Die Säure stieg Tobias Volke bis in den Rachen hinauf, die Speiseröhre brannte, der Magen schmerzte und rebellierte: Jahrelang litt er an heftigem Sodbrennen. Die Schmerzen zehrten an seinen Kräften, er fühlte sich antriebslos und schlapp. Um seinen gereizten Magen zu beruhigen, aß er viel Obst und Gemüse, schluckte säurehemmende Tabletten. Doch die Beschwerden verstärkten sich. "Zuletzt hatte ich das Gefühl, die Schmerzen würden mich innerlich auffressen", erinnert sich der Münchner. Vor gut einem Jahr fand ein Arzt dann die Ursache des Übels: eine sogenannte Fruktosemalabsorption - eine Unverträglichkeit gegenüber Fruchtzucker.
Die Fruktose steckt in vielen natürlichen Lebensmitteln: In Honig, Obst, Fruchtsäften, Marmeladen und sogar in Gemüse. Auch Lebensmittelhersteller haben den fruchtigen Süßmacher für sich entdeckt. Er ist um etwa 20 Prozent süßer als Haushaltszucker, günstig und leicht zu verarbeiten. Kaum ein Softdrink, Schokoladenriegel, Joghurt oder Eis wird daher ohne Fruktose hergestellt. Der Fruchtzucker soll in erster Linie das Kaufverhalten beeinflussen. Werbesprüche wie "mit der Süße aus Früchten" verführen zum Griff in das Supermarktregal und suggerieren: Dieses Produkt ist naturbelassen und gesund.
Doch was der Lebensmittelindustrie Vorteile bringt, kann dem Verbraucher schaden: Denn unsere Verdauung ist für eine zu große Menge an Fruchtzucker nicht ausgelegt. Etwa 35 Gramm des Süßmachers verarbeitet unser Körper in der Stunde meist problemlos - eine Menge, die in sechs Äpfeln oder zwölf Orangen steckt. Wer viel Obst isst und zudem zu Softdrinks greift, kann das zu spüren bekommen. Durchfall, Blähungen, Bauchschmerzen oder Sodbrennen sind die unangenehmen Folgen.
Der Grund: Unser Körper kann die Fruktose nur in begrenzten Mengen aus dem Darm in den Körper schleusen. Dafür ist ein Transporteiweiß mit dem Namen GLUT-5 zuständig. Gelangt zu viel Fruktose mit dem Speisebrei in den Darm, ist dieses Transportsystem überfordert. Ein Teil der Fruktose bleibt unverdaut und wandert in den Dickdarm, wo sich Bakterien über ihn hermachen. Dabei produzieren sie Gase wie Methan, Wasserstoff und Kohlendioxid - es rumort und zwickt in Bauch und Darm.
Durchfall, Blähungen, Völlegefühl
Wenn die Verdauung rebelliert, steckt nicht gleich eine Unverträglichkeit hinter den Beschwerden. Selbst gesunden Menschen macht eine Überdosis an Fruktose zu schaffen. Wer jedoch schon auf eine geringe Menge Obst empfindlich reagiert, ständig unter Durchfall, Blähungen und Völlegefühl leidet, könnte tatsächlich an einer Intoleranz leiden. Mediziner sprechen dann wie im Fall von Tobias Volke von einer Malabsorption. Hier schlägt der Darm schon bei kleinen Mengen Alarm. Schuld ist auch hier wieder das Transporteiweiß GLUT-5: Bei Betroffenen ist der Fruktose-Transporter nur in geringen Mengen vorhanden oder gar defekt. Etwa jeder dritte Erwachsene leidet an einer Malabsorption, die Bandbreite der Beschwerden schwankt jedoch stark von Fall zu Fall.
Eine schwere und seltene Form der Fruktoseunverträglichkeit ist dagegen die sogenannte hereditäre Fruktoseintoleranz. Dabei handelt es sich um eine angeborene Stoffwechselstörung. Schon im Säuglingsalter reagieren Betroffene empfindlich auf Fruktose: Sie erbrechen und entwickeln Leber- oder Nierenfunktionsstörungen. Etwa eines von 20.000 Neugeborenen leidet an dieser extremen Form.
Mehr zum Thema Unverträglichkeiten und Essen als neue Religion finden Sie im neuen stern.
