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Elterninitiative in der Pandemie Zwei Väter entwickeln Lüftungsanlage – gegen Aerosole und kalte Klassenzimmer

Alexander Kern und Pierre Langer an einer Grundschule in Mainz beim Aufbau der ersten Anlagen
Alexander Kern und Pierre Langer an einer Grundschule in Mainz beim Aufbau der ersten Anlagen
© Aerovac
In Mainz haben Eltern eine eigene Lüftungsanlage für Klassenzimmer entwickelt. Dafür nutzten sie Messungen des "Max-Planck-Instituts". Anfragen bekommt die Initiative mittlerweile aus ganz Deutschland.

Vergangenes Jahr veröffentlichte das "Max Planck-Institut für Chemie" in Mainz ein Projekt mit dem Titel "Lüftung leicht gemacht": Die Forscher entwickelten eine Abluftanlage, die nachträglich in Klassenzimmern und Büroräumen installiert werden kann. Durch regelmäßiges Ablüften der Corona-Aerosole könnte so auf das regelmäßige Stoßlüften verzichtet werden, das in der Vergangenheit vor allem bei Eltern in der Kritik stand.

Denn: Obwohl Kinder in den Wintermonaten in den Klassenzimmern froren, kam bisher von der Politik bisher keine Lösung, das Stoßlüften zu umgehen. Das "Low Tech"-System des MPI ist dabei mit 200 Euro Materialkosten kostengünstig und selbst anbringbar. Selbst die "New York Times" berichtete darüber.

Ein Patent hat das MPI dennoch nicht angemeldet. Laut "Allgemeine Zeitung" sogar mit gutem Grund: Dr. Frank Helleis, dessen Team das Abluftsystem entwickelt hat, sagte, dass es im Sinne der Forschungseinrichtung gewesen sei, wenn sich andere der MPI-Idee annehmen und diese weiterdenken. Genau das taten der Mainzer Pierre Langer und sein langjähriger Freund und Geschäftspartner Alexander Kern. Die beiden Väter tüftelten an einer optimierten Version der Abluftanlage und gingen in ihrer Idee noch einen Schritt weiter: Luft, die potenziell Aerosole beinhaltet, wird nicht nur abgepumpt, sondern es wird auch frische von draußen zugeführt – und obendrein wird die Luft dabei erwärmt.  

Die Aufträge kamen schnell

Langer hat ursprünglich Musik studiert und arbeitet selbstständig im Bereich der Audioproduktion. "Ich habe mein Hobby zum Beruf gemacht, also musste ein neues Hobby her", sagt er lachend im Gespräch mit stern. Dabei sind Langer und Kern keineswegs nur zwei Bastel-Väter, die beiden verstehen etwas vom Bau solcher Abluftanlagen. Kern hat Maschinenbau und Innenarchitektur studiert – Raumlüftung ist eines seiner Fachgebiete. Gemeinsam bauen und konzipieren beide seit vielen Jahren Studioräume, die ebenfalls mit Abluftanlagen ausgestattet sind.

Fast gleichzeitig bekam die Gebäudewirtschaft der Stadt Mainz, die sich um die Instandhaltung der Schulgebäude kümmert, laut Langer den Auftrag, in den Grundschulen Belüftungsanlagen nach dem Vorbild des MPI einzubauen. Dafür tüftelten die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter selbst an einer Anlage, was sich doch als große Schwierigkeit entpuppte.

"Genau dann habe ich Stadtverwaltung angerufen und gesagt, dass ich da so ein ähnliches System entwickelt habe und dass ich das gerne einmal in einem Klassenzimmer einbauen würde", berichtet Langer. Da das Projekt des MPI zu diesem Zeitpunkt in der Stadt in aller Munde gewesen sei und der Druck seitens der Elternschaft auf die Politik groß war, bekam Langer schnell die Erlaubnis, sein eigenes System umzusetzen. "Die Unterstützung seitens der Behörde war wirklich phänomenal", so der Vater.

