Husten, Fieber und reichlich Rotz - das sind die klassischen Symptome von Kita-Kindern, wenn sie erstmals mit Viren und Bazillen in Kontakt kommen. Beim Coronavirus Sars-CoV-2 ist das anders, zumindest laut offiziellen Zahlen. In Deutschland sorgen Kinder und Jugendliche gerade einmal für drei Prozent aller bestätigten Infektionen. Sie haben damit augenscheinlich nicht nur deutlich seltener Corona-Infektionen als Erwachsene. In der Regel fallen die Beschwerden auch milder aus.
Die Infektionszahlen sind jedoch mit Vorsicht zu interpretieren - eben weil Kinder oft asymptomatische Verläufe haben, wenn sie mit dem Coronavirus infiziert sind. Das könnte dazu führen, dass sie weniger getestet werden und in offiziellen Statistiken unterrepräsentiert sind. Kinder, die keine Beschwerden zeigen, würden dann schlicht nicht in die Statistik einfließen. Dabei zeigen Untersuchungen, dass sich Kinder ebenso effektiv bei infizierten Kontaktpersonen anstecken wie alle anderen Altersgruppen. Auch die Virenmenge im Rachen ist in etwa vergleichbar groß wie bei Erwachsenen, zeigte jüngst eine Studie um den Berliner Virologen Christian Drosten. Allein: Sie erkranken deutlich seltener.
Infektiöse Viren, aber kaum Symptome
Ulrike Protzer, Direktorin des Instituts für Virologie an der Technischen Universität München, kann dieses Phänomen aus der Praxis bestätigen, wie sie in einem Pressegespräch des "Science Media Center" verriet. "Kinder können sich infizieren. Kinder scheiden auch infektiöses Virus aus. Aber: Kinder werden viel weniger krank."
Protzer kümmerte sich während des ersten Corona-Ausbruchs um eine infizierte Familie aus Traunstein bei München - Vater, Mutter und drei Kinder. Zunächst habe sich der Vater mit dem Virus angesteckt, dann die älteste Tochter, schließlich die Mutter und das zweijährige Kind. Einzig beim jüngsten Kind der Familie - einem Säugling, der noch gestillt wurde - konnte keine Infektion nachgewiesen werden. Möglicherweise hatte die Muttermilch einen besonderen Schutz entfaltet.
Doch auch die zwei älteren, nachweislich infizierten Kinder der Familie blieben weitgehend von Beschwerden verschont. "Die beiden Kinder hatten geringe Symptome", so Protzer. Sie entwickelten demnach eine leicht erhöhte Temperatur bis 38 Grad Celsius, dazu milde Verdauungsbeschwerden. Im Nasen-Rachen-Raum der Kinder fanden die Ärzte infektiöse Viren. Die Virenmenge war vergleichsweise groß. Auch im Stuhl der Kinder konnte Viren-RNA nachgewiesen werden. Wie aber sind dann die leichten Beschwerden zu erklären, wo sich das Virus doch so effektiv in den Körpern der Kinder vermehren konnte?
Laut Protzer gebe es dazu noch keine gesicherten Erkenntnisse, wohl aber Theorien: Eine davon basiert auf einer bestimmten Eigenschaft des Immunsystems von Kindern. Demnach besitzen Kinder besondere Gedächtnis-B-Zellen, die mehr dazu neigen, breiter wirksame Antikörper zu bilden. Dies sei bei Kindern notwendig, weil sie sich gegen viele Infektionen schützen müssen. Bei Erwachsenen gehe dieser breite Schutz dagegen ein Stück weit verloren. Im Erwachsenenalter konzentriere sich die Immunantwort vielmehr auf spezifische Erreger.
Dass Kinder weniger Symptome als Erwachsene entwickeln, ist auch keineswegs ein typisches Phänomen von Sars-CoV-2. Ein ähnliches Muster gebe es auch beispielsweise beim Epstein-Barr-Virus, dem Erreger des Pfeifferschen Drüsenfiebers. "Früher waren alle in den ersten ein, zwei Lebensjahren infiziert. Da haben wir nie symptomatische Infektionen gesehen", so Protzer. Aufgrund verstärkter Hygienemaßnahmen bekämen die meisten Menschen das Virus nun meist erst im Jugendalter. "Und plötzlich werden sie deutlich symptomatisch."
Ansteckungsgefahr in der Familie wohl am größten
Unklar ist bislang, wie ansteckend infizierte Kinder sind. Analysen aus China und den Niederlanden zeigen, dass es selten Kinder sind, die das Virus in die Familien einschleppen. Allerdings war die Anzahl der untersuchten Haushalte gering. Auch die Altersstruktur der infizierten Personen spielt eine entscheidende Rolle, welche Patienten als sogenannte Indexpatienten in Frage kommen. Verbreitet sich das Virus in einem Land also zunächst unter Berufstätigen - etwa durch Großraumbüros - , sind es meist sie, die das Virus in das häusliche Umfeld tragen.
Die Viruslast sei jedenfalls nicht das einzige Kriterium, mit der die Ansteckungsgefahr bemessen werde, so Protzer. Auch andere Faktoren seien entscheidend, etwa körperliche Nähe und auch die Dauer des Kontakts. Innerhalb einer Familie - unter Geschwisterkindern und Eltern - sei von einem sehr engen Kontakt auszugehen. Es bestehe daher "ein hohes Ansteckungsrisiko", so Protzer.

Ein enger Kontakt kann grundsätzlich auch in Kita-Gruppen und auf Spielplätzen stattfinden. Wie groß ist das Risiko, dass sich die Kleinen beim gemeinsamen Spielen infizieren und im Anschluss die Eltern anstecken? Laut Protzer sind dafür mehrere Faktoren ausschlaggebend - allen voran das Alter der Kinder. "Das Risiko der Übertragung ist sicherlich bei kleineren Kindern, weil die Hygienemaßnahmen nicht so gut einhalten können, höher als bei etwas älteren Kindern." Wichtig sei außerdem, wo sich die Kinder aufhielten: An frischer Luft sei das Ansteckungsrisiko grundsätzlich geringer als in geschlossenen Räumen.
Eine länger andauernde Schließung von Kitas und Schulen hält sie dennoch nicht für zwingend sinnvoll. Vielmehr gehe es um den richtigen Umgang mit dem Virus und eine sorgfältige Abwägung von Risiken und Nutzen. Laut Protzer könne eine stufenweise Lockerung sinnvoll sein, um die Effekte der einzelnen Maßnahmen auseinanderzuhalten. "Aber wir müssen öffnen und wir werden öffnen." Wichtig sei dann vor allem, mögliche Begleitrisiken zu bedenken. "Sind im Umfeld Eltern, die ein hohes Risiko haben, weil sie Vorerkrankungen haben? Leben die Großeltern mit im gleichen Haushalt?" All das gelte es im Blick zu behalten.
Gerade mit Blick auf asymptomatische Verläufe rät Philipp Henneke, Facharzt für Kinder- und Jugendmedizin, zu gründlicher Hygiene im eigenen Haushalt. Zu erkrankten Familienmitgliedern sollte nach Möglichkeit Abstand gehalten werden. Kleine Kinder seien jedoch ein Sonderfall - im Krankheitsfall benötigten sie besonderen Schutz und auch besondere Nähe, so Henneke.