Symptome
Die Symptome einer Fruktoseunverträglichkeit können individuell sehr verschieden sein. Manch einer fühlt sich aufgebläht, ein anderer hat Durchfall oder Sodbrennen. Verschiedene Faktoren beeinflussen, ob und wie stark die Symptome auftreten. Entscheidend ist etwa, wie viel Fruktose wir mit der Nahrung aufnehmen, was wir sonst noch essen und wie viele Bakterien in unserem Darm aktiv sind. Sind sie zahlreich vertreten und besonders gefräßig, plagen die Symptome umso stärker. Grundsätzlich gilt: Mit jedem extra Gramm Fruktose steigt das Risiko für Beschwerden wie
- Blähungen
- Völlegefühl
- Durchfall oder weicher Stuhl
- Verstopfungen
- Sodbrennen
- Übelkeit
- Bauchschmerzen
Lassen die Beschwerden nicht nach, kann das auf die Psyche schlagen: Einige Betroffene sind ständig gereizt, antriebslos oder entwickeln gar eine Depression. Aus Angst vor den Beschwerden verzichten sie womöglich ganz auf frisches Obst und Gemüse – dann droht eine Unterversorgung mit Vitaminen und Spurenelementen.
Soweit muss es jedoch nicht kommen. "Trotz Malabsorption sollte man nicht dauerhaft auf Obst verzichten", rät Antje Gahl, Ernährungswissenschaftlerin bei der Deutschen Gesellschaft für Ernährung. Viele Betroffene würden sehr wohl Rohkost vertragen, wenn auch nicht fünf Äpfel auf einmal.
Diagnose
Wenn Sie immer wieder Beschwerden wie Bauchschmerzen, Blähungen oder Durchfall quälen, sollten Sie Ihren Hausarzt aufsuchen. Er klärt ab, ob eventuell andere Krankheiten hinter den Symptomen stecken. Einige Betroffene leiden zusätzlich an weiteren Unverträglichkeiten wie einer Laktoseintoleranz oder einer Getreideunverträglichkeit. Ob Sie tatsächlich keinen Fruchtzucker vertragen, stellt Ihr Arzt mit einem einfachen Atemtest fest.
Ein Ernährungstagebuch kann helfen
Dafür müssen Sie ein Glas mit einer Fruchtzuckerlösung trinken. Vor Beginn des Tests und in 20-minütigen Abständen misst ihr Arzt dann den Wasserstoff-Gehalt ihrer Atemluft. Wasserstoff entsteht, wenn Darmbakterien die unverdaute Fruktose im Dickdarm zersetzen. Von dort wandert das Gas über die Blutbahn direkt in die Lunge. Steigt die Wasserstoffkonzentration des Atems innerhalb von drei Stunden über einen bestimmten Wert, liegt mit großer Wahrscheinlichkeit eine Fruktosemalabsorption vor.
Aufschluss gibt auch ein Ernährungstagebuch: Wann genau und nach welchen Speisen rebelliert meine Verdauung? Was vertrage ich problemlos und was sollte ich meiden? Lassen Sie die Protokolle von einem Arzt oder Ernährungsberater auswerten, wenn die Beschwerden anhalten.
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Therapie
Eine angeborene oder erworbene Fruktoseunverträglichkeit ist leider nicht heilbar. Allerdings können Sie einiges tun, um Ihre Beschwerden zu lindern. Besonders eine individuell abgestimmte Ernährung spielt dabei eine zentrale Rolle.
Auch wenn es schwer fällt: Versuchen Sie möglichst zwei Wochen lang Fruktose zu meiden, wenn der Arzt eine Malabsorption diagnostiziert hat. Selbst Obst ist in dieser Zeit tabu. Mediziner sprechen dann von der sogenannten Karenzphase: Sie soll den Darm beruhigen und die Verdauung ins Gleichgewicht bringen. Fragen Sie einen Ernährungsexperten, wenn Sie sich unsicher sind, in welchen Lebensmitteln überall Fruchtzucker enthalten ist. Anlaufstellen sind hier die Deutsche Gesellschaft für Ernährung, der Verband der Diätassistenten und der Deutsche Allergie- und Asthmabund. Blogs von Betroffenen informieren zusätzlich über versteckten Fruchtzucker in Fertigprodukten.
