Dienstag, 29.04.2003 Superstar - der deutsche SARS-Arzt Volker Klinnert

Volker Klinnert, Arzt an der Deutschen Botschaft, hat noch nie einen SARS-Patienten behandelt, trotzdem ist er für die rund 3000 Deutschen, die in der chinesischen Hauptstadt leben, der wichtigste SARS-Doktor von ganz Peking.

Volker Klinnert, Arzt an der Deutschen Botschaft, hat noch nie einen SARS-Patienten behandelt, trotzdem ist er für die rund 3000 Deutschen, die in der chinesischen Hauptstadt leben, der wichtigste SARS-Doktor von ganz Peking. Klinnert, der mit seinen 46 Jahren aussieht wie eine jüngere Ausgabe der Schauspielerlegende Curd Jürgens, beruhigt die Nerven der Geschäftsleute, Diplomaten, Studenten und Journalisten (sowie ihrer Familienmitglieder) wie sonst kein anderer.

Über den Autor

Matthias Schepp, 39, arbeitet seit mehr als einem Jahrzehnt für den stern. Von 1992 bis 1998 berichtete er aus Moskau, 1999 eröffnete er das Büro des stern in der chinesischen Hauptstadt. Mit seiner Frau und den beiden Kindern Moritz (3) und Max (1) lebt er im Zentrum Pekings. Schepp, der in Mainz und Dijon Geschiche studierte, sagt von sich selbst: "Mich interessiert das Verhalten von Menschen in Krisen- und Umbruchzeiten. Das Ende des Kommunismus ist mein großes Thema. In Russland war es gleichsam ein Sekundentod, in Peking beoachte ich das langsame Sterben der Ideen von Marx, Lenin und Mao."

Auf einer Informationsveranstaltung in der Deutschen Schule stellte er gestern klar: Bisher sind kaum Kinder von SARS betroffen, das Virus verbreitet sich offenkundig nicht durch die Luft, die SARS-Anteckungsgefahr ist minimal - in der 14-Millionen-Stadt Peking sind von 10.000 Einwohnern 9999 SARS-frei. Aber Klinnert läßt auch seine Sorge durchblicken, dass die chinesischen Politiker womöglich zu spät gehandelt haben, um SARS noch zu stoppen. "Wir haben inzwischen eine so hohe Zahl von Ansteckungen in Peking, dass leider nicht jeder Ansteckungsweg verfolgt wurde", sagte er. "Wenn wir aber nicht mehr sicher sein können, wo man sich infizieren kann, besteht eine gewisse Gefährdung für alle."

Klinnert hat der Deutschen Botschaft in Peking zu neuer Beliebtheit verholfen, er ist ihr Superstar. Ansonsten gehört es nämlich geradezu zum Wesen diplomatischer Vertretungen von den eigenen Landsleuten gering geschätzt und desöfteren sogar beschimpft zu werden. Wahrscheinlich werden Diplomaten deshalb auch nicht schlecht bezahlt und vom Staat mit dem ein oder anderen Privileg gesegnet. Ein Schmerzensgeld dafür, dass die Journalisten ständig nach heißen News bohren, die Diplomaten eigentlich ihrem Chef Joschka Fischer zukommen lassen sollen. Der eine oder andere Pekinger Top-Diplomat steht bei den deutschen Korrespondenten zudem im Ruf, es allzu freundlich mit der chinesischen Regierung zu meinen - selbst was deren anfangs unrühmliche Vertuschungsrolle bei der SARS-Epidemie betrifft.

Die Geschäftsleute schließlich mosern über langsame Visa-Abfertigung und im Fall von SARS schon mal darüber, warum die Botschaft denn nicht eine einheitliche Haltung der deutschen Unternehmen durchsetzen könne. Motto: Sollen wir nun die Büros schließen oder nicht? Da packt den Schreiber die kalte Wut. Denn mitunter kommen solche Ideen just von jenen neoliberalen Managern, die ansonsten stets "hire and fire" und den Rückzug des Staates aus der Wirtschaft predigen. Verdammt noch mal, denke ich, warum rufen die jetzt nach der Bundesregierung? Es muss etwas damit zu tun haben, dass ihnen, die zum Teil ihre Frauen und Kinder in Panik nach Deutschland geschickt haben, nun der eigene Hintern anbrennt und ihren Firmen langsam aber sicher die Geschäfte wegzubrechen drohen. Ein Freund, der bei Bayer in Leverkusen arbeitet, tröstet mich: Solches Verhalten sei auch in Deutschland nicht unüblich.

