Vor einem "Katastrophenjahr 2008" warnte die Deutsche Krankenhausgesellschaft schon zu Beginn des Jahres. Wie schlecht es um deutsche Kliniken bestellt ist, zeigt eine aktuelle Studie des Rheinisch-Westfälischen Instituts für Wirtschaftsforschung (RWI). Die Wissenschaftler haben Bilanzen von fast 500 Krankenhäusern ausgewertet und festgestellt, dass bereits im Jahr 2005/2006 18 Prozent der Häuser insolvenzgefährdet waren. Seither habe sich die Lage deutlich verschlechtert. In diesem Jahr seien 34 Prozent der Kliniken in akuter Finanznot.
"Das kann nicht so weitergehen"
Von "existenzvernichtenden Zügen" der Situation spricht Holger Mages, Sprecher der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG). Vieles hätten die Kliniken in den vergangenen Jahren schon versucht, um der miesen Finanzlage Herr zu werden: die Anzahl der Betten reduziert, die Aufenthaltsdauer der Patienten verkürzt, Personal abgebaut. 90.000 Stellen seien in den vergangenen zehn Jahren gestrichen worden. "Das kann auf Dauer nicht so weitergehen", sagt Mages.
Doch wer ist Schuld an der Misere der Krankenhäuser? Vor allem steigende Tariflöhne und explodierende Sachkosten für Lebensmittel und Energie reißen nach Ansicht der Wissenschaftler ein Riesenloch in die Etats. "Die Kostenseite wächst und wächst, während die Erlöse gedeckelt sind", sagt RWI-Forscher Boris Augurzky. Krankenhäuser können höhere Kosten - beispielsweise durch die gestiegene Mehrwertsteuer - nicht an ihre Patienten weitergeben. Wie stark die Klinikerlöse steigen, unterliegt politischer Entscheidung. Und in diesem Jahr steigen sie nach Ansicht von Augurzky nicht stark genug, um mit den Kosten mitzuhalten. Die Folge ist eine Finanzierungslücke von 1,3 bis 2,2 Milliarden Euro, die den knapp 2100 deutschen Krankenhäusern droht.
RWI-Forscher Augurzky ist sicher: Nicht alle Krankenhäuser werden überleben. Dass es dadurch zu einer Katastrophe in der Versorgung kommen wird, glaubt er aber nicht. Längst nicht alle bedrohten Kliniken würden am Ende auch tatsächlich schließen müssen. "Sie haben Träger hinter sich, wie beispielsweise Kommunen, die dazu neigen, ihre Krankenhäuser nicht einfach pleite gehen zu lassen", sagt Augurzky. In einigen Fällen würden sie das Defizit ausgleichen. Etwa jede zehnte Klinik werde in den kommenden Jahren aber schließen.
Neue Arbeitsteilung gefordert
Angesichts der prekären Finanzlage müssten Klinikbetreiber noch kreativer werden und versuchen, ihre Abläufe zu optimieren, sagt der RWI-Experte. Derzeit wird viel darüber diskutiert, das Personal kostensparender einzusetzen. "Der Arzt ist der Teuerste im Krankenhaus - da sollte man die Frage stellen, ob er alle seine bisherigen Tätigkeiten wirklich selbst machen muss", sagt Augurzky. Einiges könnten Pflegekräfte übernehmen, die günstiger sind. Die wiederum könnten durch andere Mitarbeiter entlastet werden - etwa bei der Essenausgabe, für die keine klinische Ausbildung erforderlich ist. Auch die OP-Säle könnten besser ausgenutzt werden.
Manche private Betreiber würden sogar alte Gebäude abreißen und durch neue Kliniken ersetzen, die kürzere Wege erlauben und Abläufe beschleunigen. "Mit einer modernen Struktur ist schon viel gewonnen", sagt Augurzky. Das sei auch ein Grund, warum die Krankenhäuser in den neuen Bundesländern bei der RWI-Studie deutlich besser abgeschnitten haben. "Nach der Wende wurden viele Häuser im Osten dank der Kapitalzuflüsse modernisiert, sodass sie heute besser aufgestellt sind." Im Westen stünde die Modernisierung vielen Häusern noch bevor. Ob sie dafür das nötige Investitionskapital haben, ist jedoch fraglich.
"Mit Optimierung ist das Loch nicht zu stopfen"
DKG-Sprecher Mages glaubt nicht daran, dass sich das finanzielle Problem der Krankenhäuser durch Prozessoptimierung lösen lässt. "Das machen wir schon seit Jahren", sagt er. Diese Bemühungen könnten die finanzielle Belastung nicht im Geringsten aufwiegen. "Mit Optimierung ist das Loch nicht mehr zu stopfen", sagt Mages und appelliert an die Politik, die Budgets der Krankenhäuser deutlich zu erhöhen. Er warnt vor Konsequenzen für die Versorgung und prophezeit, dass sich womöglich auch in Deutschland eine Wartelisten-Medizin etablieren werde - dass beispielsweise Patienten bald ein halbes Jahr auf eine neue Hüfte warten müssten. Schon jetzt machten sich die Sparzwänge im Klinikalltag bemerkbar: "Dadurch, dass immer mehr Pflegekräfte abgebaut werden, haben sie weniger Zeit, um die Patienten zu betreuen und ihnen in belastenden Situationen die richtige Zuwendung zu geben."
Sollte in den kommenden Jahren jedes zehnte Krankenhaus schließen, wie das RWI prophezeit, so werde das seiner Ansicht nach vor allem auf dem Land zu spüren sein. Doch die flächendeckende Versorgung werde dadurch nicht gefährdet. Allerdings müssten Patienten längere Anfahrtswege in Kauf nehmen, um ins Krankenhaus zu kommen. RWI-Experte Augurzky sieht in einer möglichen Schließung von Krankenhäusern sogar Chancen. "Das muss nicht unbedingt schlecht sein", sagt er. Denn die Studie hat auch gezeigt, dass die, denen es wirtschaftlich schlecht geht, tendenziell auch bei der Qualität der Versorgung schlechter abschneiden. Außerdem würden dann die restlichen 90 Prozent besser ausgelastet.