Youtuber aus Russland Daniil Orain fragt Russen nach Ukraine-Krieg und Putin. Die Antworten sind erstaunlich ehrlich

Der YouTuber Daniil Orain
Der YouTuber Daniil Orain
© Screenshot YouTube "1420"
Für seinen YouTube-Kanal "1420" befragt Daniil Orain in Russland Menschen auf der Straße nach ihrer Meinung zu verschiedenen Themen. Oft geht es um den Krieg in der Ukraine und Präsident Wladimir Putin. Die Antworten geben einen Einblick, wie Russen wirklich denken.

"Weißt du noch, was wir in der Ukraine machen?"

"Wir töten Zivilisten, verteidigen die Interessen einer Gruppe von schurkenhaften Politikern", antwortet der junge Mann mit Sonnenbrille.

Gestellt hat die Frage Daniil Orain. Der 21 Jahre alte Russe führt für seinen YouTube-Kanal "1420" Umfragen auf den Straßen Moskaus und anderer russischer Städte durch. Rund 325.000 Userinnen und User haben seinen englischsprachigen Kanal abonniert, seine Videos haben teilweise mehr als eine Million Klicks. Es gibt auch "1420"-Kanäle in anderen Sprachen.

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Die Antworten, die er auf seine Fragen erhält, sind oft ehrlich und direkt – und zeigen, dass es nicht wenige Gegner des Ukraine-Krieges in Russland gibt.

So antwortet eine Frau auf die Frage, was in der Ukraine passiere: "Ein Krieg". Viele andere antworten ähnlich. Ein anderer sagt: "Wir töten Zivilisten und ich bin damit überhaupt nicht einverstanden. Ich verurteile das."

Doch für andere ist diese Frage zu heikel, sie wollen nicht antworten.

Ukraine-Krieg als Thema: "Worüber sollte ich sonst Videos drehen?"

Auf die Idee mit dem YouTube-Kanal ist Orain vor gut drei Jahren gekommen. Damals arbeitete er als Software-Entwickler, erzählt er dem stern. Auf den Fahrten zur Arbeit schaute er sich Videos auf YouTube an von Menschen, die andere Menschen zu verschiedenen Dingen befragten. "Ich dachte, es wäre eine gute Idee, das auch in Russland zu machen." Der Name seines Kanals geht auf seine Schule zurück, die Schule Nummer 1420 in Moskau, die er besuchte.

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Seit Beginn des russischen Angriffskrieges in der Ukraine – der in Russland nur "Spezialoperation" genannt werden darf – dreht es sich in seinen Videos viel um die Ukraine, Sanktionen gegen Russland und Wladimir Putin. Warum er so viele Videos zu diesem Thema macht? "Worüber sollte ich sonst Videos drehen?", antwortet Orain. "Es ist das Thema, was die Öffentlichkeit nicht ignorieren kann." Zudem sei es nicht schwer, mit Menschen darüber ins Gespräch zu kommen, ganz im Gegenteil.

Zum Krieg in der Ukraine antwortet ein Mann mit Glatze und dunklem T-Shirt: "Dies sind die Ambitionen unseres Diktators." Er meint damit Wladimir Putin. Auf die Nachfrage von Orain, welche Ambitionen er meint, kann der junge Mann aber keine konkrete Antwort geben. Aber er denke, dass "viele Russen nicht diese Art Ambitionen haben" und "dieser Krieg nur von einer Minderheit in unserem Land unterstützt wird".

Andere Russinnen und Russen äußern in den Videos von Orain aber andere Meinungen. So sagt eine Frau in einem Moskauer Park: "Russland hilft der Ukraine. Warum sollten sie den Ukrainern Schaden zufügen?"

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Ein älterer Mann sagt in der Stadt Kostroma, nordöstlich von Moskau: "Dieser Konflikt war sehr notwendig. Neonazis müssen eliminiert werden." Wenn man nicht interveniert hätte, so der Mann mit Zigarette in der Hand, "dann wären sie hierhergekommen".  

Ein anderer, älterer Herr antwortet auf die Frage, ob der Krieg in der Ukraine nötig war, er denke, es war notwendig: "Ich bezweifle, dass es möglich war, ihn zu verhindern." 

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Zerbombte Ukraine? "Vielleicht eine Filmkulisse", sagt eine Frau

Orain zeigt in seinen Videos Russinnen und Russen auch Fotos der Zerstörung in der Ukraine. Manche halten sie für echt und die zerbombten Häuser für Folgen russischer Angriffe. Andere halten die Fotos für "fake" oder manipuliert. Eine Frau mutmaßt sogar, dass es eine Filmkulisse sei.

Die Antworten, die Daniil Orain auf seine Fragen bekommt, überraschen ihn nicht, wie er sagt. "Ich weiß, dass Menschen unterschiedliche Meinungen haben. Ich weiß, dass solche Meinungen existieren."

