Getreide ist gesund und gehört zu einer ausgewogenen Ernährung. Seine Körner versorgen den Körper mit Kohlenhydraten sowie Vitaminen und liefern Ballaststoffe für die Verdauung. Doch nicht jeder Mensch verträgt Weizen, Gerste und Co., im Gegenteil: Manchem reicht schon ein Bissen Brot, und der Bauch krampft sich zusammen. Danach folgen Übelkeit, Durchfall und Blähungen - typische Zeichen einer Zöliakie, einer schweren allergieähnlichen Reaktion im Dünndarm.
Ausgelöst wird sie durch Gluten, ein Klebereiweiß. Es steckt vor allem in Getreiden, aus denen Brot und Nudeln hergestellt werden, zum Beispiel Weizen, Roggen, Gerste oder Dinkel. Auch Babynahrung oder stark verarbeitete Produkte wie Fertiggerichte und -produkte wie Fruchtjoghurts, Schokolade, Wurst oder Pizza können Gluten enthalten - die Klebereiweiße werden bei der Herstellung beigemischt, in Form von Aromen oder Stabilisatoren.
Die Darmzotten vertragen kein Gluten
Gelangt Gluten mit der Nahrung in den Magen und schließlich in den Dünndarm, entzünden sich bei manchen Menschen die Darmzotten, jene winzigen Schleimhautfalten, die den Darm von innen auskleiden. Die Zotten filtern alle wichtigen Nährstoffe aus dem Speisebrei und geben sie an das Blut weiter. Normalerweise erneuern sich die Zellen der Darmschleimhaut alle 28 Tage, die alten sterben ab und werden in den Dünndarm abgestoßen.
Leidet ein Mensch an einer Glutenunverträglichkeit, entzünden sich die Schleimhautfalten und werden abgestoßen, noch bevor sie ihre eigentliche Größe erreicht haben. Die Innenseite des Darms flacht somit allmählich ab; Nährstoffe wie Kohlenhydrate, Vitamine oder Mineralstoffe können dann nicht mehr ausreichend aufgenommen werden. Die Folge: Auf Dauer wird der Körper unterversorgt.
Frauen leiden eher an einer Glutenunverträglichkeit als Männer
Zöliakie zählt zu den häufigsten nicht-infektiösen Darmkrankheiten, die in jedem Alter auftreten kann. Früher waren meist Kinder betroffen. Bei ihnen machte sich die Zöliakie mit den klassischen Symptomen wie Bauchschmerzen und Durchfällen, vor allem aber durch Wachstumsstörungen bemerkbar.
Heute ist das anders. Oft wird eine Glutenunverträglichkeit erst im Erwachsenenalter festgestellt, und zwar ohne die typischen Beschwerden. "Die klassischen Symptome sieht man am häufigsten bei sehr jungen und bei älteren Patienten", sagt Stephanie Baas, medizinische Beraterin der Deutschen Zöliakie Gesellschaft e.V. (DZG) in Stuttgart. Bei Erwachsenen zeige sich die Erkrankung oft über Umwege, etwa über einen Eisenmangel oder eine Osteoporose, die keine andere Ursache hat. "Bei jungen Frauen kann auch eine ungewollte Kinderlosigkeit Hinweise auf eine Zöliakie geben. Deswegen nennen wir Ärzte die Zöliakie auch das 'Chamäleon der Krankheiten'."
Mittlerweile verzichten viele Menschen freiwillig auf das Klebereiweiß aus Getreide - ohne dass eine Zöliakie bei ihnen diagnostiziert wurde. Der weltweite Umsatz mit glutenfreien Lebensmitteln stieg zwischen 2007 und 2013 um knapp 100 Prozent. Im krassen Gegengsatz dazu steht die Zahl der Betroffenen: In Deutschland leidet Schätzungen zufolge höchstens ein Prozent der Menschen unter einer Glutenunverträglichkeit. Viele kaufen also überteuerte glutenfreie Produkte, obwohl dies gar nicht nötig wäre.
Frauen sind von Zöliakie etwa doppelt so häufig betroffen wie Männer. Nur bei einem Teil wird die Erkrankung auch diagnostiziert.
Zöliakie zählt zu den Autoimmunerkrankungen. Diese beruhen auf genetischen Anlagen: Kinder von Betroffenen haben zum Beispiel ein zehnfach höheres Risiko, ebenfalls daran zu erkranken. In so einem Fall wäre es ratsam, das Blut des Kindes auf entsprechende Antikörper untersuchen zu lassen, da es möglicherweise an einer stillen Form der Unverträglichkeit leidet. Das heißt: Die Anlage ist vorhanden, die Symptome zeigen sich aber noch nicht.
