Handdesinfektionsmittel waren zu Beginn der Pandemie gefragte Ware. Doch mittlerweile ist bekannt: Das Coronavirus verbreitet sich vor allem über die Luft – durch kleinste Tröpfchen, die Infizierte beim Husten, Niesen oder Sprechen ausstoßen. Zwar bedeutet das nicht, dass Händewaschen nicht vor einer Infektion schützen kann. Doch möglicherweise wurde der Stellenwert von guter Handhygiene zu Beginn der Pandemie überschätzt; die Risiken einer Übertragung durch die Luft dagegen eher unterschätzt. Mittlerweile hat sich dieses Bild gewandelt. Das allgemeine Gebot zum Masketragen im Supermarkt oder öffentlichen Verkehrsmitteln ist Zeichen dafür.
Virenbeladene Tröpfchen galten von Anfang an als Haupt-Übertragungsweg des Virus. Die Rolle von Aerosolen – feinsten Schwebestoffe, die eine Weile in der Raumluft stehen und sich über größere Strecken verbreiten können – blieb zunächst unklar. Bislang wurde auf den Partikeln lediglich virales Erbgut gefunden, nicht aber lebende Viren selbst. Lebensfähige Viren sind aber eine Grundvoraussetzung, damit es überhaupt zu einer Infektion kommen kann.
Forschern der Universität Florida ist es nun nach eigenen Angaben gelungen, lebende Viren in Aerosolen nachzuweisen. Eine Übertragung in Innenräumen wäre damit selbst bei Einhaltung des Mindestabstands von 1,5 Metern unter bestimmten Umständen denkbar.
Die Ergebnisse sind bislang auf einem Preprint-Server erschienen, wurden also noch nicht von unabhängigen Experten begutachtet. Linsey Marr, die an der Virginia Tech unter anderem zur Ausbreitung von Viren forscht, bezeichnete die Studie auf Twitter bereits als "Smoking Gun", also als eine Art entscheidender Beweis oder unbezweifelbarer Beleg. Wie sind die Forscher vorgegangen?
Analyse von Krankenhausluft
In einem Krankenhaus nahmen sie Luftproben in der Nähe von Covid-19-Patienten. Dafür standen sie zwei bis etwa fünf Meter von den Patienten entfernt. In den Proben konnten sie im Anschluss lebende Viren nachweisen. Diese waren identisch mit jenem Erreger, der zuvor beim Patienten festgestellt worden war, heißt es in der Studie. Es ist daher unwahrscheinlich, dass die Viren von anderen Menschen stammen, beispielsweise vom Krankenhauspersonal.

Der auch in Deutschland empfohlene Mindestabstand von 1,5 bis 2 Metern würde demnach nicht ausreichen, um sich vor infektiösen Viren zu schützen. Diese Distanz dient in erster Linie dem Schutz vor größeren Tröpfchen, die rasch zu Boden sinken. Aerosole können diesen Abstand jedoch problemlos überwinden und sich in geschlossenen Räumen mit der Zeit anreichern. Zum Schutz vor den Partikeln setzen Experten daher auf offene Fenster und ausreichend Frischluftzufuhr. Menschenansammlungen in geschlossenen Räumen sollten gemieden werden. Umluftanlagen und eine kühle Umgebung scheinen die Aerosol-Problematik zusätzlich zu verstärken.
Unklar ist allerdings, ob die Viruslast in Aerosolen grundsätzlich für eine Infektion ausreicht, oder ob sich die Viren erst mit der Zeit bis zu einer kritischen Schwelle in der Raumluft anreichern müssen. Die Forscher äußern sich daher verhalten und schreiben, dass die Aerosole zu einer Übertragung führen "könnten". Die Studie ist zudem sehr klein und wurde an Krankenhauspatienten durchgeführt. Ob die Ergebnisse auch auf asymptomatische oder nur leicht erkrankte Fälle übertragbar sind, ist damit unklar.
Risiko gemeinsam genutzte Raumluft
Corona-Ansteckungen bei Chorauftritten und in Restaurants deuten jedoch seit längerem darauf hin, dass gemeinsam genutzte Raumluft ein Risikofaktor ist. Die aktuelle Studie untermauert nun diese Beobachtungen durch den Nachweis lebensfähiger Viren.
"Beim Atmen und Sprechen, aber noch stärker beim Schreien und Singen, werden Aerosole ausgeschieden", schreibt dazu das Robert Koch-Institut (RKI). "Beim Husten und Niesen entstehen zusätzlich deutlich mehr Tröpfchen. Der längere Aufenthalt in kleinen, schlecht oder nicht belüfteten Räumen kann die Wahrscheinlichkeit einer Übertragung durch Aerosole auch über eine größere Distanz als zwei Meter erhöhen, insbesondere dann, wenn eine infektiöse Person besonders viele kleine Partikel (Aerosole) ausstößt und exponierte Personen besonders tief einatmen."