In der Grundschule tauschten wir Diddl-Blätter, spielten Gummitwist und verabredeten uns für Nachmittage in den Wäldern übers Festnetztelefon. Die Tänze, die wir einstudierten, kamen nicht von TikTok, sondern aus "High School Musical". Ein paar Jahre später schickten wir uns im Schulbus mit unseren knallbunten Sony Ericsson-Handys via Bluetooth die neuesten Hits von Katy Perry und Jason Derulo. Zuhause angekommen, chatteten wir den restlichen Tag auf SchülerVZ, erstellten unsere ersten Blogs auf Tumblr und schauten stundenlang die Vlogs aufstrebender Youtube-Stars.
Diagnose "Zillenial"? Wohl eher nicht
Dann kamen die Smartphones, wir machten die ersten Gehversuche bei Instagram – und hängen bis heute dort fest. Manche unserer Freunde heiraten, bekommen Kinder, bauen Häuser, während andere noch immer im ersten Bachelor-Studium feststecken. Wir sind Kinder der 90er, doch haben wenig Erinnerung an dieses Jahrzehnt. Ich bin 1997 geboren – und damit laut Social Media und Berichten aus US-Medien ein "Zillenial": Zu jung für die Millenials, zu alt für die Gen Z. Der "Zillenial" soll ein Hybrid sein, der Merkmale beider Generationen aufweist und diese zu einer eigenen Kultur verschmelzen lässt.
Diese Kohorte, die – je nach Quelle variieren die genauen Jahreszahlen – in den späten 1990er und frühen 2000er-Jahren geboren wurde, wird oft als "Mikro-Generation" betitelt. Einen Begriff, den Generationsforscher Rüdiger Maas allerdings ebenso ablehnt wie das Konzept des "Zillenials" an sich. Aus wissenschaftlicher Sicht gibt es dieses vermeintliche Mischwesen nicht. Warum diese neue Zwischen-Identität trotzdem so viel Gefallen findet, hat ganz viel mit dem allgemeinen gegenwärtigen Generationen-Hype und den vielen Stereotypen zu tun, die auf Social Media rauf und runter gespielt werden.
Alle 15 Jahre eine neuen Generation einzuteilen ist nicht sinnvoll
"Warum das ein Trend ist? Weil es einen sehr komplexen Sacherhalt vereinfacht darstellt", erläutert Rüdiger Maas im Gespräch mit dem stern. Als Millenials gelten meist diejenigen, die zwischen 1981 und 1996 geboren wurden, zur Gen Z gehört man, wenn man zwischen 1997 und 2012 geboren wurde. So gibt es unter anderem das US-amerikanische Pew Research Center vor. Diese Einteilung sehen auch in Deutschland viele als maßgeblich an – und hier liegt bereits ein erster Irrtum vor: "Alle 15 Jahre eine neue Generation einzuteilen ist wissenschaftlich nicht sinnig – und vor allem nicht, es weltweit zu machen", kritisiert Experte Maas.
Es waren Vertreter aus der Soziologie, die einen Abstand von 15 Jahren vorschlugen. "Diese Einteilung hat man stumpf übernommen, die bricht sich aber nach dem Zweiten Weltkrieg mit den Baby-Boomern." Die Kohorte der Baby-Boomer wird nach dieser Logik zwischen 1960 und 1965 verortet. In der Realität müsse die Kohorte bis auf 1969 ausgeweitet werden, "weil dann jedem die Pille zur Verfügung stand und die Geburtenanzahl erst Ende der 1960er nach unten ging. Hier wären also 20 Jahre sinnvoller", sagt der Generationenforscher.
Analoge oder digitale Kindheit?
Man müsse jedes Mal auf Neue belegen, ob tatsächlich eine neue Generation vorliegt. Ob die Eigenschaften und Verhaltensweisen, die man beobachtet, Jugendphänome sind (keine neue Generation) oder ob es sich um biografisch stabile Elemente handelt (neue Generation). Und: "Die Einteilung der Kohorten muss je nach untersuchtem Gegenstand immer wieder neu vorgenommen werden." Bei den Millenials und der Gen Z spiele die Entwicklung der Technologie eine entscheidende Rolle. "Wir unterscheiden hier zwischen analog geprägten Menschen, die eine Kindheit und Jugend ohne Smartphone hatten und jene, die das Leben ohne Smartphone gar nicht mehr kennen", erläutert der Experte. Die "Zillenials" würden sich dazwischen einordnen.