Die Genetik ist aber nicht die alleinige Ursache für die Krankheit. "Es müssen immer verschiedene Komponenten zusammenkommen", sagt Baas. "Die genetischen Merkmale sind keine Seltenheit in unserer Bevölkerung. Jeder Dritte trägt eines der beiden Hauptmerkmale. Doch von denen entwickeln nur etwa zwei Prozent tatsächlich eine Zöliakie."
Symptome
Viele Betroffene ahnen nichts von ihrer Krankheit. Sie fühlen sich gesund, abgesehen davon, dass ihnen manchmal unwohl ist, sie ab und zu keinen Appetit haben oder gelegentlich müde sind. Selbst wenn sie erbrechen, Durchfall haben oder Gewicht verlieren, wird das nur selten mit dem Genuss von Getreide in Verbindung gebracht.
Diese Reaktionen sind typisch für die Zöliakie, eine schwere allergieähnliche Reaktion im Dünndarm. Kinder können bereits in den ersten Lebensmonaten daran leiden. Doch nicht alle Betroffenen entwickeln früh genug Symptome, um rechtzeitig behandelt werden zu können. Manche Kinder klagen anfangs nur über gelegentliche Bauchschmerzen. Allerdings entwickeln sie sich insgesamt merklich langsamer als ihre Altersgenossen. Dennoch wird die Krankheit oft viel zu spät entdeckt, meist erst im Kindergarten- oder Schulalter.
Glutensensivität – gibt es das wirklich?
Immer wieder berichten Patienten über Beschwerden verschiedenster Art, die nach einem Verzicht auf Gluten abklingen – obwohl sie nicht an einer Zöliakie leiden. Ärzte stellt das Phänomen der sogenannten Glutensensitivität vor ein Rätsel: Während einige Mediziner von einem eigenständigen Krankheitsbild ausgehen, vermuten andere, dass eine nicht diagnostizierte Glutenallergie hinter den Beschwerden steckt.
Typische Symptome bei Babys
Möglicherweise leidet ein Säugling oder Kleinkind an Zöliakie, wenn sich folgende Symptome zeigen:
- Das Wachstum oder die Gewichtsentwicklung des Kindes ist gestört.
- Das Kind ist häufig weinerlich oder missmutig, hat Blähungen und klagt über Bauchschmerzen.
- Das Kind erbricht häufig oder leidet an Durchfällen.
- Das Kind verweigert immer öfter die Nahrung.
- Das Kind ist häufig müde und schlapp - Anzeichen einer beginnenden Muskelschwäche.
Bei Kindern wird die Krankheit oft zu spät entdeckt
Die Darmerkrankung kann sich bereits in den ersten Lebensmonaten entwickeln. Beginnen etwa Eltern zu früh, also vor dem vierten Lebensmonat, ihr Baby an glutenhaltige Breie zu gewöhnen, kann das Kind eine Unverträglichkeit entwickeln. Erkennbar ist das oft an den Symptomen nach der Umstellung von der Muttermilch auf getreidehaltige Breikost: an starkem Durchfall, häufigem Erbrechen, Appetitlosigkeit oder gar einem Blähbauch bei sonst eher magerem Körperbau.
Bei Erwachsenen sind die Beschwerden oft vielfältig und weisen wenig auf eine Darmerkrankung hin. Viele Betroffene klagen über mehrere Symptome gleichzeitig. Daher wird die Krankheit mitunter auch mit dem Reizdarmsyndrom verwechselt, sie bleibt unerkannt oder wird falsch behandelt.
Diagnose
Wenn es im Darm rumort, kann der Arzt mithilfe verschiedener Untersuchungsmethoden versuchen, die Ursache dafür zu finden. Wichtig ist, dass Betroffene bis zur Untersuchung weiter Gluten zu sich nehmen, sonst könnten sich alle Veränderungen zurückbilden und der Arzt kann keine korrekte Diagnose stellen. Er nimmt zunächst Blut ab und schickt es ins Labor, wo es auf einen spezifischen Antikörper untersucht wird: den Transglutaminase-Antikörper. Sind die Werte erhöht, besteht der dringende Verdacht, dass es sich tatsächlich um eine Zöliakie handelt.
Der nächste Schritt bei der Diagnose ist eine Dünndarmbiopsie. Hierfür entnimmt der Arzt mehrere Proben der Schleimhaut. Für diesen Eingriff verabreicht der Arzt in der Regel ein Beruhigungsmedikament, so dass der Patient währenddessen schläft. Er schiebt den Schlauch langsam über die Speiseröhre in den Magen und von dort aus weiter zum Dünndarm, wo er die Proben mit einer kleinen Zange entnimmt. Die winzigen Gewebsstücke untersucht dann ein Pathologe unter dem Mikroskop, um zu erkennen, ob der Darm entzündet ist.
