Ernährungsexpertin Völlerei an Weihnachten? So können Sie sich davor schützen

Tafel voller Festtagsleckereien
An Weihnachten wird kulinarisch aus den Vollen geschöpft – und aus einem einfachen Essen wird schnell ein Gelage.
© AlexRaths / Getty Images
Von den Nussecken verführt, von den Verwandten gemästet: Ernährungsexpertin Dagmar von Cramm erklärt, wie wir uns vor der Völlerei an Weihnachten schützen können. Und was hilft, wenn wir doch wieder mehr in uns reingestopft haben als uns guttut.

Frau von Cramm, was halten Sie eigentlich von Festtagskilos?
Also ich würde versuchen, die Zunahme im Rahmen zu halten. Denn es ist ja so, wenn man jedes Jahr an Weihnachten nur ein oder zwei Kilo zunimmt, dann sind das in 20 Jahren 20 bis 40 Kilo. Das muss man sich mal klarmachen.

In der Weihnachtszeit machen viele eine Diätauszeit, sie nehmen die zusätzlichen Festtagskilos in Kauf, nur um dann im Anschluss wieder zu fasten …
Aus Studien wissen wir, dass so eine Fastenkur nicht das Gesündeste ist, aber ich finde sie noch akzeptabel. Vernünftiger ist es natürlich, die Festtage so zu gestalten, dass man zwar genießt, aber eben nicht unendlich reinhaut. Dann bringt man am Ende vielleicht auch ein Kilo mehr auf die Waage, das kriegt man in der Regel aber wieder runter – beispielsweise, wenn man im Januar einfach auf die Kekse verzichtet, vielleicht auch weniger Alkohol trinkt.

Was macht das Gewichtshin und -her binnen weniger Wochen mit dem Körper?
Tja, es ist ja nicht so, dass der Körper sich merkt, welche Kilos die Weihnachtskilos sind und sich dann überlegt: "Oh, die werfe ich jetzt mal zuerst ab." So ist es eben nicht. Nimmt man ab, werden zwar Fettzellen abgebaut, aber eben auch Muskelzellen. Das Problem: Je weniger Muskelmasse wir haben, desto geringer ist auch unser Energiebedarf. Essen wir also nach der Fastenkur weiter, wie wir es zuvor immer getan haben, dann ist das schon zu viel und wir laufen Gefahr, wieder zuzunehmen. Bekannt ist dieser Mechanismus als Jo-Jo-Effekt.

Es ist aber auch nicht leicht. Überall Versuchungen. Eine Nussecke hier, ein Entenbraten dort und dann noch Verwandtschaft, die einen mästen will. Warum fällt uns das Neinsagen so schwer?
Das gemeinsame Essen, die Tafelrunde, ist für Familien ein wesentlicher Teil bei der Entwicklung eines Wir-Gefühls, von Zusammengehörigkeit. Da auszuscheren bedeutet auch, aus dieser Gemeinschaft auszubrechen. Von demjenigen, der das Essen anbietet, wird das mitunter als Ablehnung wahrgenommen und als verletzend empfunden. Weil wir an Weihnachten aber besonders harmoniebedürftig sind, versuchen wir es allen recht zu machen – dazu gehört dann eben auch, nicht nein zu sagen.

Entweder Festtagskilos oder eingeschnappte Verwandte – das klingt wie die Wahl zwischen Pest und Cholera …
Ein guter Weg ist, schon im Vorfeld miteinander zu sprechen, Verabredungen zu treffen und sich vielleicht auch ein Codewort zu überlegen. Man könnte als sagen: "Ich möchte nicht so viel essen, das tut mir nicht gut. Du kannst dich darauf verlassen, dass es schmeckt, aber nötige mich bitte nicht. Wenn du mich nötigst, sage ich Otto-Otto und du erinnerst dich daran, dass wir eine Verabredung haben. Dann müssen wir darüber nicht mehr diskutieren." Außerdem kann man mit den Mahlzeiten ausgleichen, bei denen man selbstbestimmt isst. Wenn ich also weiß, dass ich mittags bei den Eltern zum Gänsebraten geladen bin, dann lasse ich eben einmal das Frühstück oder das Abendbrot weg.

Und wie hindert man sich selbst daran, jedes Mal im Vorbeigehen in die Keksschale zu greifen?
Es beginnt schon damit, dass man nicht so viel einkauft. Ich habe die Diskussion immer wieder mit meinem Mann, wenn er dann doch wieder Anfang Dezember mit einem Christstollen oder Konfekt ankommt. Es reicht, all sowas an Weihnachten zu kaufen. Man muss nicht schon vier, sechs oder gar acht Wochen vorher anfangen, das zu bunkern – und zu essen. So bleiben die Leckereien auch etwas Besonderes.