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Laut dem "Urban Dictionary" habe der Zillenial "keine Erinnerung an die Welt vor dem Internet, aber an die Welt, bevor sie vollständig vom Internet absorbiert wurde". Sie seien aufgewachsen, als sich die Technologie von analog zu digital entwickelte, und erlebten beide Seiten. Trotzdem gehören diejenigen, die sich "Zillenials" nennen, objektiv betrachtet entweder zu den Millenials oder zur Gen Z. Meist zur Gen Z, meint Rüdiger Maas. Da die Gen Z in den Medien überwiegend negativ dargestellt werde, würden sich junge Menschen oft schämen, zu dieser Kohorte zu zählen. Indem man sich als "Zillenial" beschreibt, könne man einer möglichen Vorverurteilung aus dem Weg gehen.
Die gängigsten Gen Z-Klischees dürften mittlerweile jedem bekannt sein: "Es ist eine faule Kohorte mit geringer Leistungsmotivation und geringer Frustrationstoleranz. Sie besitzen weniger Empathie, verfolgen aber einen höheren moralischen Ansatz. Sie sind alle nachhaltig und digital fit", zählt der Experte auf. Dass die Mitglieder der Gen Z sich damit nicht oder nur zu einem geringen Teil identifizieren können, hat den einfachen Grund, dass all diese Stereotypen nicht stimmen. Maas‘ Institut für Generationenforschung hat die Vorurteile analysiert und allesamt widerlegt.
Klischees über die Gen Z stimmten nicht
Mitglieder der Gen Z seien zum Beispiel nicht automatisch "digital fitter", sondern "greifen einfach intuitiv auf die digitale Welt zu". Die Gen Z sei in großen Teilen konsumorientiert, nicht nachhaltig: Sie produziert allein über das Internet mehr CO2-Emissionen als Gleichaltrige vor 30 oder 40 Jahren, 30 Prozent haben FDP gewählt und nur ein Fünftel geht für das Klima demonstrieren. Dafür sei die Gen Z aber nicht faul. Denn die entscheidende Frage "Wie stellst du dir Arbeit und Freizeit vor?" haben alle in der Untersuchung befragten Generationen über die Altersgrenzen hinweg sehr ähnlich beantwortet.
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Plastiktüten kosten mittlerweile nicht nur Geld, viele Konsumenten lehnen den Gebrauch der Tüten aus Überzeugung ab. Deswegen ist es Zeit für eine praktische Alternative, die in jede Taschen und jeden Rucksack passt. Baumwoll-Tragenetze gibt es in allen Farben und Größen. Du kannst darin deine Einkäufe verstauen und verzichtest komplett auf Plastik. Wenn du Obst und Gemüse einkaufst und eine plastikfreie Aufbewahrung suchst, dann können auch diese Tragenetze die Lösung sein.
Die Realität der Gen Z sieht anders aus. "Wir haben eine enorme Akademisierung", sagt Rüdiger Maas: Abitur und Studium sind im Mainstream angekommen. Generell sei ein starkes Streben in den Mainstream zu beobachten, was der Experte als "Neo-Konventionalismus" bezeichnet: "Man sieht eine Vereinheitlichung; es gibt wenig Gegen-Bewegungen. Man muss sehr stark sozial erwünscht agieren, sodass die eigene Meinung oft kein Gehör findet." Wohl auch deshalb hält sich die Generation Z gerne an Regeln, statt zu rebellieren, wie es für junge Menschen einst üblich war. Das sei eine Eigenschaft, die sonst keine Generation aufweist. "Durch den scheinbar endlosen Konsum haben wir aber auch eine traurige Kohorte. Wir sehen ein Anstieg von Depressionen und Angststörungen", berichtet der Experte.
Der "Zillenial" soll das Beste aus beiden Generationen vereinen
Die Millenials seien in vielen Aspekten konträr zu der Nachfolge-Generation. Zum einen haben Angehörige der Generation Y, wie die Millenials auch genannt werden, einen anderen Bezug zur Digitalisierung, weil sie mit sozialen Netzwerken erst in der Jugend oder im frühen Erwachsenenalter in Kontakt kamen. Wegen der Wehrpflicht, dem G9-Modell beim Abitur und der Umstellung auf das Bachelor-Master-System seien die Millenials später in den Arbeitsmarkt eingetreten – und das unter erschwerten Bedingungen. Stichwort Finanzkrise: Die Zukunft war unsicher, die Arbeitsplätze nicht so zahlreich vorhanden. Wahrscheinlich rührt daher der Stereotyp, Millenials seien unternehmerisch und fleißig. Zu den weniger positive Eigenschaften, die der Generation Y angedichtet werden, gehört, dass sie verweichlicht sei, von sich selbst besessen und immer zu hohe Erwartungen habe.
