Corona-Pandemie, Klimakrise und der Ukraine-Krieg – diese Krisen treffen und beeinflussen alle Menschen in Deutschland. Doch nicht auf jeden und jede wirken sie gleich. Manch einer geht mit leichtem Gepäck durch das Leben, andere tragen einen Zementklotz auf den Schultern. Wer sowieso schon schwer zu tragen hat, dessen Psyche kann an der zusätzlichen Belastung durch solche Krisen zerbrechen. Doch wann kippt die mentale Gesundheit und wie viele Menschen in Deutschland sind von Depressionen betroffen? Diesen und weiteren Fragen widmet sich der Fernsehjournalist Jenke von Wilmsdorff in seinem neuesten Experiment, das am 2. Mai 2022 auf "ProSieben" ausgestrahlt wird. Vielleicht das privateste Experiment, das er je gemacht hat.
Für das TV-Format begibt sich der Journalist jeweils auf eine persönliche Reise. Es ginge darum, „eine Brücke zu schlagen, um in das Umfeld des jeweiligen Themas zu kommen". Doch bei dem "JENKE-Experiment Psyche: Wie depressiv ist Deutschland?" stehen Jenke von Wilmsdorff und sein Team vor einer besonderen Herausforderung: Wie kann der Fernsehjournalist in eine Situation gebracht werden, die ihn als psychisch stabile Person ins Wanken bringen kann? Schnell steht fest, dass Jenke von Wilmsdorff sich für die Sendung in eine verschärfte Isolation begibt, von der er vorab nicht weiß, wie lange sie dauert. Genau diese Ungewissheit sei der Knackpunkt, schildert der Fernsehjournalist. So habe er sich nicht darauf einstellen können, was eine ewige Unruhe verursacht habe.
Der Psychologe Dr. Leon Windscheid hat das Format aus fachlicher Sicht betreut. Doch das Selbstexperiment wirft auch ethische Fragen auf. Für die Sendung spreche, dass so mehr über Depressionen gesprochen werde. Das Experiment hätte sowohl Jenke von Wilmsdorff als auch sein Team jederzeit abbrechen können, wenn es zu kritisch geworden wäre. Außerdem könne die Isolation allein bei einer stabilen Person keine Depression auslösen, erklärt der Psychologe.
Eine Depression hat viele Ursachen
Der Psychologe klärt darüber auf, dass es für eine Depression nie nur eine Ursache gebe. Er zeichnet ein Bild: "Wir alle, müssen über einen zugefrorenen See gehen, das Eis ist im Laufe des Lebens mal dicker und mal dünner. Jeder und jede trägt einen unterschiedlich schweren Rucksack mit sich. Für Menschen, die sowieso schon einen schweren Rucksack tragen, steigt mit einer Belastung von Außen wie zum Beispiel mit einer Isolation die Wahrscheinlichkeit, dass sie durch das Eis brechen." Leon Windscheid erklärt außerdem, dass die Ursachen für eine Depression immer sehr individuell sind. Was den einen belaste, könne eine andere Person sogar als positiv empfinden.
Vor Start der Isolation freute sich Jenke von Wilmsdorff auf die Zeit alleine, doch diese Stimmung kippte schnell. Er konnte nicht nur mit niemandem reden. Stück für Stück wurde es für ihn auch ungemütlicher. Zum Start hatte er noch Social Media und Streaming, was ihn ablenken konnte. Nach ein paar Tagen wurden Jenke von Wilmsdorff diese Ablenkungen gestrichen. Statt schöner Filme oder interessanter Dokus flatterten nur noch extra ausgewählte schlechte Nachrichten zu ihm ins Apartment. Außerdem durfte er sich nur von Fast Food ernähren, was ihm schnell auf die Stimmung schlug.
Ewiges Grübeln als Vorstufe
Ein Einblick in Tag 5 und 6 der Isolation zeigt, wie schnell der Fernsehjournalist ohne Ablenkungen in einen Strudel gezogen wird. Die ausschließlich schlechten Nachrichten, Isolation, Langeweile und Einsamkeit hinterlassen ihre Spuren. Jenke von Wilmsdorff ist allein. Allein mit seinen Gedanken. Er grübelt und grübelt. "Das Gedankenkarussell nimmt immer mehr Fahrgäste auf. Wie eine Horde wilder Affen hüpfen die Gedanken durch meinen Kopf und sind einfach nicht zu bremsen", schildert er in dem Ausschnitt des Experiments. Dieses ständige Grübeln kennen viele Menschen, sagt Psychologe Leon Windscheid."Es gibt immer mehr Hinweise, dass dieses Grübeln die Vorstufe einer depressiven Verstimmung ist und nicht umgekehrt."
