Lob und Zweifel "Urne to go" – Symbol der Freiheit oder Kulturbruch?

Das neue rheinland-pfälzische Bestattungsgesetz trat am 27. September in Kraft. (Symbolbild) Foto: Fredrik von Erichsen/dpa
Das neue rheinland-pfälzische Bestattungsgesetz trat am 27. September in Kraft. (Symbolbild) Foto
© Fredrik von Erichsen/dpa
Seit Ende September gilt in Rheinland-Pfalz ein Bestattungsgesetz, das neue Wege erlaubt. Nicht jeder ist begeistert.

Flussbestattung, Diamanten aus der Asche von Toten und die Urne im Wohnzimmer: Vor einem Monat ist das neue rheinland-pfälzische Bestattungsgesetz verabschiedet worden. Es gilt als das Liberalste in Deutschland, unumstritten ist es nicht. 

Besonders in kirchlichen und fachlichen Kreisen wird über die gesellschaftlichen Folgen diskutiert – und über die Frage: Wie viel Individualisierung verträgt der Abschied vom Leben?

Für die pfälzische Kirchenpräsidentin Dorothee Wüst ist das Gesetz eine sinnvolle Anpassung an gesellschaftliche Veränderungen. "Bestattungskultur verändert sich mit der Zeit – das neue Gesetz trägt dem Rechnung, ohne die Tradition infrage zu stellen", sagt Wüst mit Blick auf Erd- und Urnenbestattung.

Warum Bestattung sogenannter Sternenkinder wichtig sind

Besonders hebt sie hervor, dass künftig Tuchbestattungen als reguläre Form ermöglicht werden sollen. Bislang war sie in Rheinland-Pfalz nur aus religiösen Gründen erlaubt. 

Auch die Neuregelungen zur Bestattung sogenannter Sternenkinder - also Babys, die vor der 24. Schwangerschaftswoche sterben - begrüßt Wüst ausdrücklich. "Ich weiß aus meiner seelsorgerlichen Praxis, wie entscheidend das für betroffene Familien ist."

Doch die Kirchenpräsidentin äußert auch mahnende Worte. Sie warnt vor einer zunehmenden Privatisierung von Trauer und Abschied. Wenn der Tod "aus dem öffentlichen Bewusstsein verschwindet", verliere die Gesellschaft etwas Wesentliches. "Abschiede gehören in die Gemeinschaft – sie sind Orte von Würde, Anteilnahme und Halt."

Wüst spricht sich gegen Trends wie Erinnerungsdiamanten aus Asche oder aufbewahrte Urnen in Wohnungen aus. "Ich möchte mir auch nicht vorstellen, dass Urnen beim Umzug vergessen oder Schmuckstücke aus Asche verloren gehen – das widerspricht jeder Vorstellung von Würde."

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Nach Inkrafttreten des Gesetzes will die Evangelische Kirche ihre Seelsorgerinnen und Seelsorger unterstützen, damit sie Menschen auch unter veränderten Bedingungen gut begleiten können.

Ist Sterben Privatsache?

Auch Bischof Peter Kohlgraf äußert sich differenziert zur Novelle. Man begrüße grundsätzlich das Bemühen um ein zeitgemäßes Gesetz, sagte der Mainzer Oberhirte. Besonders das Thema Sternenkinder sei ein "großer Fortschritt". Auch Kohlgraf warnt vor einem gesellschaftlichen Rückzug aus der Verantwortung für Trauer und Tod.

"Die Diskussion um das Gesetz zeigt deutlich, dass es unser Ziel sein muss, die Themen Tod und Sterben zu enttabuisieren", sagt er. Das Sterben sei keine rein private Angelegenheit. "Auch im Tod ist der Mensch nicht nur privat."

Bestattung und Gedenken seien Akte gesellschaftlicher Solidarität, ergänzt Kohlgraf: "Man muss um jemanden trauern dürfen – und das ist ohne einen Ort der Bestattung kaum möglich."

