Neue Varianten Deutschland führt Corona-Testpflicht für Reisende aus China ein. Warum Experten das für Unsinn halten

Testpflicht für Reisende aus China.
Wer aus China nach Deutschland einreisen will, benötigt künftig bei Reiseantritt mindestens einen negativen Antigenschnelltest.
© Ren Yong/SOPA Images via ZUMA Press Wire/dpa
China erlebt derzeit eine gewaltige Corona-Welle, die Fallzahlen explodieren. Aus Sorge, dass die Welle auch nach Deutschland überschwappt, wird jetzt eine Testpflicht für Reisende eingeführt – und Experten wundern sich.

China hat Schluss gemacht. Schluss mit der strikten Null-Covid-Strategie. Schluss mit strikten Einreiseregelungen, täglichen Tests und Zwangsisolation. Und das von jetzt auf gleich. Knapp einen Monat ist das nun her, seither explodieren die Corona-Zahlen. Die Krankenhäuser sind überfüllt, Medikamente oftmals vergriffen. Die Rede ist von mehreren Hundert Millionen Chinesen, die sich bereits infiziert haben sollen. Offizielle Zahlen gibt es nicht. 

Chinas abrupte Kehrtwende nach beinahe drei Jahren strengster Corona-Politik und die damit ausgelöste riesige Infektionswelle sorgt in Europa für wenig Freude. Die Bedenken sind groß, dass die chinesische Welle überschwappt. So steht die Befürchtung im Raum, dass aus dem Land der Mitte neue Varianten und Subvarianten eingeschleppt werden könnten. Frankreich, Italien und Spanien haben daher schon früh entschieden, eine Einreise von Menschen aus China nur bei Vorlage eines aktuellen negativen Tests zu erlauben.

Tut eine Testpflicht für China-Reisende wirklich not?

Auf eine solche EU-weite Testpflicht konnten sich die Mitgliedsstaaten der Europäischen Union am Mittwochabend in Brüssel nicht einigen. Die Staaten werden aber "nachdrücklich aufgefordert", negative Coronatests vorzuschreiben. Deutschland wird dieser Empfehlung folgen, wie Gesundheitsminister Karl Lauterbach am Donnerstag bekannt gab. Wer aus China nach Deutschland einreisen möchte, muss künftig daher bereits vor Reiseantritt mindestens einen negativen Antigenschnelltest vorlegen. Auch stichprobenhafte Sequenzierungen soll es geben. Aber muss das wirklich sein? 

"Ich persönlich halte es nicht für angemessen, in der aktuellen Situation Einreisekontrollen für Reisende aus China oder woanders her zu Covid-19 einzuführen", sagt Gérard Krause, Leiter der Abteilung Epidemiologie am Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung in Braunschweig. Maßnahmen zur Eindämmung wie Einreisebegrenzungen oder -kontrollen seien für eine kurze anfängliche Phase einer Epidemie oder Pandemie sinnvoll, aber nicht mehr jetzt. Mit seiner Einschätzung steht der Professor alles andere als allein da. Was, so fragen sich viele namhafte Expert:innen, will man mit den Testungen erreichen?

Corona-Tests – eine Frage der Verhältnismäßigkeit

Viola Priesemann, Wissenschaftlerin vom Max-Planck-Institut, nennt drei Ziele, die mit dem Testen verfolgt werden können: "Die Einschleppung von Infektionen reduzieren, die Einschleppung neuer Varianten verzögern oder eine Übersicht über die aktuellen Varianten in China bekommen." So weit, so sinnvoll, oder? Tatsächlich könne jede neu eingeschleppte Infektion eine neue Infektionskette starten, so Priesemann. Im Mittel könne sich eine solche Kette auf Dutzende Leute ausbreiten. Insofern reduziere Testen in Verbindung mit Isolationspflicht die Inzidenz im Zielland. Aber: "Das ist vor allem dann sinnvoll, wenn das Zielland eine niedrige Inzidenz hat oder anstrebt. Das ist aktuell in Deutschland nicht der Fall."

