Frau Hall, sie kämpfen seit den 1980er-Jahren gegen die Atombombe. Welche Folge dieser Waffe fürchten Sie am meisten?
Puh, suchen Sie sich ein Bild aus. Die von schmelzender Haut oder herausfallenden Augen brennen sich ein. Am schlimmsten aber finde ich: Wer die Bombe überlebt hat, wer das wirklich geschafft hat, dem droht die Strahlenkrankheit. Der Körper löst sich langsam von innen auf. Aber wir von der Internationalen Kampagne gegen Atomwaffen wollten nie mit Angst arbeiten, sondern mit medizinischer Aufklärung. Immerhin wurden wir vom Verband der Internationalen Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges gegründet.
Sie wirkten daran mit, dass die UN 2017 einen Atomwaffenverbotsvertrag verabschiedeten. Im selben Jahr erhielten Sie den Friedensnobelpreis. Zerstören Putins Krieg oder die unbedachte Äußerung von Trump über die Nato jetzt Ihr Lebenswerk?
Seit dem Ukraine-Krieg ist die Situation sehr gefährlich. Ich bin jetzt 64 Jahre alt, und an manchen Tagen frage ich mich, ob ich mir diesen Kampf noch leisten kann, ob wir dafür überhaupt noch Zeit haben. Aufrüstung geht sehr schnell. Einst war es in Deutschland gesellschaftlicher Konsens, das Atomwaffen verboten werden müssten. Durch den russischen Invasionskrieg machen wir eine Rolle rückwärts

Woran merken Sie das?
Ich höre wieder Aussagen, die ich zuletzt vor 40 Jahren gehört habe. Ich weiß noch, wie ich als junge Frau in den 1980ern gegen Aufrüstung demonstrierte und mich ein Mann anschrie: "Sag das dem Russen!" Dieses Feindbild ist wieder da. Natürlich hat Putin den Ukraine-Krieg zu verantworten. Trotzdem tut es weh, wie sehr das Streben nach Frieden plötzlich polarisiert.