Deutlich in der Ablehnung ist Hermann Hubing, Geschäftsführer des Landesinnungsverbandes für das Bestatterhandwerk in Rheinland-Pfalz. Aus seiner Sicht wurden wesentliche Merkmale der deutschen Friedhofskultur unnötig aufgegeben.

Hubing kritisiert sowohl das Gesetzgebungsverfahren als auch zentrale Inhalte wie die Aufhebung des Friedhofszwangs, Tuchbestattungen für alle und die Möglichkeit von Flussbestattungen.

Warum ein frei zugänglicher Trauerort eine Rolle spielt

Tuchbestattungen befürworte man zwar für Menschen muslimischen Glaubens. Doch die verpflichtende Öffnung für alle sei "nicht durchdacht" und gaukle eine Kostenersparnis vor, die es in der Realität nicht gebe. Auch Flussbestattungen lehnt der Verband ab: Diese seien - anders als Seebestattungen - inmitten des Schiffsverkehrs kaum mit einer würdevollen Zeremonie zu vereinbaren.

Die Option der "Urne to go" - die Möglichkeit, die Urne zu Hause aufzustellen - sieht Hubing ebenfalls kritisch. Es fehle dadurch ein frei zugänglicher Trauerort für Angehörige und Freunde. "Trauerbewältigung ist zwar individuell, sollte aber nicht andere ausschließen."

Zwar eröffne das Gesetz neue Geschäftsfelder für Bestatter, räumt Hubing ein. Doch insgesamt werde der öffentlichen Trauerkultur ein Bärendienst erwiesen.

Und wie sieht ein Experte die Möglichkeit, künftig Totenasche in Gewässer einzubringen? "Es wirft nachvollziehbare Fragen zur möglichen Belastung auf", sagt Frank Steinmann, Fischökologe beim Fischereiverband Rheinland-Pfalz, der Deutschen Presse-Agentur. 

Folgen für Flora und Fauna von Gewässern seien "bislang kaum erforscht". Zwar bestehe Kremationsasche überwiegend aus "anorganischen Mineralien wie Calciumphosphat", sie enthalte aber auch "Spurenelemente und Metalle" wie Kupfer, Zink oder Blei.

Belastet Totenasche die Gewässer?

Die gute Nachricht laut Steinmann: "Organische Rückstände, etwa aus Medikamenten, werden bei über 800 Grad Celsius weitgehend zerstört." Dennoch sei unklar, in welchem Umfang sich Metalle im Wasser lösen oder in Sedimenten ablagern. 

Erste Hinweise auf ökologische Effekte gebe es aus Studien, wo im Boden "hohe Aschemengen zu lokalen Veränderungen von Vegetation und Bodenchemie führen können". Für Fische sieht Steinmann aktuell "keine akuten toxikologischen Risiken" – sofern die Asche gut verdünnt und in fließenden Gewässern eingebracht wird.

Der Experte warnt aber: "Aus ökologischer Vorsorge wäre es sinnvoll, begleitende Untersuchungen durchzuführen." Besonders zu Schwermetallen und möglichen Langzeiteffekten fehle es an Forschung. "Das Risiko", sagt Steinmann, "ist derzeit als gering einzuschätzen, aber wissenschaftlich nicht abschließend bewertet."

In der Politik gingen die Meinungen bei der Verabschiedung des Gesetzes am 11. September auseinander. "Herr Minister, Sie sind der Totengräber unserer Friedhöfe", kritisierte der CDU-Abgeordnete Christoph Gensch in der Debatte im Landtag. 

Dagegen sagte Gesundheitsminister Clemens Hoch (SPD): "Wir geben Menschen Halt und Würde, ohne jemandem vorzuschreiben, was für ihn würdevoll ist." Das neue Bestattungsgesetz ist am 27. September in Kraft getreten.

dpa