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Den Infoabend des Botschaftsarztes aber verlassen alle mit dem Gefühl, dass es ganz so schlimm nicht kommen werde. Denn Volker Klinnert hat ein natürliches Talent, auch unangenehme Wahrheiten so zu präsentieren, dass sie die Betroffenen nicht hoffnungslos machen. Im Gegenteil, er stimmt sie zuversichtlich. Das kann ich selbst bezeugen. Es war gerade ein dreiviertel Jahr her, dass ich von Moskau nach Peking umgezogen war, als mich ein hohes Fieber niederwarf. Fast vierzig, keiner der Ärzte konnte etwas finden. Nach zwei Wochen glühte ich immer noch mit 38,5 Grad vor mich hin - zwei lange weitere Monate. Meine Frau verdächtigte mich, eine wandelnde Biowaffe zu sein und hielt mich von unseren Kindern fern.

Ich pilgerte von einer Klinik zur anderen, bis mir Klinnert empfohlen wurde, der Botschaftsarzt. Er untersuchte mich zehn Minuten, ließ sich fünf Minuten die Symptome schildern. Dann fasste er zusammen: Alles sei ganz einfach. Mit hoher Wahrscheinlichkeit habe ich einen Virus. Da könne er leider nicht viel machen. "Also Herr Schepp", sagte er mit seiner Bassstimme, "entweder sterben Sie oder die Viren. Aber Sie sind jung und gesund, machen Sie sich keine Sorgen, arbeiten Sie etwas weniger und fahren Sie mit ihrer Familie mal für drei Tage ans Meer." Ans Meer sind wir nicht gefahren, gesund wurde ich trotzdem und aus dem Wartezimmer ging ich mit dem sicheren Gefühl, dass bald alles überstanden sei. Denn Klinnert hatte seine Diagnose in einem Ton vorgetragen, die keinen Zweifel zuließ.

In seinem Behandlungszimmer übrigens hängt auf Spanisch, das Klinnert fließend spricht, ein Sinnspruch: "Es ist angenehm, wichtig zu sein, aber es ist wichtiger, angenehm zu sein." Wahrscheinlich nicht so sehr, um sich wichtig zu machen, sondern genervt von den besorgten Anrufen aus der Heimat, meldete sich am Ende des Infoabends ein deutscher Manager eines internationalen Pharmakonzerns zu Wort. Er tadelte ZDF und Spiegel wegen angeblich panikmachender Berichterstattung. Die Hälfte der Zuhörer klatscht, die andere denkt sich ihren Teil. Kein Journalist hat die Gelegenheit zur Gegenrede.

Im Flur weise ich den Herrn darauf hin, dass die chinesische Regierung ohne die Enthüllungen der ausländischen Presse und ohne den internationalen Druck bestimmt noch ein paar Wochen weitergelogen hätte - dem eigenen Volk die Epidemie verschweigend und somit zu deren weltweiten Ausbreitung beitragend. Selbst eine SARS-Überschrift aus dem stern dieser Woche findet der Mann sensationsheischend. "Leben mit dem Virus" haben wir unseren Report betitelt, der im stern zu lesen ist, der ab Mittwoch dieser Woche am Kiosk liegt. Was würde der Pharma-Manager eigentlich zu "Angriff der Killerviren" sagen?, denke ich, und empfehle ihm im Geiste die Lektüre der "Renmin Ribao", der Volkszeitung. Das chinesische Parteiblatt erfreut uns vier Monate nach Ausbruch der Seuche und ebensolangem Schweigen nun mit Schlagzeilen wie dieser: "In der Krise stehen wir fest zusammen." Hurra! Dann kann ja nichts mehr schiefgehen.

Matthias Schepp

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