Gremium Der Expertenbericht zu den Corona-Maßnahmen liefert enttäuschend wenig Erkenntnisse

Christoph Schmidt, Karl Lauterbach und Hendrik Streeck, Virologe nehmen an einer Pressekonferenz zum Evaluationsbericht teil
Schulen öffnen oder schließen? Masken tragen oder lieber nicht? Die Experten geben keine klaren Empfehlungen ab.
(V.l.n.r.) Christoph Schmidt, Präsident des RWI, Gesundheitsminister Karl Lauterbach und Virologe Hendrik Streeck nehmen an einer Pressekonferenz zum Evaluationsbericht teil



© Fabian Sommer / DPA
Der Expertenrat hat seinen mit Spannung erwarteten Evaluationsbericht vorgestellt. Doch die erhofften Leitlinien für die Politik blieben aus. Die Ampel muss jetzt das Beste aus der fehlenden Grundlage machen.

Große Hoffnungen lagen auf dem Evaluationsbericht des Corona-Expertenrates. Am Freitag wurde er mit eintägiger Verspätung vorgestellt – und ließ viele Hoffnungen unerfüllt. Wir wissen, dass wir eigentlich nicht viel wissen. So könnte man die 165 Seiten des Expertenrates sehr überspitzt auf den Punkt bringen. Dabei wären verlässliche Daten dringend nötig. Die befürchtete Herbstwelle scheint sich bereits in den Sommer zu verlagern. Womöglich werden bald wieder schärfere Maßnahmen gegen die Pandemie ins Spiel gebracht. Gerade jetzt bräuchte die Bundesregierung aber präzise Daten als Basis für ihre nächsten Pandemieentscheidungen.

Doch nach der Pressekonferenz des Corona-Sachverständigenausschusses ist klar: Aus dem Papier lässt sich kaum Handfestes ableiten. "Ziel ist es, einen wesentlichen Beitrag dazu zu leisten, Entscheidungsträgerinnen und Entscheidungsträgern in Politik und Verwaltung eine informierte, solide Grundlage für zukünftige Entscheidungen und Maßnahmen und Strategien zu geben", sagte die Chemikerin und Mitglied des Expertengremiums, Helga Rübsamen-Schaeff zu Beginn der Pressekonferenz.

Was dann folgte, war das komplette Gegenteil. Man könnte auch sagen: Ziel verfehlt – was nicht an den Mitglieder des Expertenrates liegt. Die Datenbasis zum Thema Corona in Deutschland sei mehr als dürftig, heißt es. Weltweit gebe es über 200.000 Studien. Doch in Deutschland fehle seit Pandemiebeginn eine stringente Datengrundlage, damit müssten Gesellschaft und Politik also umgehen. Man habe Evidenzen eben nach bestem Wissen und Gewissen gesammelt und bewertet, lautet die fast trotzige Begründung. Andere Länder stünden da definitiv besser da – ein klarer Seitenhieb an die Politik: Steckt mehr Geld in die Forschung, unterstützt die Bildungseinrichtungen, dann können wir euch auch besser helfen. Corona-Erklärer Christian Drosten wird schon gewusst haben, warum er das Gremium vorzeitig verlassen hat.

Empfehlungen darf man von den Experten nicht erwarten

Dass die Datengrundlage so schwammig ist, zeigt auch die Beurteilung der einzelnen Corona-Maßnahmen. Zum Thema Impfung und Medikamente wollte sich das Gremium gar nicht erst äußern. Dafür sei die Stiko zuständig. Schade, denn gerade mit Blick auf den nachlassenden Schutz, die neuen Omikron-Varianten und die angepassten Impfstoffe wäre eine Empfehlung interessant gewesen.

Aber Empfehlungen wird es von dem Expertengremium ohnehin nicht geben.

Zum Thema Lockdown heißt es: Da könne man schlecht vergleichen, weil jedes Land die Maßnahme unterschiedlich streng durchgesetzt habe. Allerdings gebe es keinen Zweifel, dass weniger Kontakte das Risiko für weitere Ansteckungen minimieren. Der Effekt aber habe mit der Zeit nachgelassen. Die wohl umstrittenste, weil massivste Maßnahme kann nicht abschließend bewertet werden, weil Daten fehlen. Ein Unding.

Wie steht es um 2G? Könnte gehen, allerdings lassen sich dadurch nicht mehr Menschen zum Impfen bewegen. Hilfreicher wären möglicherweise Kontaktnachverfolgungen und regelmäßiges Testen, aber auch da bleiben Zweifel. Und die Masken? Die helfen laut Expertengremium nur, wenn sie richtig getragen werden. Bei den FFP2-Masken könne man aber keinen speziellen Effekt erkennen, deshalb will man sich dazu nicht äußern. Mit deren Wirksamkeit müsse sich schon eine gesonderte Kommission befassen. Und was haben die Schulschließungen gebracht? Auch darauf gibt es keine eindeutige Antwort.

Welche Maßnahmen sollten wir im Herbst wieder anwenden, welche besser nicht? Die Antworten bleibt das Gremium der Politik schuldig. Dagegen dürften die Fragezeichen bei der Bevölkerung nur so aus den Köpfen sprießen, Verunsicherung und Ablehnung gegenüber den Maßnahmen weiter wachsen.

Collage mit Porträts von Merz, Klingbeil, Söder und Reiche

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Kommunikation verbessern

Eine klare Empfehlung gibt das Gremium aber doch: Die Regierung müsse ihre Kommunikation verbessern, Risikogruppen besser erreichen. Doch das ist leider keine neue Erkenntnis. Dass kommunikativ einiges falsch gelaufen ist in den letzten beiden Jahren, hat keinen Nachrichtenwert. Vielmehr bleibt die Frage: Wie soll das gelingen? Am praktischen Beispiel: Wie soll man Bürgern erklären, dass sie FFP2-Masken tragen sollen, wenn die Experten deren Wirksamkeit in der Praxis nicht eindeutig bestätigen können? Der Expertenbericht trägt jedenfalls nicht dazu bei, das Kommunikationsproblem der Bundesregierung in irgendeiner Form zu beheben oder auszumerzen.

Was folgt nun? Womöglich eine Evaluierung der Evaluierung. Die Ampel muss nun für sich entscheiden, wie gut sie das Papier verwerten kann. Es fühlt sich nach Zeitverschwendung an, denn nach zwei Pandemiejahren und einer im Voraus groß angepriesenen Bewertung der Corona-Maßnahmen ist nur klar, dass ganz vieles weiterhin unklar ist. Man muss kein Pessimist sein, um zu befürchten, dass wir auf die nächste Welle, die schon begonnen hat, erneut nicht gut genug vorbereitet sind.