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Coronavirus Immer mehr Omikron-Varianten sind auf dem Vormarsch. Aber wo bleibt die Herbstwelle?

Die Omikron-Variante B.A.5 dominiert bereits
Aus dem Labor werden neue Omikron-Varianten gemeldet
© Julian Stratenschulte / Picture Alliance
Fachleute warnen vor neuen Omikron-Varianten. Trotzdem sieht es so aus, als hätte die Coronawelle ihren Peak bereits erreicht. Zeit aufzuatmen? Mitnichten, sagen Experten.

Die Coronalage entspannt sich – obwohl die Blätter fallen, auf der Wiesn gefeiert wurde und es auf dem Bremer Freimarkt gerade noch wird und Fachleute wieder neue, noch ansteckendere Omikron-Varianten entdecken. Trotz alldem schreibt das Robert-Koch-Institut in seinem aktuellsten Lagebericht von einer "gewissen Entspannung" bei den Erkrankungszahlen durch Corona. Vergangene Woche verursachten die Influenzaviren den Großteil an akuten Atemwegserkrankungen in Deutschland. Sars-CoV-2 belegte nur den vierten Platz in der Rangfolge.

Wie passt das zusammen?

Im September waren die Fallzahlen wieder angestiegen und erreichten Anfang Oktober ihren Höhepunkt. Damit ist die Herbstwelle im Vergleich zu den Vorjahren deutlich kürzer ausgefallen. So dauerte es im ersten Pandemiejahr 79 Tage bis zum Peak. Dieser wurde Anfang November erreicht. Im letzten Jahr stiegen die Fallzahlen erst ab Oktober. Bis zum Höhepunkt dauerte es 64 Tage, wie die "Süddeutsche Zeitung" in einer Datenanalyse herausfand. Erst die Lockdowns vermochten es, die Coronawellen zunächst abzumildern und schließlich zu brechen.

Das ist in diesem Jahr anders. Lockdowns und Kontaktbeschränkungen sind nicht der Rede wert. Höchstens die Maskenpflicht mutiert hin und wieder zum Corona-Aufreger. Sie ist längst nicht überall verpflichtend.

Schulen wieder als Pandemietreiber?

Für den Bundesgesundheitsminister ist die Sachlage eindeutig: Dass die Fallzahlen gegenwärtig nicht weiter steigen, liege an den Herbstferien, twittert er.

Das sehen Gesundheitsexperten und das RKI allerdings anders. Im aktuellen Wochenbericht des Institutes heißt es, dass der Infektionsdruck in allen Altersgruppen gleich hoch sei. Als die Coronazahlen deutschlandweit bereits zurückgingen, hatten in einigen Bundesländern die Herbstferien noch nicht einmal begonnen, etwa in Baden-Württemberg oder in Bayern.

Allerdings warnt das RKI davor, die Schulen als Faktor im diesjährigen Pandemiegeschehen gänzlich auszuschließen. Ob es sich um einen vorübergehenden Rückgang im Zusammenhang mit den Herbstferien handelt, bleibe abzuwarten. Denn bekanntermaßen beeinflussen Ferien das Kontakt- und Testverhalten in der Bevölkerung.

Das Problem mit der Testverordnung und der Statistik

Jenseits dessen dürfte aber auch die Corona-Testverordnung das Ihre zum sichtbaren Pandemiegeschehen beitragen. Der Verband Akkreditierter Labore in der Medizin e.V. (ALM) kritisierte zuletzt "die Untererfassung der tatsächlichen Infektionszahlen". Der Grund für diese Datenlücke sei, dass die Antigentests wieder kostenpflichtig sind. Zudem fallen positive Antigentests nicht in die Statistik des RKI. Sie müssen erst durch ein positives PCR-Testergebnis bestätigt werden, um in die Berechnungen einfließen zu können. Die Zahl der PCR-Tests war in den letzten zwei Wochen wieder langsamer angestiegen als zuvor. Die Positivrate bewegt sich laut ALM konstant bei um die 50 Prozent.

Auch wenn sich die Lage derzeit wenig besorgniserregend darstellt, ein Grund zur Entwarnung ist das noch lange nicht. Denn: Es gibt eine Reihe von Omikron-Subvarianten, die sich Deutschland breitmachen und als noch infektiöser als ihre Vorgänger gelten.

