Die Meinungen, ob Kinder Fleisch für ein gesundes Heranwachsen brauchen, gehen weit auseinander. Eine Erkenntnis einer kanadischen Studie mag zunächst gegen eine fleischlose Ernährung sprechen: Kinder, die sich vegetarisch ernähren, neigen eher zu Untergewicht als gleichaltrige Mischköstler:innen. Die Untersuchung wurde im Fachblatt "Pediatrics" veröffentlicht. Allerdings weist die Studie einige Mängel auf.
Die Forschenden haben die Ernährungsweisen und ihre Auswirkungen von insgesamt 8907 Kindern zwischen sechs Monaten und acht Jahren untersucht. Die Wissenschaftler:innen haben für knapp drei Jahre das Gewicht der Kinder, den Vitamin-D-Gehalt, Eisen- und Cholesterinwerte erfasst und ausgewertet. Die untersuchten Kinder wurden dabei in Fleischesser:innen und Vegetarier:innen eingeteilt. 250 Kinder aßen kein Fleisch, ob sie sich vegetarisch oder vegan ernährt haben, wurde nicht erfasst. Das Ergebnis: Die vegetarischen Kinder waren etwa gleich schwer und groß wie die gleichaltrigen Mischköstler:innen. Auch hatten sie keinen Nährstoffmangel. Allerdings fiel den Forschenden bei den vegetarischen Kindern ein fast doppelt so hohes Risiko untergewichtig zu werden auf – gegenüber den Mischköstler:innen. Wegen dieser Erkenntnis betonen die Wissenschaftler:innen, dass bei vegetarischer Ernährung eine besondere Sorgfalt bei der Essensplanung wichtig sei.
Wie fatal eine falsch geplante Ernährung enden kann, zeigen Horrornachrichten aus den vergangenen Jahren. Immer wieder kamen Kinder aufgrund der Ernährungsentscheidungen der Eltern zu Schaden. In Florida starb ein 18 Monate alter Säugling 2019 an Mangelernährung, weil der Junge nur mit Muttermilch, rohem Obst und Gemüse gefüttert wurde. Seine Eltern wurden wegen Mordes angeklagt. An den Folgen einer Unterernährung wäre auch fast ein 17 Monate altes Mädchen aus Schweden gestorben. Die Eltern hatten ihr nur Reis, Muttermilch, Obst und Gemüse zu essen gegeben. Sie wurden zu drei Monaten Haft verurteilt.
Studienergebnisse aus Kanada weisen Mängel auf
Auf den ersten Blick vermitteln die Studienergebnisse den Eindruck, dass eine vegetarische Ernährung per se das Risiko für Untergewicht erhöht – und die Gefahr für Untergewicht nicht nur durch eine extrem einseitige (pflanzliche) Mangelernährung zu bestehen scheint. Doch so einfach ist das nicht: Die Studie hat einige Schwächen, sagt der Experte Peter von Philipsborn von der Ludwig-Maximilians-Universität München gegenüber dem Science Media Center. Die Datenauswertung habe zwar ergeben, dass mehr vegetarische Kinder untergewichtig seien als fleischessende Altersgenoss:innen, doch das durchschnittliche Körpergewicht in den beiden Gruppen sei ähnlich geblieben. "Da die Anzahl der Kinder mit Untergewicht in der Studie insgesamt sehr niedrig war, ist der scheinbare Unterschied zwischen den zwei Gruppen daher möglicherweise auf einen Zufallseffekt zurückzuführen." Diesen hätten die Forschenden in ihrer Untersuchung nicht ausreichend berücksichtigt.
Eine weitere Fehlerquelle: In der Studie wurde eine Methode für die Klassifikation von Kindern als untergewichtig verwendet, die für Kinder europäischer Herkunft entwickelt wurde. "Wird diese Methode bei Kindern asiatischer Abstammung angewandt, kann dies nach Einschätzung von Fachleuten zu einer Überschätzung der Häufigkeit von Untergewicht führen. Tatsächlich war ein Drittel der vegetarisch oder vegan ernährten Kinder in der Studie asiatischer Abstammung; unter den herkömmlich ernährten Kindern lag der Anteil hingegen nur bei 20 Prozent. Dies kann möglicherweise die Erklärung dafür sein, weshalb der Anteil von Kindern mit Untergewicht unter den vegetarisch oder vegan ernährten Kindern in der aktuellen Studie höher erscheint", erklärt Peter von Philipsborn.
