Die Wahllokale waren kaum geöffnet, da stand schon fest, wer bei der Abstimmungen über den künftigen Chef im Kreml das Rennen machen wird: Waldimir Putin. Der 71-Jährige, der seit mehr als zwei Jahren Krieg gegen die Ukraine führt, wird absehbar sechs weitere Jahre das flächenmäßig größte Land der Erde führen. Unter Ausschluss der Opposition hat die als Farce kritisierte Präsidentenwahl begonnen.
Staatliche Wahlforscher erwarten bei der auf drei Tage angesetzten Abstimmung ein Rekordergebnis am Sonntag von mehr als 80 Prozent der Stimmen. Insgesamt waren 114 Millionen Menschen zur Stimmabgabe aufgerufen, davon mehr als 4,5 Millionen in den völkerrechtswidrig besetzten Gebieten der von Russland angegriffenen Ukraine. Die Ukraine kritisiert die Abstimmung als illegal.
Unter dem Eindruck des Krieges und begleitet von einzelnen Protestaktionen stimmten bereits am Freitag laut Wahlkommission rund 27 Millionen Menschen in dem Land mit den elf Zeitzonen ab. Die Wahlbeteiligung wurde mit 24 Prozent angegeben. Doch nicht überall läuft es glatt. Ein Überblick über Attacken und Pannen:
Tinte statt Stimmzettel in den Wahlurnen
Am ersten Tag der Präsidentschaftswahl in Russland sind laut Behördenangaben am Freitag mehrere Menschen wegen Vandalismus in Wahllokalen festgenommen worden. Vorfälle wurden unter anderem aus der Hauptstadt Moskau sowie den Regionen Woronesch, Rostow und Karatschai-Tscherkessien gemeldet. Unklar blieb, ob es sich dabei um Protestaktionen gegen die Wiederwahl von Präsident Wladimir Putin handelte. Insgesamt seien zwischen 100 und 150 Wahlzettel zertört worden, sagte der Vizechef der Wahlleitung, Nikolai Bulajew, der staatlichen russischen Nachrichtenagentur Tass zufolge am Freitag. Einen Einfluss auf das Ergebnis hätten die Zwischenfälle aber nicht.
Frauen und Männer hätten in der Region Rostow und in der im Nordkaukasus gelegenen Republik Karatschai-Tscherkessien Tinte in Urnen gegossen, sagte der Vizechef der Wahlkommission in Moskau, Nikolai Bulajew, am Freitag der staatlichen Nachrichtenagentur Tass zufolge. Ziel der Angreifer sei es gewesen, die Stimmzettel ungültig zu machen. Bulajew forderte eine stärkere Bewachung der Wahllokale. Die Personen wurde nach Angaben der Ermittler wegen "Behinderung der Ausübung des Wahlrechts" festgenommen.
In sozialen Netzwerken kursierte auch ein Video, das zeigt, wie eine Frau – angeblich in Moskau – zunächst völlig unbehelligt Farbe aus einer Flasche in eine Urne gießt. Die Echtheit des Videos konnte von unabhängiger Seite nicht überprüft werden.
Bulajew warf den Tätern vor, im Auftrag anderer zu handeln. "Es ist klar, dass ihnen Geld versprochen wurde, eine Belohnung", sagte er. Russland wirft westlichen Staaten immer wieder vor, Einfluss auf die Abstimmung nehmen zu wollen.
Zündeln in der Wahlkabine
Ein anderes Video zeigte, wie eine ältere Frau eine Stimmkabine in Brand setzte. Die 70-Jährige wurde laut Medien in Moskau festgenommen, ihr drohen bis zu fünf Jahre Haft.
Im Autonomen Kreis der Chanten und Mansen in Sibirien versuchte eine Frau einem Wahlhelfer zufolge mit einem Molotowcocktail eine Wahlurne anzuzünden. In der südrussischen Region Tscheljabinsk nahm die Polizei laut einem Bericht der Nachrichtenagentur Tass einen Mann fest, der versuchte, in einem Wahllokal einen Feuerwerkskörper zu zünden.
Lokalen Medien zufolge wurden ähnliche Fälle von Vandalismus auch aus St.Petersburg und von der von Russland annektierten Halbinsel Krim gemeldet.
Proteste sind in Russland verboten. Zwar hatten etwa Oppositionelle um den in Haft gestorbenen Kremlgegner Alexej Nawalny zu einer Protestwahl aufgerufen. Sie rieten allerdings zu leisem Protest und wiesen auch auf die Gefahr hin, festgenommen und bestraft zu werden. Empfohlen wurde Gegnern von Kremlchef Wladimir Putin daher leiser Protest, um keine Haft zu riskieren. So könnten Stimmzettel in der Kabine durch das Ankreuzen mehrerer Kandidaten ungültig gemacht werden, hieß es.