So bauten Langer und sein Kollege die erste Anlage in einem Klassenzimmer einer Mainzer Grundschule, die von Langers Sohn besucht wird. An der Zimmerdecke wird ein silberfarbener Schlauch in U-Form installiert. Bewegt wird der Luftstrom durch Unterdruck, innerhalb eines Schlauchs. Durch diesen wird verbrauchte Luft über den Köpfen der Schüler eingesaugt und nach draußen geleitet. Darin verläuft ein weiteres Rohr, das einen getrennten Luftraum beinhaltet.

Das "Eco Air Tube"-System an der Decker einer Grundschule in Mainz 
Das "Eco Air Tube"-System an der Decker einer Grundschule in Mainz 
© Aerovac

Dadurch kann frische Luft von draußen hineingeleitet werden, ohne, dass beide Luftströme sich begegnen. Die saubere Luft wird dann am anderen Ende des Raums dem Klassenzimmer zugeführt. Der Vorteil: Die kalte Luft von draußen wird durch die abgeleitete Luft erwärmt, ohne dass sich die Luftzirkulationen vermischen. Mittlerweile haben Langer und Kern den Auftrag bekommen, insgesamt 34 solcher Belüftungssysteme an Mainzer Grundschulen zu bauen. Die Kosten liegen bei circa 400 bis 500 Euro plus Montagekosten.

Ein selbsttragendes System

Die Initiative will deutschlandweit mit lokalen Messebaufirmen zusammenarbeiten, da diese Firmen alle sehr stark von der aktuellen Coronakrise betroffen seien und genau das Anforderungsprofil für die Montage solcher Systeme erfüllten. Damit sollten sich im Idealfall die Kosten perspektivisch komplett amortisieren. Die Hoffnung der Entwickler: Die Gelder fließen direkt in den lokalen Wirtschaftskreislauf zurück, das System spart dauerhaft Energie & Kosten und die Montagefirmen werden aktiv unterstützt, um die Krisenzeit zu überbrücken. 

Aus einem Hobby wird Aerovac

Laut Langer könne man die Belüftungsanlagen auch noch verwenden, nachdem die Coronapandemie bekämpft ist. Sie sorge stetig für frische Luft und würde auch vor Erregern, wie zum Beispiel Erkältungsviren schützen. Aus dem Hobby und der Elterninitiative wurde Aerovac unter dessen Namen sie den "Eco Air Tube" nun vertreiben.  Eine Firma haben Langer und Kern aber noch nicht gegründet – und das soll sich auch in Zukunft nicht ändern.

Homeschooling

"Natürlich habe ich als Unternehmer auch eine unternehmerische Sicht auf die Dinge, aber ich habe mit meiner eigenen Firma schon genug zu tun. Wenn sich jetzt herausstellen sollte, dass das System so interessant für die Leute ist und wir mehrere tausend dieser Anlagen verbauen sollen, dann müssen wir das professionalisieren." Sein Ziel wäre dann, dass sich jemand voll und ganz Aerovac annimmt, der auch Leute einstellt und Geld damit verdient. Mittlerweile bekäme man Anfragen aus ganz Deutschland, die sich für den "Eco Air Tube" interessieren.

Noch sei Lüften notwendig

"Wir haben das System so entwickelt, dass die Luftwechselraten, die idealerweise beim Stoßlüften erreicht werden sollen, auch erreicht werden. Also in einer Stunde drei Mal die Raumluft komplett auszuwechseln", erklärt Langer gegenüber dem stern. Das sei bei einer solchen Anlage auch noch besser kontrollier- und messbar. Rein theoretisch würde somit das regelmäßige Stoßlüften in den Klassenzimmern – und somit das Frieren der Kinder in den kalten Wintermonaten – entfallen.

"Das muss aber auch jemand offiziell so freigeben", gibt Langer zu. In Mainz hat die Aufsichts- und Sicherheitsdirektion Rheinland Pfalz für das Verwenden des MPI-Systems festgelegt, dass das Lüften in den Pausen reiche. "Eine landesweite Richtlinie gibt es dafür aber noch nicht und das wird wahrscheinlich auch dauern."

Quellen: Aerovac, Allgemeine Zeitung 

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