Mehrere Omikron-Subtypen kämpfen um die Vorherrschaft

Laut RKI entdecken die Labore in den PCR-Proben besonders häufig neue Abkömmlinge der bisher dominanten Omikron-Subline BA.5. Die neuen Erreger sind in der Forschung unter den Namen BF.7, BQ.1 oder BQ.1.1 bekannt. Besonders Letzterer ist seit Ende August, Anfang September hierzulande auf dem Vormarsch. Allerdings ist der Anstieg noch niedrig. BQ.1 kommt auf gut zwei Prozent, BQ.1.1 auf knapp drei. Laut RKI nimmt mit BF.7 noch eine weitere BA.5-Sublinie stärker zu, auf einen Anteil von über 16 Prozent. Welche Variante sich am Ende durchsetzt: bisher fraglich.

Allerdings hängt das RKI auch hier in seiner Statistik hinterher. "Der Anteil derzeit liegt unseren Berechnungen zufolge bei circa sechs Prozent für BQ.1 und bei sieben Prozent für BQ.1.1", sagt Moritz Gerstung vom Deutschen Krebsforschungszentrum in Heidelberg der Deutschen Presse-Agentur. Für BQ.1.1 spricht er von einer Verdopplung des Anteils alle zehn Tage, dies werde sich sehr wahrscheinlich in den nächsten Wochen auch so fortsetzen.

Auch aus Sicht der europäischen Seuchenschutzbehörde ECDC könnten die beiden Subtypen die Fallzahlen in den kommenden Wochen wieder nach oben treiben. Mindestens könnten sie im November, spätestens Anfang Dezember dominant werden, prognostiziert die Behörde. Zumindest machen die Erreger bereits seit Anfang Oktober Frankreich, Belgien, Irland, die Niederlande und Italien unsicher.

Was bedeuten die neuen Varianten für Krankheitsverläufe und Impfung?

Aber was bedeutet das für die Krankheitsverläufe? Erste Laborstudien in Asien deuteten darauf hin, dass sich BQ.1 der Immunreaktion in beachtlichem Maße entziehen kann. Hinweise darauf, dass die Verläufe schwerer sind als etwa bei BA.4 und BA.5, gibt es wegen der begrenzten Daten bisher aber nicht. Der Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Immunologie, Carsten Watzel, rechnet damit, dass sich zwar wieder mehr Menschen infizieren werden, die Krankheit aber nicht schlimmer ausfallen wird, als ohnehin schon.

Dass man durch eine Infektion oder eine Impfung einer Erkrankung mit den neuen Omikron-Varianten entgehen kann, halten Fachleute für unwahrscheinlich. Die meisten Antikörper würden nicht mehr an das Spike-Protein von BQ1.1 ankoppeln. Bei Menschen mit einem der neuen angepassten Booster oder einer Omikron-Durchbruchinfektion – idealerweise BA.5 – erwartet der Immunologe aber einen "gewissen Schutz". Einen zweiten Booster empfiehlt die Stiko aktuell nur für Personen über 60 Jahre und/oder mit Vorerkrankungen.

Viele Möglichkeiten, das Virus in die Schranken zu weisen, gibt es offenbar derzeit nicht. Lockdowns und Kontaktbeschränkungen stehen längst nicht mehr zur Debatte, Impfungen helfen nur begrenzt. Laut Watzl bleibt nur, die neuen Varianten zu beobachten.

Auf dem Weg von der Pandemie in die Endemie

Positiver gestimmt ist dagegen Stiko-Chef Thomas Mertens. Er wähnt Deutschland an der Schwelle zur Endemie. Da ein Großteil der Bevölkerung bereits geimpft oder genesen sei, stelle sich die Frage, ob wir uns überhaupt noch in einer Pandemie befinden, sagt er im Gespräch mit dem Bayerischen Rundfunk. Von einer Endemie sprechen Fachleute, wenn eine Viruserkrankung in einer Region mit konstanter Erkrankungszahl dauerhaft auftritt. Die Grippe zählt etwa zu den endemischen Krankheiten.

Laut Mertens ist eine Pandemie ein Zustand, in dem Menschen mit einem weltweit unbekannten Erreger konfrontiert werden. Ein Erreger trifft so gesehen auf eine Population ohne immunologische Erfahrung. Das sei jetzt nicht mehr der Fall. Das Bundesgesundheitsministerium hält dagegen: "Der Corona-Ausbruch wurde 2020 von der WHO zur Pandemie ausgerufen und ausschließlich die WHO kann dies auch wieder revidieren." Erst kürzlich bekräftigte die Weltgesundheitsorganisation, dass man sich weiterhin in einer pandemischen Lage befände.

Quellen: RKI-Wochenbericht, Akkreditierte Labore in der Medizin e. V., "Süddeutsche Zeitung", mit Material von DPA

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