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Sektkellerei Rotkäppchen spielt Wolf

Zu DDR-Zeiten Luxusgesöff, nach der Wende Inbegriff für billige Volksbrause - und heute? Marktführer, der andere schluckt! Rotkäppchen-Sekt ist auch in der Fastenzeit Deutschlands Schaumstoff Nummer eins.

Hier werden sie hübsch gemacht fürs durstige Gesamtdeutschland. In der gigantischen Abfüllhalle klirren die Flaschen an den Fotozellen der Automaten vorbei. Anfangs sind sie noch grün und nackt, wie die Glashütte sie schuf, doch Maschine für Maschine bekommen sie erst ihren Inhalt und dann ihre Ausstattung verpasst: Sekt rein, Plastikkorken und Drahtkörbchen drauf, Kapsel anrollen, Halsschleife und Etikett kleben. Die Anlage fährt 20 000 Flaschen in der Stunde, Volllast! Für Gunter Heise ist der Lärm der Füllstraße Musik in den Ohren. Zufrieden wie ein gestillter Säugling steht er davor, achtspurig rauschen die Flaschen an ihm vorbei. Dann, an der Etikettiermaschine, brüllt er eine Zahl: "Sechsundsechzig Millionen!" Heise ist der Boss von Rotkäppchen, und es ist seine Zahl. Er hat sie gemacht. Er hat Aufstieg, Fall und die Wiedergeburt von Rotkäppchen am eigenen Leib erfahren. Rotkäppchen ist Deutschlands erfolgreichster Sekthersteller und Gunter Heise der Geschäftsführer. 66 Millionen Flaschen gingen im Jahr 2004 vom Band.

Über das Holperpflaster der Sträßchen von Freyburg an der Unstrut im schönen Sachsen-Anhalt donnern Tanklastzüge aus aller Herren Länder am Turnvater-Jahn-Denkmal vorbei. Dann geht es noch ein paar hundert Meter weiter bergauf zur Kellerei. Die Laster liefern die Grundweine: Lugana aus Venetien, Macabeo aus Katalonien, Ugni blanc aus der Charente. Genau wie von Hannelore Jankowa geordert. Frau Jankowa ist die Direktorin des Zentraleinkaufs - die Zunge des Unternehmens. "Auch vor der Wende haben wir schon im Ausland gekauft", sagt sie. "Nicht nur im Ostblock."

Jankowa durchforstet die Anbaugebiete Europas nach Grundweinen für die verschiedenen Sorten, halbtrocken, trocken und mild. Besonders erfolgreich ist die halbtrockene Variante; sie macht rund 50 Prozent des Umsatzes aus. "Ein bis zwei Millionen Liter pro Charge nehmen wir mindestens ab. Das lohnt sich ja sonst gar nicht", sagt sie. Die Grundweine werden je nach Rezeptur gemischt. Die dabei entstehende Cuvée wird dann mit Zucker und Hefe versetzt und in Gärung gebracht, damit sich ordentlich Kohlensäure bildet - die späteren Perlen im Glas. Sechs Monate bleiben die Schaumweine im Tank, bevor sie gefiltert, abgefüllt und ausgeliefert werden. Hier wird geklotzt, nicht gekleckert. Rotkäppchen ist Volksbrause - sie schmeckt auch so. Aber das muss man erst mal hinkriegen.

Die Verarbeitung ausländischer Weine hat Tradition im deutschen Sektgewerbe - seit der Reblausplage, seit den Jahren nach 1874. Bereits die Firmengründer Kloss und Foerster konnten ihre Existenz während der Epidemie in den Hausweinbergen nur sichern, indem sie sich mit Weinen von dort versorgten, wo das Insekt noch nicht war. Allen anderen Sektkellereien der Region machte die Laus den Garaus. Dieses Krisenmanagement schuf ein internationales Geschmacksbild, an dem die Deutschen Gefallen fanden. Deshalb hielt man auch nach dem Sieg über die Reblaus daran fest.