Die Wahlleiterin Ella Pamifilowa, früher Menschenrechtlerin und heute enge Vertraute Putins, hatte zur Wachsamkeit gegen Saboteure an den Wahllokalen aufgerufen. "Es geht um dieselbe Art von Drecksäcken, die für 10.000 Rubel (100 Euro) Bahngleise sprengen, Leute in die Luft jagen. Sie sind bereit, für einen Blutgroschen alles zu verkaufen", schimpfte sie.
Online-Stimmabgabe gestört
Wer nicht zur Urne wollte, konnte auch online abstimmen. Zumindest wer rechtzeitig am Zug war. Wegen einer Vielzahl von Wählern, die im Internet ihre Stimme abgeben wollten, sei es zeitweilig zu Aussetzern des Systems gekommen, teilte die zentrale Wahlkommission der staatlichen russischen Nachrichtenagentur Ria Nowosti zufolge am Freitag mit. Allein in der Hauptstadt Moskau hätten am Morgen 500.000 Menschen online ihre Stimme abgegeben, hieß es.
Teils wurde die Abstimmung wie ein Volksfest mit Folkloredarbietungen und Auftritten von Sängern organisiert. Viele prominente Politiker, darunter Außenminister Sergej Lawrow und Verteidigungsminister Sergej Schoigu, gaben früh ihre Stimme ab – "für Russlands Zukunft", wie es offiziell heißt. Der Chef der Partei Gerechtes Russlands, Sergej Mironow, der Putin offen unterstützt, warf seinen ausgefüllten Stimmzettel ohne Briefumschlag in die transparente Urne ein.
Wählen unter Bomben
Begleitet wurde die Wahl von verstärkten ukrainischen Angriffen auf Russland. Kurz nach Öffnung der Wahllokale am Freitagmorgen teilte das russische Verteidigungsministerium mit, "sieben raketengetriebene Granaten über der Region Belgorod" an der Grenze zur Ukraine zerstört zu haben. Einem Bericht der staatlichen Nachrichtenagentur Ria Nowosti zufolge, mussten sich Wähler in einen Luftschutzkeller begeben, nachdem die Behörden den Luftalarm ausgelöst hatten. Zwischenzeitlich musste die Abstimmung dort sogar unterbrochen werden. In Berichten unabhängiger russischer Medien stellte sich die Situation teils deutlich dramatischer dar: So kursierte etwa ein Video aus einem anderen Wahllokal, auf dem erst ein lautes Explosionsgeräusch zu hören ist – und dann panisch schreiende Menschen.
Kiew hat in den Tagen vor der Wahl einige der schwersten Luftangriffe auf Russland geflogen, von denen einige Hunderte von Kilometern in russisches Gebiet hineinreichten. Zudem drangen pro-ukrainische russische Milizen in dieser Woche mehrfach in das russische Grenzgebiet ein. Moskau gab an, alle Angriffe der Kämpfer abgewehrt zu haben.
Zudem werfen die von Moskau installierten Behörden in der teilweise russisch kontrollierten ukrainischen Region Cherson den ukrainischen Streitkräften vor, zwei Wahllokale bombardiert zu haben. Auf Telegram teilt die örtliche Wahlkommission mit, es seien Wahllokale in Kachowka and Bryliwka, die für die russische Präsidentschaftswahl eingerichtet worden seien, gezielt angegriffen worden. Mehrere Menschen seien verletzt und die Gebäude beschädigt worden. Reuters kann die Angaben nicht unabhängig überprüfen.
Putin könnte Russlands längster Regent werden
Die Wahl erstreckt sich über insgesamt drei Tage und umfasst auch die von Russland besetzten Gebiete in der Ukraine. In der südukrainischen Stadt Mariupol eröffneten Wahlhelfer improvisierte Wahllokale auf kleinen Tischen auf der Straße oder auf den Motorhauben von Autos. Es wurden Banner mit einem rot-weiß-blauen "V"-Logo ausgerollt – einem der Symbole der russischen Armee, das als Zeichen der Unterstützung für die Offensive verwendet wird. Ähnliche Szenen spielten sich auch in der östlichen Region Donezk ab.
Kiew bezeichnete die Abstimmung als "Farce" und sagte, die Durchführung der Wahl in der Ostukraine und auf der 2014 von Russland annektierten Krim sei "illegal".
Eine weitere Amtszeit würde es Putin ermöglichen, bis 2030 zu regieren – länger als jeder russische Staatenlenker seit Katharina der Großen im 18. Jahrhundert. Nach einer Verfassungsreform könnte er sogar erneut kandidieren und bis 2036 an der Macht bleiben. Nach Einschätzung eines staatlichen Meinungsforschungsinstituts könnte der amtierende Kremlchef mehr als 80 Prozent der Stimmen erhalten.
Die Abstimmung dauert bis Sonntagabend, wenn in Kaliningrad (früher Königsberg) an der Ostsee um 19.00 Uhr MEZ die letzten Wahllokale schließen. Unmittelbar danach werden erste Prognosen erwartet. Erst in der Nacht zum Montag wird es aussagekräftige Ergebnisse geben. Laut Wahlkommission sind rund 114 Millionen Menschen zur Stimmabgabe aufgerufen.