Brandanschläge auf die Bahn Lauter Flaschen

Naive Spontis oder eine neue RAF? Panikmache oder berechtigte Angst? Die Serie der versuchten Brandanschläge in Berlin sorgt für Schuldzuweisungen und Hilflosigkeit. Bleibt die Frage: Was nützt wem?

Die Bundesanwaltschaft ermittelt wegen "verfassungsfeindlicher Sabotage". Und die Bahn hat eine Belohnung von 100.000 Euro für die Ergreifung der Täter ausgesetzt. Während die angeblichen Linksextremisten vom "Hekla-Komitee" die Reaktionen auf ihre Aktionen bestaunen können, muss sich der Rest mit dem Schaden herumschlagen, den die ominösen "Flaschen mit brennbarer Flüssigkeit" angerichtet haben. Mindestens 15 wurden seit Montag gefunden, ihr zu zerstörendes Ziel sind offensichtlich Kabelschächte der Bahn. Der Schaden war glücklicherweise nicht so groß wie geplant, weil die Brandsätze in und um Berlin rechtzeitig gefunden wurden oder weil die Zünder nicht funktionierten. Verstört haben sie trotzdem. Über die Täter ist so gut wie nichts bekannt, das lässt der Fantasie freien Lauf.

Angst

Ob nun im Tunnel oder draußen, im Kabelschacht oder am Gleis - da hört eh kaum jemand genau hin: Anschlagsversuche verbreiten so oder so Angst. Und die ist leicht zu instrumentalisieren.

Den Panik-Vogel abgeschossen hat am Dienstag die "Bild"-Zeitung, die mit dem "Feuerterror gegen die Bahn" offensichtlich am liebsten eine neue RAF aus der Taufe gehoben hätte. "Auch der RAF-Terror hat mit der verharmlosenden sogenannten Gewalt gegen Sachen begonnen. Später wurden Menschen ermordet", wurde Bernhard Witthaut, der Bundesvorsitzende der Gewerkschaft der Polizei zitiert. Die üblichen Verdächtigen ließen sich nicht zwei Mal auf den Zug bitten: CDU-Mann Wolfgang Bosbach paraphrasierte Witthauts Worte einfach. Verkehrsminister Peter Ramsauer von der CSU sprach vom "Anschlag auf unsere Gesellschaft".

Doch der ehemalige Innenminister Gerhart Baum (FDP), der den RAF-Terror einst erlebt hat, will von solchen Vergleichen nichts hören. "Nein, es gibt keine Parallelen", sagte er auf Nachfrage von stern.de. Damals seien die Voraussetzungen ganz andere gewesen. Auch SPD und Grüne versuchen, das Geraune von der neuen RAF nach Kräften zu relativieren.

Aber wer ist denn nun dieses "Hekla-Komitee", dessen anstrengend verschwurbelt formuliertes Bekennerschreiben - das mal eben Rüstungstransporte, Wikileaks und Hartz 4 zusammenrührt - laut Berlins Innensenator Ehrhart Körting echt zu sein scheint?

Für gefährliche Linksterroristen halten sie sich offensichtlich nicht einmal selbst, wenn man das Schreiben liest. Da geht es um "Entschleunigung", einen "Pausenmodus" für die Großstadt. Um den großen Frust daran, dass "jeden Tag etwas grundsätzlich falsch läuft". Die eigene Ohnmacht angesichts der Schlechtigkeit der Welt. "Weltschmerz" hieß das früher einmal. Nur hat man damit seine Mitmenschen in Ruhe gelassen.

Stecken sie unter einer Decke mit den Autobrandstiftern, die Berlins Polizei und Autobesitzer zuletzt in Atem gehalten haben? Reine Spekulation. Das Tatmittel Feuer allein reicht nicht aus, um einen Zusammenhang herzustellen. Den gibt es dann eher schon im Falle eines anderen Kabelbrandes in Berlin. Im Mai brannte es in Ostkreuz, was den Zugverkehr erheblich behinderte und zu Unfällen führte, weil auch Ampeln ausfielen. Im damaligen Bekennerschreiben nannten sich die Aktivisten "Das Grollen des Eyjafjallajökull". Sowohl Hekla als auch Eyjafjallajökull sind zuweilen Asche spuckende Vulkane auf Island. Auch das ist nicht besonders viel. Zumal die kriminalistische Analyse der Wortwahl noch aussteht. Ebenso das Laborergebnis zu den Brandsätzen.

Angst vor Flaschen

Also die Nachfrage beim Innenministerium. Da hält man sich erstaunlich zurück: Das sei eine Entwicklung, die man beobachten müsse.

Gregor Peter Schmitz mit den Buchstaben GPS

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Deutlich unterhaltsamer ist da doch die Schelte, mit der die linke Szene das "Hekla-Komitee" überzieht: Die reicht von "Frustrierte Idioten zünden Bahnhof an" über "Das ist bürgerliches Rumgejammere" bis "Vielen Dank für nichts, ihr Deppen!".

Was bleibt, ist die Angst vor Flaschen.