Die Krankheit Depression betrifft sehr viele Menschen. 5,3 Millionen erwachsene Deutsche erfüllen laut Windscheid im Laufe eines Jahres die Kriterien einer Depression. Jede vierte Frau und jeder achte Mann erlebe im Laufe des Lebens eine depressive Phase. "Die Situation ist besorgniserregend", attestiert Jenke von Wilmsdorff der mentalen Gesundheit der Deutschen.
Jenke erinnernt sich an seine Kindheit
Im Experiment erging es auch Jenke von Wilmsdorff von Nacht zu Nacht schlechter. Sein Gehirn ratterte unaufhörlich, er konnte nicht mehr schlafen. Er fühlte sich einsam. "Durch Isolation und dieses Gefühl der Einsamkeit fühlte ich mich in den Stubenarrest zurückversetzt, den ich als acht- oder neunjähriger Junge erlebte." Das habe eine ganze Kaskade an Gefühlen ausgelöst. Jenke von Wilmsdorff teilt in der Isolation einen sehr privaten Moment und erzählt von seiner Kindheit.
Erst im Gespräch mit einer Psychologin sei ihm einmal klar geworden, dass er eine sehr traurige und einsame Kindheit gehabt habe. Als der Fernsehjournalist drei Jahre alt war, trennten sich seine Eltern. Von einem auf den anderen Tag sei der Vater aus seinem Leben verschwunden. Erst nach Jahren habe er ihn wieder von Angesicht zu Angesicht gesehen. "Wir sind ein paar Mal in ein Café gefahren. Es gab ein Stück Kuchen und ich durfte eine Cola trinken. Und dann saß ich da mit meinem Vater. Ich wusste nicht mal, wie ich ihn ansprechen sollte – Vater, Papi oder Papa kam mir nicht über die Lippen", erinnert sich Jenke von Wilmsdorff. Er habe es vermieden ihn anzusprechen, wenn er alle paar Wochen mit seinem Vater im Café saß. Das alles habe ihn so krank gemacht, dass er als Kind ins Krankenhaus musste und künstlich ernährt wurde, weil er nicht mehr essen konnte oder wollte. Über Jahre hinweg sei er ein zurückgezogenes und entsetzlich trauriges Kind gewesen.
Der Psychologe Leon Windscheid meint, dass es wichtig sei, dass in den Medien häufiger auch Schwäche gezeigt würde oder solche intimen Momente. Psychische Erkrankungen, Suizide, Essstörungen würden oft gesellschaftlich totgeschwiegen. Doch nicht darüber zu reden sei falsch. Ein großes Ziel dieser Sendung sei, dass mehr über psychische Erkrankungen gesprochen werde. "Sie müssen aus der dunklen Ecke gezogen werden", sagt Jenke von Wilmsdorff.

Mehr über Depressionen sprechen
Viele Menschen würden in unserer Leistungskultur davor zurückschrecken, sich Hilfe zu holen, weil sie denken, dass es ihnen nicht schlecht genug gehe, beschreibt Leon Windscheid. Dabei habe jeder und jede Hilfe verdient. Eine schlechte Phase, Antriebslosigkeit oder Schwermütigkeit kennt fast jeder Mensch, doch für Laien sei es sehr schwer herauszufinden, ab wann eine depressive Verstimmung oder eine Depression vorliege. Der Psychologe richtet den Appell an Betroffene, sich mit solchen Fragen an Hausärzt:innen oder Psychotherapeut:innen zu wenden.
Doch in Deutschland ist es für Betroffene teils sehr schwierig, einen freien Therapieplatz zu finden. Zwar können sie in einer sogenannten psychotherapeutischen Sprechstunde erste Hilfe bekommen, doch in einer solchen Sprechstunde wird zunächst nur untersucht, ob eine Therapie nötig ist und ob Therapeut:in und Patient:in grundsätzlich längerfristig zusammenarbeiten könnten. Eine Auswertung der Bundespsychotherapeutenkammer (BPtk) zeigt, dass 40 Prozent der Patient:innen drei bis neun Monate auf den Beginn einer Behandlung warten mussten, wenn zuvor in einer psychotherapeutischen Sprechstunde festgestellt wurde, dass sie psychisch krank sind und deshalb behandelt werden müssten.
In der Sendung will Jenke von Wilmsdorff deshalb auch zeigen, was sich verändern müsste, um Betroffenen besser zu helfen und welche Lösungen es gibt. Auch war es dem Fernsehjournalisten wichtig zu zeigen, dass Körper und Psyche zusammengehören und nicht getrennt voneinander betrachtet werden können. In der Sendung am Montag, 2. Mai 2022, um 20.15 Uhr auf ProSieben erfahren die Zuschauenden dann auch, wie viel Zeit Jenke von Wilmsdorff in der Isolation verbracht hat. Außerdem findet im Anschluss an die Sendung ein Live-Talk statt.
Quellen: Live Pressekonferenz nachzuschauen auf Twitter, BPtk