Therapie
Heilbar ist die Krankheit bislang nicht. Betroffene sollten auf Lebensmittel mit Gluten verzichten, damit sich die Schleimhaut des Darmes regenerieren kann. Mit einer solchen Diät lassen sich die Symptome in den Griff bekommen. Gluten muss auf dem Lebensmitteletikett angegeben werden, das gilt für abgepackte und lose abgegebene Waren.
Bleibt die Krankheit unerkannt, können schwere Mangelerscheinungen die Folge sein. Möglich ist auch, dass sich eine Osteoporose, eine chronische Hepatitis oder - bei Kindern - Wachstumsstörungen entwickeln. Zudem steigt das Risiko, an Darmkrebs zu erkranken.
Tipps
- Verzichten Sie bei einer sicher diagnostizierten Zöliakie lebenslang auf Gluten. Vermeiden Sie vor allem die Getreidesorten Weizen, Dinkel, Hafer, Roggen, Gerste, Grünkern.
- Essen Sie keine Produkte, in denen Gluten enthalten ist, etwa Nudeln, Gnocchi, Schokolade, Pudding, Fruchtjoghurt, Wurst, Pizza, Brot oder Brötchen, Bier, Malzbier, Kuchen, Kekse, Knabbergebäck.
- Greifen Sie nur zu Produkten, die einwandfrei als glutenfrei gekennzeichnet sind. Garantiert kein Gluten enthalten: Frisches naturbelassenes Obst und Gemüse, Salat, Reis, Mais, Kartoffeln, Fleisch, Fisch, Milch, Pflanzenöle, Nüsse, Hülsenfrüchte, Butter, Naturkäse, Wein, Sekt und sogenannte Pseudogetreide wie Amarant und Quinoa.
- Alternativ zu herkömmlichem Getreide können Sie Soja, Hirse, Buchweizen oder Kastanien- und Johannisbrotmehl verwenden. Sie sind allesamt glutenfrei.
- Für Körnerfans bieten Naturkostläden Alternativen: etwa Amarant, der viel leicht verwertbares Eiweiß und wichtige Aminosäuren enthält. Garantiert glutenfrei sind auch Quinoa, Buchweizen oder Hirse, deren hoher Eisen- und Magnesiumgehalt sie besonders wertvoll für den Körper macht.
Expertenrat
Professor Andreas Stallmach, Internist und Gastroenterologe vom Universitätsklinikum in Jena, beantwortet Ihre Fragen:
Können Eltern verhindern, dass ihre Kinder eine Zöliakie entwickeln?
Das ist eine schwierige Frage. Die Zöliakie entsteht bei Menschen, die aufgrund ihrer Gene eine Veranlagung dafür haben. Sind Vater oder Mutter betroffen, ist das Risiko, dass auch das Kind erkrankt, um das Zehnfache erhöht. Muttermilch jedoch vermindert offenbar das Risiko, dass sich die Unverträglichkeit auch manifestiert. So ist es besonders wichtig, ein Kind in den ersten vier Monaten ausschließlich zu stillen. Gerade in den ersten Lebensmonaten ist die Darmschleimhaut des Babys noch sehr durchlässig, Nahrungsbestandteile dringen somit leicht in die Schleimhaut ein und sensibilisieren das Immunsystem. Erst danach sollte man anfangen, kleinere Mengen an glutenhaltigem Getreide zuzufüttern.
Wie können Betroffene mit der Unverträglichkeit umgehen?
Wer an Zöliakie leidet, dem hilft nur eines: lebenslang eine strenge Gluten-Diät zu halten. Das ist nicht immer leicht. In vielen Produkten aus dem Supermarkt ist Gluten versteckt. Beispielsweise wird es zum Andicken von Fertigprodukten und Soßen verwendet. Auch im Restaurant kann es mitunter problematisch werden. Nudeln, Soßen und viele Süßspeisen sind passé. Fleisch darf nur unpaniert und Gemüse nur ohne Zusätze verzehrt werden. Betroffene sollten sich daher gut informieren. Das macht schon die halbe Vorsorge aus. Gute Orientierung gibt die Deutsche Zöliakie Gesellschaft (DZG), die im Internet viele Informationen bereitstellt.
Sind regelmäßige Arztbesuche notwendig?
Ja, einmal im Jahr. Dabei wird der Patient zuerst gewogen, anschließend wird ihm Blut abgenommen. Der Arzt prüft damit sowohl den Hämoglobinwert als Maß für den roten Blutfarbstoff. Zudem testet er die Konzentrationen fett- und wasserlöslicher Vitamine wie Vitamin D und B12 im Blut. Damit will er herausfinden, wie gut der Patient diese Stoffe über die Darmschleimhaut aufnimmt. Zusätzlich muss auch der Transglutaminase-Antikörper bestimmt werden, um eventuelle unbewusste Diätfehler aufzudecken. Unnötig ist dagegen, regelmäßig beim Gastroenterologen eine Magen-Darmspiegelung durchführen zu lassen.