Bedacht werden muss bei der Debatte um eine Testpflicht also auch die Verhältnismäßigkeit. "Neue Tests für Einreisende aus China würden sicherlich zeigen, dass ein möglicherweise nicht unerheblicher Anteil aller von dort Einreisenden infiziert ist. Dennoch wäre dies im Gesamtblick auf die hierzulande derzeit noch vorliegenden Infektionen nur ein sehr kleiner Teil, es würde sicherlich keine neue Infektionswelle ausgelöst", meint der Bremer Epidemiologe Hajo Zeeb. Zumal laut mehrerer Expert:innen kein Anlass zur Sorge besteht, dass Einreisende aus China tatsächlich neue Varianten oder Subvarianten mitbringen und dadurch den aktuellen Corona-Status-quo in Deutschland ins Wanken bringen könnten. 

So kommt Richard Neher, Leiter der Forschungsgruppe Evolution von Viren und Bakterien am Biozentrum der Universität Basel, in einem aktuellen Bericht zu Varianten zu dem Schluss, dass in China mit BF.7 und BA.5.2 zwei Varianten dominieren, die auch in Deutschland bereits vorkommen. Die anderen nachgewiesenen Varianten ähnelten solchen, die im Rest der Welt zirkulieren. Bislang seien keine stark abweichenden Mutationen bekannt. Ähnlich schätzt die EU-Gesundheitsbehörde ECDC die Lage ein. Dort geht man nicht davon aus, dass die Entwicklungen in China einen Einfluss auf die Situation in Europa haben werden. Die Varianten, um die es aktuell geht, stellen laut ECDC keine besondere Herausforderung für das Immunsystem der Bürger dar.

Sequenzierung von Proben bleibt sinnvoll

Sicher, was nicht ist, das kann noch werden. Im Prinzip könnten, so Priesemann, neue besorgniserregende Varianten entstehen. Durch das Testen könnte ein Einschleppen reduziert und die Ausbreitung verzögert werden. Folgt man den Ausführungen Priesemanns, bleibt das derzeit aber ein Gedankenspiel im Konjunktiv. Sie sagt: "Für den (unwahrscheinlichen) Fall, dass es eine extrem problematische besorgniserregende Variante (VOC) geben sollte, kauft das einige Wochen Zeit, die sehr wichtig sein können. Wie wahrscheinlich das Auftreten einer sehr problematischen VOC ist, ist schwer abzuschätzen." Stand jetzt deutet darauf nichts hin.

Ein wichtiges Werkzeug, um kursierende Varianten und etwaige Veränderungen im Blick zu behalten, bleibt jedoch die Sequenzierung – auch, aber nicht nur, in Bezug auf Reisende aus China. Denn, so führt die Virologin Isabella Eckerle aus, es sei natürlich möglich, dass eine neue, besorgniserregendere Variante entsteht, "aber die könnte auch aus anderen Teilen der Welt kommen, aus denen wir wenig Sequenzen erhalten". Statt sich jetzt bei den Maßnahmen auf ein Land zu konzentrieren, hält sie es für sinnvoller, in dauerhafte Strukturen zu investieren. Sie skizziert, wie das aussehen könnte: "Eine Möglichkeit könnte zum Beispiel die Sequenzierung vom Abwasser der Flugzeuge sein. Wenn mehrere Länder solche Programme aufsetzten und sich gut koordinieren, dann kann man mit relativ wenig Investition eine gute Übersicht über die globale Viruszirkulation bekommen."

Österreich hat bereits angemeldet, genau das zu tun. Am Mittwoch wollte das Land damit beginnen, das Abwasser aus den Flugzeugtoiletten von Maschinen aus China zu analysieren. Sollten bei der Sequenzierung Varianten auffallen, würden diese an die EU und an die WHO gemeldet. Und auch Belgien greift bereits auf dieses Verfahren zurück und analysiert Abwasser, nicht nur von Flugzeugen, auch von Häuserblocks und ganzen Städten. Der Vorteil dieser Strategie: die Arbeit läuft im Hintergrund, ohne Einschränkung für den Probengeber.

Quelle: Zitate von Science Media Center, mit Material der Dpa

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