Neue Technik Mit Magnetspule zum Genie

Von Erich Lederer
Die Stimulation von Hirnregionen mit Magnetfeldern kann neurologische Störungen lindern. Sogar motorische und geistige Fähigkeiten lassen sich kurzzeitig verbessern. Das US-Militär hat bereits Interesse angemeldet.

Die Berichte von Allan Snyder aus dem australischen "Centre for the Mind" in Canberra und Alvaro Pascual-Leone von der Harvard Medical School Boston klingen fast zu schön, um wahr zu sein. Da ist vom Erwecken kreativer Fähigkeiten und von einer signifikanten Steigerung der Gedächtnisleistung die Rede, nachgewiesen in geblindeten Versuchen ganz ohne Medikamente oder Chirurgie.

Die Wissenschaftler legen den Versuchspersonen eine Magnetspule direkt an der Kopfhaut an und können damit ganz gezielt bestimmte Gehirnregionen hemmen oder stimulieren. Ob sich mit dieser Technik der transkraniellen Magnetstimulation (TMS) tatsächlich verborgene Inselbegabungen und außergewöhnliche Leistungen des Gehirns hervorrufen lassen, ist indes umstritten.

Eigentlich ein "alter Hut"

Tatsache ist allerdings, dass Ärzte diese Technik bei neurologischen Störungen in vielfältiger Weise mit Erfolg anwenden. Und das, obwohl sie eigentlich schon ein "alter Hut" ist. Schon vor mehr als einhundert Jahren versuchte der französische Arzt Arsène d' Arsonval, mit elektromagnetischen Spulen am Kopf, einen Stromfluss im Gehirn zu induzieren.

Heute helfen Computerprogramme des Fraunhofer-Instituts für angewandte Informationstechnik, die Magnetspulen anhand von Kernspinaufnahmen genau über bestimmten Gehirnbereichen zu positionieren. Damit lassen sich ganz gezielt Gehirnbereiche mit gepulsten Magnetfeldern stimulieren oder hemmen. Die Pulse dieser Induktion dauern zwischen 200 und 600 Millisekunden und erreichen eine Feldstärke von maximal 2,5 Tesla. Das ist das Hundertfache der Feldstärke eines Magneten, wie man ihn im Büro zum Festpinnen von Notizen verwendet.

Hilfe bei Depression, Schlaganfall und Tinnitus

Besonders bei der Behandlung von Depressionen kann die TMS etliche Erfolge vorweisen. So berichtete Michael Wagner von der Universität Bonn im British Journal of Psychiatry von guten Erfahrungen mit TMS oder der Elektrokrampf-Therapie (EKT) an 30 schwer depressiven Patienten, die mit Psychotherapie oder Medikamenten kaum mehr zu behandeln waren. Im Gegensatz zur EKT, bei der Stromimpulse direkt durch den Kopf geleitet werden, bleiben bei der Magnetstimulation keine Erinnerungslücken zurück.

Ähnliche Untersuchungen von Frank Padberg von der Universität München und anderen bestätigen den erfolgreichen Einsatz der TMS bei Depressionen.

Jedoch auch bei anderen neurologischen Störungen hilft die gezielte Stimulation ausgewählter Gehirnregionen. So veröffentlichten Christian Plewnia von der Universität Tübingen und Peter Eichhammer aus Regensburg Berichte von Tinnitus-geplagten Patienten, deren Ohrgeräusche nach der Stimulation zumindest gelindert wurden oder auch ganz verschwanden.

Tastempfindlichkeit erhöhte sich durch TMS

Auch bei der Rehabilitation von Schlaganfall-Patienten hilft die Spule. Zwei kürzlich veröffentlichte Artikel in Lancet Neurology (Friedhelm Hummel, Universität Hamburg) und Stroke aus der Gruppe von Pascual-Leone beschreiben, dass durch den Einsatz der TMS in der intakten Hirnhemisphäre motorische Fähigkeiten schneller wieder zurückkommen als mit einer "Schein-Stimulation".

Möglicherweise ist die Wirkung der induzierten "Neuronenfeuers" ganz ähnlich wie jene, die lang andauerndes Training zu Stande bringt. Eine Zusammenarbeit von Hubert Dinse und Martin Tegenthoff von der Ruhr-Universität Bochum zeigt das deutlich. Laut Bericht in PLOS Biology lässt sich mit entsprechenden Pulsen die Tastempfindlichkeit im Zeigefinger innerhalb Minuten auf ein Maß steigern, wie es sonst nur durch entsprechende lange Übung möglich ist.

TMS für den scharfen Blick

Mit der TMS lassen sich schließlich auch Augenmuskelbewegungen simulieren. Das probierten Chistian Ruff und seine Kollegen vom University College in London aus. Wie sie im August-Heft von Current Biology schreiben, führen die Impulse über dem frontalen Cortex, zuständig für Augenbewegungen, zu einer Aktivierung im visuellen Cortex. Die Kontrastschärfe eines Blicks aus dem Augenwinkel nahm dabei zu, ohne dass sich das Auge bewegt hätte.

Trotz vieler Anwendungen ist die transkranielle Magnetstimulation immer noch eine experimentelle Technik, für die es nur wenige zuverlässige große Studien gibt. Bisher scheint es, als ob sich durch gezielte Magnetimpulse die geistige Fähigkeiten zumindest kurzzeitig verbessern lassen. Das amerikanische Verteidigungsministerium unterstützt Untersuchungen, ob Spulen im Helm die Müdigkeit von Soldaten unterdrücken können. An welchen Stellen das Gehirn stimuliert darf, darüber werden daher in Zukunft vielleicht nicht nur Neurologen zu entscheiden haben, sondern auch Ethikkommissionen und Politiker.

PRODUKTE & TIPPS