Nur fünf Minuten Fahrzeit trennt den Hamburger Hauptbahnhof von der Bahnstation Veddel. Eigentlich eine innerstädtische Lage, doch die Veddel - ein Stadtteil der auf drei Elbinseln liegt - scheint weit weg. Die Elbe trennt den Stadtteil von Hamburg, Autobahnen links und rechts begrenzen den Ort und breite Bahntrassen zerschneiden ihn. Veddel war und ist industriell geprägt. Nicht der Hipster-Industriecharme mit umgebauten Fabriken zu sündhaft teuren Lofts, sondern mit Industrieanlagen und günstigen Arbeiterwohnungen. Veddel wurde von der Politik vergessen. Inzwischen bezieht hier jeder Vierte Arbeitslosengeld II, der Migrantenanteil liegt bei gut 70 Prozent. Die, die noch einen Job haben, verdienen wenig, so das Wirtschaftsmagazin "Brandeins" - durchschnittlich 14.633 Euro. Pro Jahr. Für Ärzte nicht unbedingt ein attraktives Pflaster, um eine Praxis zu eröffnen.
Eigentlich kommen rein statistisch in Deutschland gut vier Ärzte auf 1000 Einwohner. Auf der Veddel sieht das anders aus. Zuletzt kümmerte sich eine Hausärztin halbtags um knapp 5000 Anwohner. Eine Apotheke gab es gar nicht mehr. In Eppendorf hingegen, einem Stadtteil mit deutlich höheren Durchschnittsgehältern versorgt ein Arzt durchschnittlich 164 Patienten, so "Brandeins". Veddel ist arm - und medizinisch unterversorgt.
Poliklinik auf der Veddel eröffnet
Das soll sich nun ändern. Im Frühjahr wurde eine Poliklinik eröffnet. Insgesamt sechs Ärzte und ein 20-köpfiges Team sollen künftig die Versorgung der Anwohner verbessern. Doch es geht nicht nur um Medizin. Auch Sozialarbeiter, Pädagogen und Handwerker sind Teil der Idee. An diesem Ort sollen nicht nur Kranke versorgt werden, sondern auch eine Anlaufstelle entstehen - zum Kaffee trinken, für juristische Fragen oder für Jugendliche, die gemeinsam mit den Profis handwerklich arbeiten. Finanziert wird das Projekt über einen Kredit. Fördergelder, Drittmittel und Spenden sollen das Vorhaben so voranbringen, dass die Helfer künftig nicht mehr ehrenamtlich arbeiten, sondern Geld dafür bekommen.
Poliklinik - eine Idee aus der DDR
Ganz neu ist die Idee nicht. In der DDR waren Polikliniken eine feste Säule in der Gesundheitsversorgung. Nach der Wende war damit Schluss - um nur wenige Jahre später als "Medizinische Versorgungszentren" wieder zurückzukehren. Verschiedene Ärzte unter einem Dach können Doppeluntersuchungen vermeiden, die Verwaltung ist schlanker, die Ärzte sind angestellt - das spart dem Gesundheitssystem durch eng aufeinander abgestimmte Therapien spürbar Geld.
Für die Menschen auf der Veddel ist das Projekt wichtig. So gibt es dort vor allem viele Patienten mit chronischen Erkrankungen wie Diabetes oder Herzleiden. Auch die Kinder und Jugendlichen dort sind viel häufiger krank als in anderen Ecken der Stadt. Das hat Auswirkungen auf das Lebensalter. "Dass die Menschen auf der Veddel im Schnitt zehn Jahre früher sterben als in Blankenese, ist eine schreiende Ungerechtigkeit“, sagt die Juristin Katja Schlegel zum Magazin "Hinz und Kunzt", eine von rund 20 Ehrenamtlichen bei dem Projekt. Das will die Poliklinik auf der Veddel ändern, ein erster Schritt ist gemacht.