Veganes Essen bei Kindern braucht breites Ernährungswissen
In Deutschland hat es in den vergangenen Jahren zwei Studien gegeben, die untersuchen wie gesund Kinder und Jugendliche sind, die sich vegan, vegetarisch beziehungsweise omnivor (also alles essende Kinder) ernähren. In der "VeCHI-Diet-Studie" wurden 430 Kinder im Alter von ein bis drei Jahren untersucht. Und in der "VeCHi-Youth-Studie" wurden 401 Sechs- bis 18-Jährige untersucht. Die Studienergebnisse zeigen, dass vegane Kinder mehr Obst, Gemüse Vollkornprodukte und mehr pflanzliche Öle mit ungesättigten Fettsäuren aufnehmen als Mischköstler:innen. Bei Vitamin C, Vitamin K und Magnesium sind vegane Kinder am besten versorgt und bei Eisen und Folsäure sind die veganen Kinder (im Vergleich mit vegetarischen und omnivoren Kindern) nach den Studienergebnissen die einzige Gruppe, die die Zufuhrempfehlungen der Deutschen Gesellschaft für Ernährung im Durchschnitt erreicht, erklärt Ernährungswissenschaftler Professor Markus Keller gegenüber dem "Kölner Stadt-Anzeiger". Er hat an beiden Studien mitgearbeitet. Nach seiner Einschätzung zeigen die Studienergebnisse, dass man eine vegane Ernährung bei Kindern gut durchführen könne, "wenn man es richtig macht" und auf kritische Nährstoffe achte.
Die Ergebnisse der aktuellen Studie aus Kanada stützen frühere Arbeiten im Hinblick auf die Nährstoffversorgung von vegetarisch ernährten Kindern , sagt Peter von Philipsborn. Er sagt: "Eine ausgewogene, abwechslungsreiche vegetarische Ernährung versorgt Kinder und Erwachsene gleichermaßen mit allen notwendigen Nährstoffen und ermöglicht eine normale kindliche Entwicklung." Die vegane Ernährung sieht der Experte kritischer: Für Eltern, die ihre Kinder vegan ernähren wollen, empfiehlt er, sich von einer qualifizierten Ernährungsfachkraft beraten zu lassen, um einem Nährstoffmangel vorzubeugen. Außerdem sollten Eltern die "Versorgung mit kritischen Nährstoffen wie Vitamin B12, Eisen und Vitamin D regelmäßig ärztlich überprüfen lassen".
Experteneinschätzungen gehen auseinander
Seine Einschätzung steht im Einklang mit den Empfehlungen der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE). Während die DGE eine vegetarische Ernährung für Kinder empfiehlt, sieht sie eine vegane Ernährung bei Kindern kritisch. Der Grund dafür: Heranwachsende haben einen erhöhten Nährstoffbedarf. Einige dieser Nährstoffe kommen vermehrt in tierischen Lebensmitteln vor. Das Risiko eines Nährstoffmangels wird dadurch bei einer rein pflanzlichen Ernährung höher eingeschätzt. Die DGE weist auch darauf hin, dass es bisher zu wenige Daten gebe, um beurteilen zu können, ob eine vegane Ernährung für Kinder sicher ist.

Andere Ernährungsgesellschaften zum Beispiel aus den USA sehen im Gegensatz zur DGE kein Problem in der rein pflanzlichen Ernährung von Kindern. Bei allen Ernährungsweisen empfiehlt es sich, kritische Nährstoffe wie Vitamin B2, Vitamin D, Jod und Kalzium im Blick zu behalten. Wer sein Kind vegan ernähren will, muss sich nach Experteneinschätzungen näher mit der Ernährung auseinandersetzen. Um zum Beispiel zu wissen, das Vitamin B12 nicht in pflanzlichen Quellen vorkommt und eine Supplementierung bei einer veganen Ernährung unumgänglich ist, um eine Versorgung mit dem Nährstoff sicher zu stellen.