Keiner wollte Rotkäppchen übernehmen

Vor dem Fall der Mauer brachte es die VEB Rotkäppchen Sektkellerei auf rund 15 Millionen Flaschen im Jahr, was ungefähr einer Flasche pro Bürger der DDR entsprach. Plansoll erfüllt. Wenn es was zu feiern gab, war Rotkäppchen mit von der Partie - und den Menschen lieb und teuer. So eine Flasche war nicht einfach nur ein Sekt, sondern verschwenderischer Luxus; zwischen 17 und 23 Ostmark kostete der Spaß. 1990, im Jahr der Wiedervereinigung, gab es viele Gründe anzustoßen - doch nicht mehr mit Rotkäppchen. Die DDR-Bürger tranken lieber mit Westsekt aufs neue Deutschland, die Zahlen des DDR-Vorzeigebetriebs sackten in den Keller; 1,5 Millionen Flaschen Jahresproduktion waren der Tiefpunkt. Im Juni 1990 übernahm die Treuhand den Betrieb; das Ende schien gekommen.

"Alle Interessenten, die hier auftauchten, haben abgewinkt. Keiner wollte Rotkäppchen", erinnert sich Heise. Dann packt er aus, erzählt die Geschichte seines Lebens; man spürt, wie ihm das Adrenalin ins Blut schießt: "Aber wir! Wir wollten es!" 1993 machte er der Treuhand mit vier waghalsigen Kollegen und der Familie Eckes-Chantré als Geldgeber im Rücken ein Angebot: Management-Buy-out. Die Rechnung ging auf. Heute ist Rotkäppchen eine der wenigen Marken, die die DDR erfolgreich überlebt haben - und Heise Anteilseigner.

Die Liebe zum Gewohnten war halt doch stärker als die Neugierde auf den Westsekt; am Ende sind die Ossis ihrem Rotkäppchen nicht nur treu geblieben, ihr Durst wuchs sogar. Und im Westen, Herr Heise? "Die Leute haben Rotkäppchen probiert und merkten, das schmeckt ja besser, als wir dachten. Gar nicht nach DDR!" So schnappte die Ostbrause den Westmarken die Stellplätze in den Regalen weg. Das kleine Rotkäppchen mutierte zum Wolf der Branche. Mit der Übernahme der Sektdynastien Mumm und MM fädelte Heise 2002 den bisher größten Coup seiner Karriere ein.

Das Haus produziert auch handgerüttelten Premiun-Sekt

Bei allem Massenerfolg - ein wenig Glamour wollte er Rotkäppchen dennoch gönnen. Und so kam es Heise schon vor Jahren sehr gelegen, dass in SaaleUnstrut vereinzelt Weinbauern begonnen hatten, Weißburgunder-Trauben anzubauen. So wie Thomas Herzer aus Roßbach bei Naumburg. Er betreibt Weinbau am Rande der Möglichkeiten; die Spätfröste im kühlen Klima an Saale und Unstrut kosten ihn regelmäßig Erntemenge und Nerven. Weine derart hoch im Norden fallen kernig und säurebetont aus, besonders in Jahren mit kurzer Vegetationsdauer.

Solche Tropfen sind aber die ideale Basis für guten Sekt, denn daraus entstehen besonders frische und lebendige Schaumweine; ein Paradebeispiel ist der Weißburgunder von Thomas Herzer. Diesen Wein von 4 seiner 15 Hektar Rebfläche liefert er exklusiv an Rotkäppchen. Dort verarbeitet man ihn zu einem Premium-Sekt: 100 Prozent Weißburgunder, 100 Prozent Saale-Unstrut, 100 Prozent handgerüttelt. Das macht 100 Prozent Heimat, oder anders gesagt: Dieser Sekt ist das gute Gewissen des Prickel-Multis, erhältlich im Rotkäppchen-Outlet-Shop in Freyburg. "Frau Jankowa bettelt immer um mehr", sagt Herzer, "aber bei 6000 Liter pro Hektar ist Schluss - mehr geht hier nicht." Herzer-Sekt ist ein Luxus, den sich Rotkäppchen 1994 zum hundertjährigen Bestehen der Marke geleistet hat.

Ein bemerkenswerter, aber trotzdem kleiner Vorgang im Leben und Schaffen von Gunter Heise. Ansonsten blieb bei ihm eigentlich alles beim Alten. Er wohnt mit seiner Familie immer noch in Laucha, er ist immer noch im Karnevalsverein und immer noch bei Rotkäppchen. Im Prinzip hat sich nichts verändert. Nur sein Büro.

Und natürlich sein Kontostand.

Von Cornelius und Fabian Lange

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