Dass die beiden Generationen so gegensätzlich sind, erklärt die Faszination, die vom "Zillenial" ausgeht: Eine neue Kohorte mit den besten Eigenschaften der Millenials und der Gen Z – best of both worlds also. "Der 'Zillenial' ist eine dankbare Geschichte, weil ich aus beiden Kohorten das Positive ziehen kann und irgendwie passt es immer zu mir", erläutert der Generationenforscher. Bei auffallend positiven Beschreibungen, die zugleich sehr vage gehalten sind, "erkennen sich alle wieder", sagt der Experte. Dieses Phänomen, der sogenannte Barnum-Effekt, ist in der Psychologie schon lange bekannt und laut Rüdiger Maas vermutlich der Grund, warum sich so viele junge Menschen als "Zillenial" identifizieren.
Auf TikTok berichten "Zillenials" oft davon, dass sie sich verloren gefühlt haben, weil sie sich weder bei den Millenials noch bei der Gen Z einordnen konnten. Was Sinn macht, weil die gängigen Stereotypen schlichtweg nicht die Wirklichkeit abbilden. "Weil sie aber so fest davon ausgehen, dass die Zuschreibungen stimmig sein müssen, passen sie in keine Kategorisierung komplett rein", erläutert der Experte. Deshalb suche man sich eine neue Klassifizierung, "eine Ersatzschablone". Warum aber ist die Sehnsucht nach der passenden Identität, dem richtigen Label in dem Kulturkampf der Generationen, überhaupt so groß? "Weil es so allgegenwärtig ist", erklärt Rüdiger Maas.
Die Suche nach der richtigen Identität
Wegen der Übermacht der Generationsbegriffe kann es sich für jungen Menschen unglaublich wichtig anfühlen, die eigene Zugehörigkeit zu ermitteln. Das kann auch ein Druck sein, sagt der Experte – oder eine selbsterfüllende Prophezeiung: Wer denkt, er sei Teil einer bestimmten Kohorte, wird sich unter Umständen auch so verhalten, wie es für die Gruppe vorgegeben ist. "Das, was ursprünglich mal dafür gedacht war, der Jugend gerecht zu werden, hat sich ins Gegenteil verkehrt", kritisiert der Generationenforscher.
Schuld daran ist zu einem großen Teil die Wirtschaft. Weil man kaufkräftige Kunden in möglichst genaue Zielgruppen einzuteilen versucht; beispielsweise in diejenigen, die eher über YouTube und diejenigen, die eher über TikTok erreicht werden können. "Das ist kein soziologisches oder psychologisches Konzept", betont Rüdiger Maas. Vor etwa zehn Jahren habe der Hype um Generationen begonnen, damals mit den Millenials, weil sie die erste Kohorte waren, die in ihrer Jugend ein Smartphone hatte und damit permanent im Digitalen unterwegs war – und damit auch permanenten mit Werbung bombardiert werden konnte.
Die Generationen davor hatten in ihrer Jugend keine Einteilungen. Begriffe wie der Baby-Boomer und die Generation X kamen erst im Nachgang. Diese "nachträgliche Attribuierung unterliegt tatsächlich mehr der Stereotypisierung als einem sinnigen Unterscheidungsmerkmal", erklärt der Forscher. Dennoch sind es genau diese Klischees, die von Marketing-Kampagnen, Marken und Mode-Influencer bedient werden. Vor allem in den sozialen Netzwerken, die den Identitätsdruck laut Rüdiger Maas zusätzlich verstärken: "Jeder ist in seiner Bubble und Trends gehen viel schneller viral."
Momentan ist es eben der "Zillenial", der die Feeds und "For you"-Pages zu erobern sucht. Das Generations-Mischwesen ist ein Konzept, das durchaus Spaß macht. Vor allem wenn man seine Kindheit nach den schönsten technischen und popkulturellen Highlights durchforstet. Wer auf dem Nintendo-DS Hunde gefüttert, den "Harlem Shake" getanzt und Poster aus der "Bravo" gesammelt hat, schwelgt wahrscheinlich ebenso gerne in der Nostalgie der frühen 2000er wie all die anderen "Zillenials". Ein bisschen Retro tut gut. Die vermeintlich perfekt passende "Zillenial"-Identität sollte man jedoch mit einem Augenzwinkern betrachten – und niemals als wissenschaftlichen Fakt.
Quellen: "Pew Research Center", "Urban Dictionary"