Trotz aller guten Vorsätze essen wir mehr als uns guttut. Warum passiert uns das immer wieder?
Stichwort: Sättigungseffekt. Unser Körper ist nicht so schnell wie unser Mund. Zudem füllt Weihnachtsessen den Magen nicht so sehr, da es nicht so ballaststoffreich ist. Schokolade, Marzipan, Kekse, Gans, Kartoffelgratin haben eine wahnsinnig hohe Energiedichte pro Gramm. Bis der Körper merkt, dass er die Tagesration gegessen hat, ist die doppelte Portion schon im Bauch. Unsere Körper sind nicht für solches konzentriertes, hochverarbeitetes Essen gemacht, unserer Frühwarnsysteme versagen dann sozusagen.

Dagmar von Cramm
Ernährungsexpertin Dagmar von Cramm weiß, mit welchen Gerichten man seinem Körper wohltun kann. Wie, das verrät sie unter anderem in "Entspannt macht schlank: Die besten Anti-Stress-Rezepte für Kopf und Körper"
© Dagmar von Cramm

Es gibt diesen Spruch: "Ich platze gleich", wenn man mal wieder zu viel gegessen hat. Das passiert nun zwar nicht gerade, aber Sodbrennen ist durchaus drin. Was hilft dagegen?
Bei sehr fettem, würzigem Essen kann es zu einer Übersäuerung kommen, die durch Alkohol noch verstärkt werden kann. Sodbrennen ist an sich nichts Schlimmes. Aber wenn es sehr quälend ist, hilft beispielsweise Bullrichsalz. Oder man reibt eine Kartoffel auf der groben Reibe und lässt den Abrieb auf dem Sieb abtropfen. Das ergibt etwa drei Esslöffel rohen Kartoffelsaft. Wenn man den trinkt, tut das richtig gut und kann schon einiges abpuffern. Auch eine Tasse selbst gekochte, salzarme Gemüsebrühe hilft.

Den Kartoffeltrick kannte ich noch nicht, dafür aber etliche andere Handlungsempfehlungen für die Zeit nach dem Gelage. Gehen wir sie einmal durch.

Das Verdauungsschläfchen, ist das gut oder schlecht?
Ich würde direkt nach dem Essen davon abraten. Es ist immer gut in der Senkrechten zu bleiben, gerade um Sodbrennen entgegenzuwirken.

Ist das schon Werbung für den traditionellen Spaziergang nach dem Essen?
Der kleine Spaziergang ist tatsächlich viel besser, als ein Nickerchen einzulegen oder nur vom Esstisch zum Wohnzimmertisch umzuziehen. Der Spaziergang wirkt sich positiv auf den Blutzuckerspiegel aus, er steigt dann nicht so schnell, ist ausgeglichen. Die Bewegung hilft auch dabei, dass der Verschluss am Mageneingang seine Arbeit leichter machen kann und es nicht zu Sodbrennen kommt.

Könnte man nicht einfach ein Schnäpschen trinken?
Ich habe nichts gegen einen kleinen Verdauungsschnaps. Der hat schon auch seine Wirkung. Bestimmte, in Alkohol lösliche Kräuterauszüge, wirken gut und verdauungsfördernd. Wenn davon zwei Zentiliter getrunken werden, ist das okay. Es sollte dann aber bitte ein Kräuterbitter sein und nicht etwa ein Kirschlikör oder ein Klarer. Übrigens: alternativ kann man auch einen Kräutertee trinken. 

Das Weihnachtsessen ist verdrückt, es folgt die Käseplatte. Denn Käse schließt den Magen. Oder?
Also davor möchte ich intensiv warnen. Klar, Fett schließt den Magen. Aber Fett habe ich ja schon mehr als genug durch meine Kekse und den Braten zu mir genommen, da brauche ich den Käse nicht. Die Platte kann man sich sparen. Verdauungsanregender und gesünder ist es, Obst zu essen, in Form eines Fruchtsalats zum Beispiel. Obst erschlägt einen auch nicht so.

Einen habe ich noch: Espresso.
Das kann man im Prinzip machen. Der Espresso macht etwas wacher, hilft aber eher dabei, vom Stuhl für den Spaziergang hochzukommen als bei der Verdauung. Wenn jemand allerdings Probleme mit Sodbrennen hat, sollte er lieber verzichten. 

Was wäre denn, will man es dem Magen recht machen, das perfekte Weihnachtsessen?
Ein Feldsalat mit Granatapfelkernen oder auch mit Orangenstückchen, Artischocken- oder Palmherzen finde ich als Vorspeise super. Wenn man dazu noch etwas Lachstatar oder Räucherlachs haben will, ist das auch gut. Gegen die Ente oder Gans als Hauptgang habe ich gar nichts. Die sind zwar fett, es handelt sich aber um gutes Fett. Da es sich um Wasservögel handelt, stecken in ihnen einfach und mehrfach ungesättigte Fettsäuren. Alternativ geht auch ein Fisch als Hauptgang. Eine reichliche Portion Gemüse sollte auch dabei sein. Die Beilage sollte möglichst leicht sein. Das Kartoffelgratin also lieber mit Milch statt mit Sahne machen. Und im Dessert würde ich frisches Obst verarbeiten. Dazu kann es dann ruhig auch eine Kugel Eis geben.

Dieses Stück stammt aus dem Archiv. Es erschien zuerst am 23. Dezember 2022.

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