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Auch bei den Themen Demokratie im Land und Wladimir Putin gehen die Meinungen der Menschen in Russland auseinander. Ein Mann in kariertem Hemd etwa sagt: "Als ein russischer Patriot bin ich immer für meinen Präsidenten." Ein anderer antwortet auf die Frage, ob er Putin unterstütze: "Natürlich! Er bringt Ordnung in diese gottverdammte Welt."

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Ein junger Mann aus der Stadt Jaroslawl, mit Sonnenbrille, Kapuzenpullover und Cap, sagt hingegen über Putin: "Ich möchte seinen verdammten Tod. Er geht mir auf die Nerven. Ich habe genug von seiner Politik."

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Eine junge Frau aus Moskau antwortet auf die Frage, ob Russland eine Demokratie sei: "Im Moment höchstwahrscheinlich nicht." Die Redefreiheit sei eingeschränkt, es gebe Restriktionen. "Es ist illegal zu sagen, was in der Ukraine vorgeht. Es ist verboten zu sagen, dass unsere Regierung falsch ist."

"Ob ich in einer Diktatur leben will?", fragt ein junger Mann mit Sonnenbrille, Ketten und Ohrringen rhetorisch. "Ich möchte nicht, aber ich bin bereits in einer, motherfucker!" Andere sagen, sie halten Russland für einen totalitären Staat.

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Es sind heikle Themen, die Daniil Orain anspricht. Angst, dass er Ärger mit dem Gesetz bekommt, hat er aber nicht, wie er dem stern sagt. Bisher habe er auch keinen Ärger bekommen. "Manchmal überlegen wir, ob wir Probleme bekommen." Aber Videos für Zuschauerinnen und Zuschauer im Ausland zu produzieren, sei okay, wie er sagt. "Der Regierung ist das egal. Die Gefahr ist nicht so groß."

Seine Videos, so Orain, richten sich vor allem an Zuschauerinnen und Zuschauer in den USA. Dort hat er auch viele Menschen, die ihm zusehen, wie er aufschlüsselt. "In den letzten sieben Tagen kamen 16 Prozent unserer Zuschauer aus den USA, zwölf Prozent aus Russland. Die anderen kommen hauptsächlich aus Europa." Und warum sind seine Videos an US-Amerikanerinnen und -Amerikaner gerichtet? "Ich habe viele amerikanische Filme gesehen und amerikanische Musik gehört. Ich dachte also, ich weiß, was sie interessiert."

Auch LGBT in Russland ist ein Thema bei "1420"

Es geht aber in Orains Kanal nicht nur um Krieg, Putin und Demokratie. Er fragt zum Beispiel auch, wann die Menschen das letzte Mal geweint hätten, was sie bereuen oder ob Touristinnen und Touristen Russland besuchen sollten.

Doch es werden auch gesellschaftspolitische Fragen gestellt, etwa zum Thema Abtreibung; Rassismus oder zu LGBT-Themen (Lesbian, Gay, Bisexual, Trans – Lesbisch, Schwul, Bisexuell, Trans). Russland wird als ein eher LGBT-feindliches Land eingeschätzt. Aber was denken die Menschen in Russland selbst darüber?

"Ich würde alle Schwuchteln verbannen", sagt ein Mann aus Krasnojarsk, der drittgrößten Stadt Sibiriens. Ein Mann, der neben ihm steht, widerspricht aber. "Hör nicht auf diesen Trottel. (…) Verdammt, ich bin tolerant. Mich interessiert das nicht." Für Kinder sei es besser, sie würden von homosexuellen Paaren adoptiert als in Waisenhäusern zu leben, meint er.

Ein weiterer junger Mann sagt: "Jeder hat das Recht auf Glück, alle haben das Recht, in Freiheit zu leben und mit der Person zusammenzuleben, die man liebt. Ich sehe nichts Falsches daran."

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Eine ältere Frau aus Moskau antwortet: "Nein, für mich ist das okay. Ich möchte nicht, dass mein Sohn oder meine Enkel schwul werden. Aber für mich ist es im allgemeinen okay. Menschen sollten nicht für ihre Natur verfolgt werden."

Anders denkt ein junger Mann aus der Stadt Tschita im Osten des Landes. Auf die Frage, ob er einen Knopf drücken würde, der alle LGBT-Menschen verschwinden lassen würde, drücken würde, antwortet er: "Mit Vergnügen." Und wenn sein Sohn schwul wäre? "Ich würde ihn trotzdem drücken."

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Schockieren Daniil Orain solche Antworten? "Nicht wirklich. Wenn ich verrückte Antworten höre, weiß ich, dass der Typ eine verrückte Meinung hat. Jede Meinung kann existieren." Manchmal sehe er außergewöhnliche Menschen, was ihn freue, denn: "Wenn Menschen dieselben Antworten geben, sind die Videos nicht interessant. Wenn sie unterschiedliche Antworten geben, dann ist das cool."

Zum Schluss eine Frage, auf die viele Russinnen und Russen in seinen Videos geantwortet haben: Was hält er vom Krieg in der Ukraine? "Er ist falsch", sagt Orain kurz und knapp.

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