Man kann deshalb sentimental werden. Muss man aber nicht. Denn die Geschichte des Rauchens ist auch eine Chronik der Rücksichtslosigkeit. Zigarettenqualm in geschlossenen Räumen verursacht eine Luftverschmutzung, die übler ist als im Ruhrpott der Nachkriegszeit. Tabakrauch enthält 4800 verschiedene Substanzen, von denen mehr als 70 krebserregend sind oder zumindest im Verdacht stehen, Krebs zu erzeugen.
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Es ist eine Liste, die man sich mit Totenkopfstempel vorstellen muss: Ammoniak, Stickstoff- und Schwefeloxide, Arsen, Cadmium, Chrom, Formaldehyd. Sogar Polonium. Klingelt das was? Wer sich selbst hinrichten möchte - bitte. Unbeteiligte zu vergiften, ist aber nicht länger akzeptabel. Und deshalb heißt es jetzt endlich auch in Deutschland: Raucher raus!
Rauchen ist negativ besetzt
Raucher machen sich selbst zu sozialen Außenseiter, und wenn man bedenkt, dass es um gut ein Drittel aller erwachsenen Deutschen geht, dann ist das eine verdammt große Randgruppe. Aber sie soll kleiner werden, sie wird kleiner werden. Auch deshalb dieses Gesetz. In einer gesundheitsorientierten Gesellschaft wirkt das Rauchen anachronistisch; es ist negativ besetzt, steht für Gestank aus allen Poren, Belästigung, Schwäche. Rauchen und beruflicher Erfolg schließen einander bereits jetzt weitgehend aus. Die Zigarette wird noch mehr als ohnehin schon zur Droge der Modernisierungsverlierer, ein Phänomen der Unterschicht. Es ist wohl kein Zufall, dass es demnächst fast überall verboten ist. Außer im Knast.
Rauchverbot
Seit dem 1. August ist in Baden-Württemberg das Rauchen ebenso großflächig verboten wie in Niedersachen und ansatzweise in Mecklenburg-Vorpommern. Die übrigen Bundesländer ziehen zum 1. Oktober, spätestens zum 1. Januar nach. Das Verbot gilt für öffentliche Einrichtungen wie Schulen und Behörden, für geschlossene Einkaufszentren und Gaststätten, in größeren Kneipen aber dürfen Raucherräume eingerichtet werden, als letztes Refugium sozusagen. In der kleinen Eckkneipe mit nur einem Raum bleibt die Kippe aus.
Kein Konsumprodukt hat in so kurzer Zeit einen solchen Imageverfall erlebt wie der Tabak. Noch vor hundert Jahren war Rauchen ein Ritual der Elite, Inbegriff von Genuss im ledernen Sessel des Herrenclubs; es war der Treibstoff der Avantgarde. Nun wird die Zigarette mehr denn je zum Suchtstoff des Prekariats.
Konsum steigt mit Arbeitslosigkeit
Schon jetzt rauchen Männer und Frauen, die arbeitslos sind, zwei- beziehungsweise eineinhalb Mal häufiger als Erwerbstätige. Mit andauernder Arbeitslosigkeit steigert sich vor allem bei Männern der Tabakkonsum. Alleinerziehende Mütter rauchen dreimal häufiger als Mütter mit festem Partner; Geschiedene sind in der Raucherstatistik weit vorn und Großstädter. Und wer mehrere dieser Faktoren auf sich vereint, hängt mit Sicherheit an der Fluppe. Internationale Studien belegen, dass gerade einkommensschwache Haushalte und Alleinerziehende bis zu 20 Prozent ihrer Finanzmittel in den Tabakkonsum investieren. Das Geld fehlt dann für Nahrung, Hygiene, Kleidung. Für den Grundbedarf also.
Alles deutet darauf hin, dass sich der soziale Gegensatz unter den Rauchern weiter verschärft.