Es war ein spektakulärer Prozess um die 28-jährige Studentin Lina E. Sie wurde schuldig gesprochen und zu fünf Jahren und drei Monaten Haft verurteilt. Die Richter sahen es als erwiesen an, dass sie mit anderen eine kriminelle Vereinigung gegründet habe. "Nazis stoppen" nahm die Truppe faustrechtlich; schwer verletzte Rechtsextreme in Wurzen, Leipzig und Eisenach waren die Folge. Während der Urteilsverkündung gab es im Gerichtssaal Applaus für Lina E. und ihren Mut, sich Nazis entgegenzustellen. Ich fürchte in solchen Momenten oft, man könnte seinen Gegnern zu ähnlich werden, wodurch sie auch gewinnen.
Faeser warnt vor linker Gewalt
Bundesinnenministerin Nancy Faeser warnte umgehend vor der Zunahme linker Gewalt, schließlich will sie Ministerpräsidentin in Hessen werden, da sollte sie auch mal Linke schelten, könnte sie gedacht haben. Greift der deutsche Staat bei Linksextremen härter durch als bei Rechtsextremen?
Antifaschismus verbinde ich vor allem mit einer Person, der Holocaust-Überlebenden Esther Bejarano. Ich sah sie kurz vor ihrem Tod auf der Bühne einer Kirche stehen. Sie hob ihren über 90 Jahre alten Arm in die Luft und sang: "Bella Ciao!" Ich habe dieses Lied erst wirklich verstanden, als ich es Esther singen sah. Esther, die, wenn es nach den Nazis gegangen wäre, hier nicht hätte stehen dürfen, nicht hätte leben dürfen.
Die Nazis werden von der Polizei geschützt
Sie erzählte mir, wie sie einmal mit anderen gegen einen Nazi-Aufmarsch protestiert hatte und die Lage angespannt war. Als die Polizei eintraf, wurden jedoch nicht die Holocaust-Überlebenden und Gegendemonstranten geschützt, sondern die Nazis. Das ist unser deutsches Erbe, habe ich damals gedacht, vergiss das nie.
Die Helfer des NSU kommen glimpflicher davon
Nach dem Prozess gegen Lina E. und ihre kriminelle Vereinigung verglich ich die Urteile mit jenen für die NSU-Morde. Also nicht gewaltbereite Nazis dreschen, sondern über zehn Jahre türkeistämmige Blumenhändler töten, als terroristische Vereinigung. Ralf Wohlleben bekam für seine Beihilfe zu den Morden nur zehn Jahre Haft. Holger G. wegen Unterstützung drei Jahre. Lina E. dafür zu bestrafen, dass sie Gewalt ausübte, ist richtig, aber die Strafmaße bei rechtsextremer Gewalt wirken im Vergleich, als gäbe es einen Reflex, Nazis mehr zu schützen als Normalbürger.
Überall "kriminelle Vereinigungen"
Der Zusatz "kriminelle Vereinigung" mutiert schon länger zum Lieblingseinschüchterungsparagraf. Sicherheitsbehörden erklären kritische Aktionskünstler wie das "Peng!"-Kollektiv und "Das Zentrum für politische Schönheit" zu kriminellen Vereinigungen – und dürfen bei Hausdurchsuchungen Künstlerschreck spielen. Die Klimakleber der Letzten Generation sollen jetzt auch eine kriminelle Vereinigung sein. Tja, ich fand Leute, die regelmäßig in den Baumarkt gehen, schon immer brandgefährlich.
Nimmt Gewalt von Links wirklich zu?
Die ernste Seite dieser Medaille ist die Angst, die man jungen Aktivisten einflößt. Ziviler Ungehorsam soll so erstickt werden. Bei Rechtsextremen hingegen duldet man Aufmärsche wie 2018 in Chemnitz als Ausdruck von politischem Verdruss. Die Statistik zeigt klar, Gewalt kommt weitgehend von rechts. Menschenfeindliche Gewalt ohnehin. Linke Gewalttaten würden jedoch steigen, heißt es. Zu linker Gewalt zählen auch Aktionen von Bürgern, die sich Rechtsextremen entgegensetzen. Ein großer Teil linkspolitisch motivierter Delikte geht auf Blockaden von Neonazi-Aufmärschen zurück. Sitzt man also gegen Rechtsextreme auf der Straße, ist man linksextrem. Vielleicht zeigen die steigenden Zahlen, dass einfach wieder mehr blockiert werden musste.
Ein Staat mit unserer Geschichte sollte die Verteidigung der Demokratie vom Angriff auf sie unterscheiden können, würde Esther sagen. Und sie hätte recht.