Wir lassen uns das Singen nicht verbieten, das Singen nicht und auch die Fröhlichkeit! - so trällerte einst, es war in den 1970er Jahren, die Schlagersängerin Tina York. Heute ist es mit der Fröhlichkeit nicht mehr so einfach, wie die Tatsache zeigt, dass das Festkomitee des Kölner Rosenmontagsumzugs einen Wagen mit "Charlie-Hebdo"-Motiv aus dem Verkehr gezogen hat. Aus Angst vor Terror-Anschlägen.
Daraus muss man keine Staatsaffäre machen, und wer dem fröhlichen Treiben am Rhein ohnehin mit einer gewissen Ratlosigkeit gegenübersteht (wie der Verfasser dieser Zeilen), wird nicht gleich die Staatstrauer ausrufen wollen. Aber immerhin: Es mehren sich die Zeichen, dass die Anschläge von Paris eben doch Wirkung zeigen - genau die Wirkung, die von den Tätern gewünscht war.
Die billige Forderung
In Dresden sorgte die Polizei kurz nach den Anschlägen mit einem Verbot dafür, dass die Demonstration der "Pegida"-Bewegung nicht stattfinden konnte. Auch hier: Sicherheitsbedenken. Jetzt über die Feigheit der sächsischen Behörden oder – im Kölner Fall – die Hasenfüßigkeit der Karnevals-Organisatoren herzuziehen und "mehr Zivilcourage" zu fordern, ist billig, einer dieser typischen Appelle von Lehnsesselstrategen, die im Zweifel konkret und vor Ort den Preis für den von ihnen eingeforderte Mut ja nicht zahlen müssen: abgerissen Gliedmaßen, getötete Kinder vielleicht.
Ein paar Tage war es ja auch schick, mit "Je suis Charlie "-Schildern durch die Gegend zu laufen. Auch das ein Mut, der nichts kostete und mehr und mehr zur peinlichen Geste verkam, mit der die Schilderträger vor allem eins wollten: für sich selbst mal eben schnell billige moralische Rendite einfahren.
Das Gift in der Seele
Die Wahrheit ist: Die Angst kriecht in unser Land. Wir lassen uns das Feiern verbieten. Und auch das demonstrieren. Nicht immer und überall, aber immerhin schon in Einzelfall. Die Gewaltbereitschaft islamistischer Fanatiker führt zumindest zu einer Abwägung: Muss dieser Karnevalswagen wirklich sein? Ist uns diese Demo wirklich so wichtig? Muss die Familie wirklich genau an jenem Tag am Berliner Hauptbahnhof in den Urlaub fahren, wo die Behörden doch genau für diesen Tag und für diesen Bahnhof eine Terrorwarnung herausgegeben haben? Vielleicht kommt bald die Abwägung dazu: Wollen wir diesen Leitartikel wirklich so veröffentlichen? Klar, wir wollen ja unsere Meinungsfreiheit verteidigen. Aber geht es nicht auch ein bisschen weichgespülter, man muss ja niemanden unnötig provozieren, oder?
Das ist alles noch nicht die "Islamisierung des Abendlandes", die von den "Pegida"-Aktivisten als Schreckgespenst verbreitet wird. Aber immerhin können wir doch schon eins beobachten: Das Gift der Unterwerfung tröpfelt langsam in unsere Köpfe, in unsere Seelen.
Die Freiheit vor der Angst
Nie war offensichtlicher, dass der angenommene Widerspruch zwischen Bürgerrechten und einem starken Staat ein Scheinkonflikt ist. Freiheit ist die Freiheit, keine Angst haben zu müssen. Vor nichts und niemandem. Und Angst muss man nur dann nicht haben, wenn man sich sicher fühlt. Sicher kann man sich aber nur dann fühlen, wenn es einen wehrhaften, funktionierenden Staat gibt, mit allem, was dazugehört: Funktionierende Polizei, effiziente Justiz, exzellente Geheimdienste. Staatliche Sicherheit ist eben gerade nicht die Bedrohung von bürgerlicher Freiheit – sondern ihre zentrale Bedingung.

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Darüber sollten wir nachdenken, wenn wir beispielsweise über die Vorratsdatenspeicherung diskutieren. Die alten Reflexe helfen nicht mehr weiter. Die Welt ist nicht mehr dieselbe, seit in Paris das Ungeheuerliche geschah.
Tilman Gerwien, Autor im Berliner stern-Büro, hat mit Karneval nichts am Hut. Mit Meinungsfreiheit schon.