Pandemie Hohes Corona-Risiko: In welchen Situationen Abstand halten nicht mehr ausreicht

Zum Schutz vor dem Coronavirus heißt es immer wieder: Abstand halten, mindestens eineinhalb, besser zwei Meter. Doch Forscher warnen: Gängige Abstandsregeln reichen oft nicht aus. In bestimmten Situationen sei die Ansteckungsgefahr besonders groß.

Das Coronavirus verbreitet sich vor allem über die Luft – durch Tröpfchen und Schwebeteilchen. Kleinste Partikel mit Viren können sich über längere Zeit in der Luft halten. Diese sogenannten Aerosole sind problematisch, da sie sich mit dem Luftstrom auch über größere Distanzen in einem geschlossenen Raum verteilen können. So haben Forscher*innen jüngst in der Raumluft in der Nähe von Covid-19-Patient*innen lebensfähige Viren nachweisen können – in einem Abstand von zwei bis fünf Metern. Ein Mindestabstand von eineinhalb Metern hätte in diesem Fall nicht ausgereicht, um sich vor einer möglichen Ansteckung zu schützen.

Nun warnen auch Forscher*innen im Fachblatt "BMJ" davor, den Schutzeffekt des Abstandshaltens zu überschätzen. Es gebe Hinweise, dass sich die Viren unter bestimmtem Umständen in einem Radius von mehr als zwei Metern verbreiten können. Beim Ausatmen, Singen, Husten und Niesen entstehen demnach warme, feuchte Gaswolken, die Atemtröpfchen enthalten. Diese können innerhalb weniger Sekunden eine Reichweite von bis zu acht Metern haben, schreiben die Forscher*innen.

Besonders geschlossene Räume können zum Risiko werden. So steckte eine infizierte Person in den USA mindestens 32 weitere Personen während einer Chor-Probe mit dem Coronavirus an, trotz Abständen. Auch in Fitnessstudios, während Box-Wettkämpfen, in Call-Centern und Kirchen kam es bereits zu Mehrfach-Ansteckungen – allesamt Orte, an denen Menschen entweder singen, laut sprechen oder stark atmen und sich in geschlossenen Räumen für längere Zeit aufhalten. Spezielle Luftanlagen, die Raumluft lediglich umwälzen, können das Problem weiter verschärfen, da sie Viren mit dem Luftstrom in Innenräumen verteilen. Frischluft oder der Aufenthalt im Freien senken das Risiko dagegen.

Pauschale Abstandsregeln oft nicht ausreichend

Geltende Abstandsregeln sollten daher auch weitere Faktoren berücksichtigen, schreiben die Forscher*innen, etwa die Frischluftzufuhr. Als Beispiel für eine Risiko-Situation führen die Forscher*innen eine schlecht belüftete, gut besuchte Bar auf, in der die Menschen wegen der Musik laut sprechen müssen, sich längere Zeit aufhalten und keine Mund-Nase-Bedeckungen tragen. In diesem Fall sei ein Abstand von zwei Metern nicht ausreichend. Er sollte größer sein, schreiben die Forscher*innen.

Zwei Tabellen (s. unten) zeigen, wie unterschiedlich das Ansteckungsrisiko je nach Szenario ausfällt. Dabei handelt es sich um Schätzungen auf Basis asymptomatischer Fälle. Infizierte, die Symptome zeigen, stoßen in der Regel mehr Viren aus, etwa durch Husten. Die Forscher*innen haben diese in den Risikoeinschätzungen jedoch nicht mit aufgenommen, da sich Erkrankte ohnehin in Isolation begeben sollten. Auch weisen die Forscher*innen darauf hin, dass die Einschätzungen nicht in jedem Fall zutreffend sein müssen – sie dienen lediglich einer groben Orientierung. Muss eine asymptomatisch erkrankte Person beispielsweise wegen einer Allergie niesen, steigt das Infektionsrisiko im Einzelfall.

Das Risiko einer Ansteckung sinkt dagegen grundsätzlich

- durch Aufenthalt im Freien und durch gute Belüftung von Räumen, zum Beispiel wenn Fenster geöffnet sind,

- durch das Tragen einer Mund-Nase-Bedeckung oder Maske,

- durch kleine Gruppengrößen,

- durch kurze Kontaktzeiten,

- durch das Vermeiden von Singen, Rufen oder lautem Sprechen.

