeschüttet und gesehen hast, wie Zwiebeln glasig, gelbbraun, dunkelbraun, schwarz werden, kann dir das niemand mehr nehmen. Wenn du einmal probiert hast, Spaghetti in der Pfanne zuzubereiten, statt in kochendem Wasser, vergisst du das niemals.

Haben Kinder eine angeborene Neugier auf unbekannte Lebensmittel?

Das "über den Tellerrand schauen" ist erstmal eine Überwindung. Wie Kinder die Welt kennen lernen müssen, müssen sie auch Lebensmittel in kleinen Schritten entdecken. Es funktioniert nicht, Kindern einfach einen Grünkernburger in Vollkornqualität vorzusetzen. Aber wenn man es richtig macht, will jedes Kind auch sein eigenes Werk essen. Auf dem Teller liegt plötzlich nichts Fremdes, grün Schillerndes, klein Gehacktes mehr. Sie wissen, dass das vorher ein Salatkopf und eine Tomate war.

Viele Kinder denken: Alles, was gesund ist, schmeckt ekelig.

Dabei ist alles, was gesund ist, genussvoll, schmackhaft und sinnlich! Du kannst mir doch nicht ernsthaft erzählen, dass ein überzuckerter Erdbeerjoghurt mit Aromen, auf Schimmelpilzen gezüchtet, Geschmack und Ess-Lust bedeutet! Ein Getränk aus Phosphorsäure, Zitronensäure, Zuckercouleur, Industriezucker mit ein bisschen Quellzucker ist auch nicht schmackhaft. Wir werden darauf geeicht, weil wir es von klein auf so kennen.

Kann man es Kindern wirklich zumuten, sich Gedanken über ihre Ernährung zu machen?

Natürlich kann man nicht erwarten, dass Fünfjährige im Bio-Supermarkt das Richtige in ihren Einkaufskorb packen. Da ist absurd. Ich will Ihnen vermitteln: Das ist Spaß und Spiel. Es macht Freude, mit den Händen kreativ zu werden und am Ende etwas Eigenes zu essen.

Verraten Sie uns Ihr Lieblingsgericht?

Wie kann man denn ein Lieblingsgericht haben, in der Fülle von köstlichen Dingen, die mich umgeben? Ich esse im Winter anders als im Sommer, bei Liebeskummer anders als bei guter Laune.

Gibt es nichts, was immer geht?

Ein süßer Knödel, mit Marille und gerösteten Walnuss-Dinkel-Brösel. Der mich anlächelt, so pflaumig und weich, in einem zerlassenen Butterspiegel. Zu dem würde ich jederzeit sagen: Komm zu mir!

 

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