Gegen die altersbedingte feuchte Makuladegeneration gibt es drei Medikamente: Avastin, Lucentis und Macugen, wobei letzteres anders wirkt. Eine Monatsbehandlung mit Lucentis kostet 1523 Euro. Die Kosten für Avastin, einen vergleichbaren Wirkstoff, belaufen sich pro Monat auf 5,55 Euro. Herr Uthoff, womit behandeln Sie zurzeit Patienten?
Wir sind der Überzeugung, dass Avastin und Lucentis gleich wirken, obwohl es noch keine Studien darüber gibt. Deshalb behandeln wir derzeit mit Avastin.
Lucentis und Avastin
Die Medikamente Lucentis und Avastin wirken in gleicher Weise: Sie hemmen die Entstehung neuer Blutgefäße, indem sie einen Faktor, der für das Wachstum der Gefäße notwendig ist, quasi ausschalten. Beide Mittel werden zur Behandlung der Makuladegeneration (AMD) direkt ins Auge gespritzt. Während Lucentis für die Behandlung der AMD entwickelt und zugelassen wurde, ist Avastin ursprünglich ein Krebsmedikament. Nach Berechnungen des Pharmakologen Ulrich Schwabe kostet die Therapie mit Lucentis monatlich 1523 Euro. Würde man alle AMD-Patienten - laut Schätzungen 485.000 - mit Lucentis behandeln, würde dies 8,9 Milliarden kosten: Das entspricht etwa ein Drittel der derzeitigen Arzneimittelausgaben der gesetzlichen Krankenkassen.
Sie benutzen ein Medikament, welches für die Behandlung am Auge nicht zugelassen ist. Wie erklären Sie das Ihren Patienten?
Die Patienten müssen einen Aufklärungsbogen unterschreiben, in dem steht, dass wir ein Medikament nehmen, welches keine Zulassung für die Augen hat. Die Patienten haben großes Verständnis für unsere Entscheidung, das günstigere Medikament zu nehmen. Da ist auch der Arzt gefordert, richtig aufzuklären. Die Patienten sind deshalb nicht verunsichert. Die Behandlung im so genannten "Off-Label" ist nicht automatisch rechtsfrei, aber zumindest problematisch. Weil die Situation nicht geklärt ist, haben viele Ärzte Sorge. Unser Jurist hat den Fall geprüft: Wir machen uns nicht strafbar mit dem Einsetzen des günstigeren Mittels.
Wer trägt die Verantwortung, wenn in zehn oder zwanzig Jahren Schäden auftreten, von denen heute keiner etwas ahnt?
Der Arzt. Der Hersteller redet sich raus, denn er hat es ja nicht zugelassen. Die Wahrscheinlichkeit ist aber äußerst gering. Wir haben an der Kieler Augenklinik in den vergangenen zwei Jahren fast 700 Patienten mit Avastin behandelt und sehr genau kontrolliert - da ist nie etwas Nachteiliges passiert. Es sind praktisch identische Medikamente. Bei dem einen ist das Molekühl etwas größer.
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...lesen Sie im neuen stern. Darin: Ein Interview mit Peter Maag, Deutschland-Chef des Pharmakonzerns Novartis, über Preistreiberei und Korruption.
Der Hersteller des günstigeren Präparates, Roche, gehört zu einem Drittel dem Hersteller des teureren Medikamentes, Novartis. Die beiden machen sich das Geschäft nicht kaputt.
Ganz offen: Hier geht es nur ums Geld. Ich kann die Firma auch verstehen. Die sagen: Wir haben in die Forschung investiert, und wir beantragen die Zulassung nur für das teurere Lucentis. Und da verdienen sie dann gut mit. Es wäre aus deren Sicht wirtschaftlicher Unsinn, Avastin zuzulassen.
In Kiel rechnen Sie pauschal 731 für eine Behandlung ab. Auch mit Avastin verdienen Sie gut Geld.
Es geht ja nicht nur um die Spritze. Wir müssen teure Voruntersuchungen machen, die Operation mit Betäubung, dazu kommt eine aufwändige und zeitintensive Nachbehandlung sowie das ärztliche Honorar, welches alles mit diese Pauschale abgedeckt ist. Für Lucentis läge diese Fallpauschale bei weit über 2000 Euro.
Zur Person
Detlef Uthoff, 63, ist Professor für Augenheilkunde und Leiter der Kieler Augenklinik Bellevue. Er lehrt an der Martin-Luther-Universität in Halle und der Staatlichen Universität in Tel Aviv, wo er auch einen Lehrstuhl innehat. Im Jahr 2000 erhielt er den Innovationspreis des Bundesforschungsministeriums für seine Arbeit an Kunstlinsen.
Als Ärzte haben wir selber nichts davon, das günstigere Medikament zu nehmen. Aber man muss bei der derzeitigen finanziellen Situation der Krankenkassen auch solidarisch sein. Durch Lucentis kommen Hunderte Millionen Euro an Extrakosten auf die Kassen zu. Wir sind im Grunde die Handlanger der Herstellerfirmen Novartis und Roche. Die wissen ja auch, dass die Medikamente praktisch identisch sind. Jetzt sollen wir denen die Kassen füllen. Wenn wir das verschreiben, verdienen die ihr Geld.
Die Krankenkassen erstatten das teurere Lucentis, allerdings erst nach einer langwierigen Prüfung. Verzögert sich die Behandlung dadurch?
Ja. Sich Lucentis von den Krankenkassen erstatten zu lassen, ist ziemlich umständlich. Das sind immer Einzelfallentscheidungen. Es dauert, bis das genehmigt wird. Aber die Krankenkassen sind verpflichtet, das Medikament zu übernehmen: Es ist teuer, aber ein zugelassenes Medikament.
Erblinden Menschen, weil sich die Behandlung verzögert?
Die theoretische Möglichkeit besteht. Bei einigen Patienten schreitet die feuchte Makuladegeneration relativ schnell voran, bei einigen dauert es. Das wissen sie allerdings nie vorher.
Am Städtischen Klinikum in Bremen läuft zurzeit eine große Studie, welche die Wirksamkeit von Lucentis und Avastin vergleicht. Wird noch ein Augenarzt Lucentis verordnen, wenn sich herausstellt, dass es nicht besser als Avastin ist?
Einen einzelnen Augenarzt interessiert das nicht, der hat seine überschaubare Zahl an Fällen und lässt sie sich als Einzelfallentscheidungen genehmigen. Der nimmt Lucentis. Aber es hängt von der Interessenslage der Klinik ab. Wir haben ein gutes Verhältnis zu den Krankenkassen. Wenn es einen medizinischen Grund gäbe, Lucentis zu verwenden, wäre ich der erste, der das machen würde. Aber warum sollte ich, wenn die Wirksamkeit gleich ist, ein teureres nehmen? Unsere Klinik macht zurzeit ebenfalls eine Vergleichsstudie, zusammen mit der Martin-Luther-Universität in Halle. Die Ergebnisse werden wir frühestens in zwei Jahren haben. Es ist gut, dass es diese Studien gibt. Je mehr es gibt, desto größer ist die Aussagekraft über die Wirksamkeit der beiden Medikamente.
Interview: Axel Hildebrand
stern-Reporter Markus Grill berichtet in seinem Blog über Pharmathemen.