Tabelle 1: Risiko-Einschätzung bei geringer Belegung/wenigen Personen

Personen tragen Mund-Nase-Bedeckung, kurze Kontaktzeit

Aktivität

Aufenthalt im Freien

Aufenthalt in Räumen mit

guter Belüftung

Schlechte Belüftung

Still, ruhig

Gering

Gering

Gering

Sprechen

Gering

Gering

Gering

Rufen,

Singen

Gering

Gering

Erhöht

Personen tragen Mund-Nase-Bedeckung, Kontakt für längere Zeit

Aktivität

Aufenthalt im Freien

Aufenthalt in Räumen mit

guter Belüftung

Schlechte Belüftung

Still, ruhig

Gering

Gering

Erhöht

Sprechen

Gering

Gering*

Erhöht

Rufen,

Singen

Gering

Erhöht

Hoch

Keine Mund-Nase-Bedeckung, kurze Kontaktzeit

Aktivität

Aufenthalt im Freien

Aufenthalt in Räumen mit

guter Belüftung

Schlechte Belüftung

Still, ruhig

Gering

Gering

Erhöht

Sprechen

Gering

Erhöht

Erhöht

Rufen,

Singen

Erhöht

Erhöht

Hoch

Keine Mund-Nase-Bedeckung, Kontakt für längere Zeit

Aktivität

Aufenthalt im Freien

Aufenthalt in Räumen mit

guter Belüftung

Schlechte Belüftung

Still, ruhig

Gering

Erhöht

Hoch

Sprechen

Erhöht

Erhöht

Hoch

Rufen,

Singen

Erhöht

Hoch

Hoch

Quelle: The British Medical Journal (BMJ); Mit * gekennzeichnete Felder gelten als Grenzfälle – die Risiko-Einschätzung ist in diesen Fällen nicht immer eindeutig und hängt von weiteren Faktoren ab, bspw. der Anzahl der Personen und der Dauer des Kontakts.

Ansteckung im Flugzeug: Tipps zum Fliegen in Corona-Zeiten – Test zeigt Verbreitung von Aerosolen im Flugzeug
Tipps zum Fliegen in Corona-Zeiten – Test zeigt Verbreitung von Aerosolen im Flugzeug

Tabelle 2: Risiko-Einschätzung bei starker Belegung/vielen Personen

Personen tragen Mund-Nase-Bedeckung, kurze Kontaktzeit

Aktivität

Aufenthalt im Freien

Aufenthalt in Räumen mit 

guter Belüftung

Schlechte Belüftung

Still, ruhig

Gering

Gering

Erhöht

Sprechen

Gering

Gering

Erhöht

Rufen,

Singen

Erhöht

Erhöht

Hoch

Personen tragen Mund-Nase-Bedeckung, Kontakt für längere Zeit

Aktivität

Aufenthalt im Freien

Aufenthalt in Räumen mit guter Belüftung

Schlechte Belüftung

Still, ruhig

Gering

Erhöht

Hoch

Sprechen

Erhöht*

Erhöht

Hoch

Rufen,

Singen

Erhöht

Hoch

Hoch

Keine Mund-Nase-Bedeckung, kurze Kontaktzeit

Aktivität

Aufenthalt im Freien

Aufenthalt in Räumen mit guter Belüftung

Schlechte Belüftung

Still, ruhig

Erhöht

Erhöht

Hoch

Sprechen

Erhöht

Hoch

Hoch

Rufen,

Singen

Hoch

Hoch

Hoch

Keine Mund-Nase-Bedeckung, Kontakt für längere Zeit

Aktivität

Aufenthalt im Freien

Aufenthalt in Räumen mit guter Belüftung

Schlechte Belüftung

Still, ruhig

Erhöht

Hoch

Hoch

Sprechen

Hoch

Hoch

Hoch

Rufen,

Singen

Hoch

Hoch

Hoch

Quelle: The British Medical Journal (BMJ); Mit * gekennzeichnete Felder gelten als Grenzfälle – die Risiko-Einschätzung ist in diesen Fällen nicht immer eindeutig und hängt von weiteren Faktoren ab, bspw. der Anzahl der Personen und der Dauer des Kontakts.

Was folgt daraus? Gerade in Situationen mit "erhöhtem" oder "hohem" Infektionsrisiko sollte auf große Abstände geachtet werden. In der Realität dürften diese jedoch nur schwer einzuhalten sein. Wer keinerlei Risiko eingehen möchte, müsste diese Situationen folglich konsequent meiden. Das Abstand halten sollte zudem nur als Teil eines umfassenderen Ansatzes zur Eindämmung der Pandemie angesehen werden, schreiben die Forscher*innen. Vielmehr brauche es zusätzlich Belüftungsstrategien für Innenräume und geeignete Schutzmaßnahmen, darunter Masken.

Risiko Herbst und Winter

Relevant ist das Thema vor allem mit Blick auf Herbst und Winter, wenn sich das öffentliche Leben wieder weitgehend in die Innenräume verlagert. Expert*innen warnen seit längerem davor, dass das Infektionsgeschehen in den kälteren Monaten wieder zunehmen könnte, zumal das Lüften bei eisigen Temperaturen oft keine Option ist. Forscher*innen erproben bereits verschiedenste Ansätze, die unter anderem den Einsatz von Luftfiltern vorsehen. 

Auf einer wissenschaftlichen Konferenz beraten diese Woche zudem rund 700 Wissenschaftler*innen digital über Aerosole. Im Zentrum stehen dabei auch neue Ansätze, mit denen Corona-Aerosole in Innenräumen unschädlich gemacht werden sollen. 

Lesen Sie dazu auch:

PRODUKTE & TIPPS

Kaufkosmos