Aufs Kleingedruckte achten
Wichtige Informationen liefert das Kleingedruckte auf Verpackungen. Je weiter vorne ein Inhaltsstoff auf der Zutatenliste steht, umso mehr ist davon enthalten. Die Begriffe Fruktose, Inulin, Maisstärkesirup, Fruchtsüße, Glukose-Fruktose-Sirup und Fructooligosaccharid sollten Sie hellhörig werden lassen: Diese Lebensmittel enthalten Fruchtzucker. Meiden Sie die Produkte – und wählen Sie im Supermarkt künftig fruktosearme Alternativen.
Nach zwei Wochen Verzicht können Sie Ihre Fruktosezufuhr langsam steigern. Testen Sie, welches Obst Ihnen am besten bekommt und essen Sie die Frucht in kleinen Portionen über den Tag verteilt. Besonders verträglich sind etwa Kiwis, Brombeeren, Bananen, Nektarinen und Süßkirschen: Sie enthalten zwar Fruchtzucker, aber auch jede Menge Traubenzucker. Das ist hilfreich, denn dann kann der Körper die Fruktose besser verarbeiten. Idealerweise beträgt das Verhältnis von Fruktose zu Glukose etwa eins zu eins. Viele Betroffene vertragen deshalb den weißen Haushaltszucker, auch Saccharose genannt: Er setzt sich zu gleichen Teilen aus Fruktose und Glukose zusammen.
Vorsicht vor Sorbit
Ist ihre Verdauung sehr empfindlich, sollten sie Äpfel, Birnen und Wassermelonen meiden. Sie enthalten vergleichsweise viel Fruchtzucker. Zuckeralkohole wie Sorbit können ebenfalls Beschwerden verursachen.
Sie stecken beispielsweise in zahnfreundlichen Kaugummis und Bonbons. Diese Alkohole und der Fruchtzucker konkurrieren um das gleiche Transportsystem im Darm. Die Aufnahme von Sorbit kann also den Fruktoseabbau hemmen – mit bekannten Folgen: Durchfall, Blähungen und Bauchschmerzen. Auch hier lohnt ein Blick auf die Verpackung: Die Bezeichnungen Sorbit (E 420), Mannit (E 421), Maltit (E 965), Isomalt (E 953), Lactit (E 966) und Xylit (E 967) weisen auf Zuckeralkohole hin.
Tipps
Selbst nach einem positiven Fruktose-Test besteht kein Grund zur Panik. Mit ein paar einfachen Kniffen leben die meisten Betroffenen nahezu beschwerdefrei. Für Obst und Gemüse gilt: Lieber frisch zubereiten und auf mehrere kleine Portionen über den Tag verteilen. Gemüse ist besser verträglich, wenn es vorher gegart wurde. Obstkonserven, Fruchtsäfte, Nektare und Smoothies sollten sie dagegen besser gleich vom Speiseplan streichen.
Nehmen Sie ein Stückchen Traubenzucker mit, wenn Sie unterwegs sind oder sich mit Freunden zum Essen treffen. Viele Betroffene vertragen Fruchtzucker in Kombination mit Glukose deutlich besser. Apotheken oder Drogeriemärkte verkaufen Traubenzucker in gepresster Form und verschiedenen Geschmacksrichtungen wie Kirsche oder Kakao.
Kombinieren Sie verschiedene Speisen: Essen Sie ihr Früchtekompott zusammen mit einem Naturjoghurt oder einen Pfirsich als Dessert nach einem fettreichen Essen. Denn Eiweiße und Fette verlangsamen die Verdauung – so bleibt dem Körper auch mehr Zeit, um die Fruktose aufzunehmen. Meiden Sie Trockenobst: Getrocknete Früchte enthalten kaum Wasser, dafür aber jede Menge Fruchtzucker in konzentrierter Form.
Fertigprodukte enthalten oft eine unüberschaubare Menge an Zutaten. Da passiert es leicht, dass Sie ungewollt mehr Fruchtzucker aufnehmen, als Ihnen lieb ist. Kochen Sie deshalb so oft es geht selbst. Dabei verwenden Sie am besten frische Kräuter und Zutaten, die Ihnen gut tun und schmecken. Bereiten Sie ruhig ein wenig mehr zu und packen Sie sich das fertige Essen für den nächsten Tag ein – so ersparen Sie sich und ihrem Körper unnötige Experimente.