Wie fast jeder, den ich kenne, bin ich davon überzeugt, mein Leben nicht hinreichend im Griff zu haben. Man stümpert sich so durch, man schummelt links und rechts und versagt an nahezu jeder Front: Gesundheitszustand, Arbeit, Liebe, Hundeerziehung, allgemeine Lebensorganisation – joah, läuft alles irgendwie okay, könnte aber deutlich okayer laufen. Erkannte Probleme könnte man zum Beispiel mal zu lösen beginnen, statt sie immer weiter zu beseufzen – andererseits kämen dann ja doch nur wieder neue. Ein problemloses Leben ist nicht mehr vorstellbar, irgendwas ist immer; fragen Sie mal Angela Merkel.
Hin und wieder lese ich ein Buch über Problemlösungsmethoden. Ich tue das ungefähr so, wie man Kochsendungen im Fernsehen anschaut: ohne die Absicht, das Gelesene oder Gesehene je in die Tat umzusetzen. Aber gut zu wissen, dass man es könnte. Und dann wüsste, wie es ginge. Falls man es mal täte.
Das Stapelsystem
Eines der Probleme, denen ich mich gern widmen würde, ist mein (an dieser Stelle bitte Gelächter vom Band einspielen) Ablagesystem. Ich habe wirklich alles probiert, Eingangskörbe, Hängeregistraturen, Aktenordner. Aber mein einziges konsequent durchgehaltenes Organisationsprinzip ist und bleibt: der Stapel. Ich staple Briefe, Rechnungen, Zeitungen und Bücher über Problemlösungsmethoden.
Wenn ein Stapel zu hoch wird, beginne ich einen zweiten. Hin und wieder brauche ich irgendetwas aus einem meiner Stapel und packe es später wieder oben drauf. Was lange genug unten liegt, kompostiert irgendwann zu Humus und düngt meinen Teppich.

Meike Winnemuth
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Glaube ich jedenfalls, ich habe lange nicht nachgesehen.
Für diese Hochstapelei habe ich mich immer rechtschaffen geschämt, doch wie ich der Lektüre meines neuesten Problemlösungsbuchs entnehme, handelt es sich beim Stapeln um das eleganteste und effizienteste Ordnungsprinzip der Welt.
Mathematisches Shopping
Das Buch heißt "Algorithms to Live By" (bislang nur auf Englisch erschienen) und empfiehlt, sich etwas bei den größten Problemlösern von allen abzugucken: bei Computern. Wie man zum Beispiel am besten eine Jeans kauft oder eine Mietwohnung findet oder einen Parkplatz oder einen Lebenspartner, sollte man getrost einem Algorithmus überlassen. Die 37-Prozent-Regel etwa, die das statistisch optimale Verhältnis von Aufwand und Ergebnis beschreibt, hilft Leuten, die sich nie entscheiden können. Beispiel: Hat man einen Monat Zeit, eine Wohnung zu finden, sollte man 37 Prozent der Zeit, also elf Tage, nur darauf verwenden, Wohnungen anzugucken, und anschließend die erste nehmen, die besser ist als die bis dahin gesehenen. Ende, aus. Oder: Man hat zehn Jeans in der Umkleidekabine, zieht davon maximal vier an und kauft dann die erste, die besser als die bislang probierten ist. Boom! Mathematisches Shopping.
Und jetzt kommen wir zum Stapel. Ein Computer hat dasselbe Problem wie ein Regal: begrenzte Speicherkapazität. Also muss sein Speicher möglichst schlau organisiert sein. Häufig benutzte Dateien liegen in einem Pufferspeicher für den schnellen Zugriff. Unnötiges wird daraus entfernt nach dem LRU-Prinzip ("least recently used" = am längsten nicht verwendet). Denn es gibt eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass die als Nächstes benötigte Datei die zuletzt benutzte ist.

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Übersetzt in den Alltag: Wenn man alles, was man gebraucht hat, oben auf den Stapel packt, steigt die Wahrscheinlichkeit, dass man findet, was man sucht. Voilà: keine Schlamperei, sondern ein sich selbst organisierendes System. Wissenschaft, Leute! Endlich ist sie mal zu was gut.