DFB-Team in der Krise Abschied vom Würfelspieler: Hansi Flick nutzt auch seine dritte Chance nicht und steht vor der Entlassung

Bundestrainer Hansi Flick steht nach der Pleite gegen Japan schwer unter Druck.
Bundestrainer Hansi Flick steht nach der Pleite gegen Japan schwer unter Druck
© Laci Perenyi / Imago Images
Die 1:4-Niederlage gegen Japan bündelt nochmals alle Schwächen der Ära Hansi Flick. Die Serie der handwerklichen Fehler ist lang und wird den 58 Jahre alten Bundestrainer wohl den Job kosten. 

Wer wissen wollte, was dieses 1:4 gegen Japan macht mit dem DFB, fand die Antwort auf der Haupttribüne des Wolfsburger Stadions. Dort saß der Verbandspräsident Bernd Neuendorf, die Hände wie zu einem Yoga-Gruß gefaltet, vielleicht betete er auch. Neben ihm Hans-Joachim Watzke, sein Stellvertreter. Die Mundwinkel nach unten gebogen, wie das sonst nur Angela Merkel kann. Dann Rudi Völler, der Sportdirektor. Weit nach vorn gerutscht auf seinem Stuhl, er lag mehr als er saß, die Achseln hochgezogen, als regnete es ihm von hinten in den Nacken.

Nachdem Schlusspfiff löste sich Völler aus seiner Kauerstellung und rang sich zu ein paar Sätzen zum Spiel durch. Er wolle "erstmal eine Nacht darüber schlafen", sagte Völler, jetzt dürfe man nichts überstürzen. Inhaltsarme Worte, aber immerhin mehr als von Neuendorf und Watzke zu hören war. Nämlich nichts. Neuendorfs Strategie ist es seit jeher, große Debatten schweigend zu begleiten. Aber dieses Mal wird er damit nicht durchkommen. Dazu ist die Debatte, die bei der WM 2022 in Katar ihren Anfang nahm und jetzt beim Japan-Spiel einen neuen Höhepunkt fand, zu groß und zu mächtig geworden. Sie lässt sich nicht mehr mit Ignoranz ersticken. Die Frage lautet: Ist Hansi Flick als Bundestrainer noch tragbar?

Das Spiel der deutschen Mannschaft hat am Samstagabend darauf eine eindeutige Antwort gegeben: Er ist es nicht.

Nichts klappte gegen Japan

Flick hatte den September zum Monat des Wandels erklärt; in den beiden Testpartien gegen Japan und Frankreich sollte "vieles anders werden". Flick wollte eine sogenannte "Kernmannschaft" aufs Feld schicken, ein Team, das im nächsten Jahr auch die Heim-EM bestreiten soll. Er sei "zu 100 Prozent" von seinem Plan überzeugt, hatte Flick vor dem Japan-Spiel gesagt, "wir habe eine enorme Qualität im Kader."

Genau diese hochgelobten Spieler ließen Flick bei der Partie in Wolfsburg im Stich. Sie lieferten das schwächste Spiel seit dem 0:6 gegen Spanien ab; das war im November 2020, und der Trainer hieß damals Joachim Löw. Nichts klappte gegen Japan, weder in der Offensive noch in der Defensive. Die Überlegenheit der Gäste, wahrlich kein Weltklasseteam, war so erdrückend, dass nach dem Schlusspfiff eine Grundsatzdebatte entbrannte: Ob diese Partie das wahre Leistungsvermögen der deutschen Mannschaft spiegelt – oder ob das Team nur falsch gecoacht wird, schließlich gehörten die Nationalspieler zu den Leistungsträgern bei großen Vereinen wie Real Madrid, Barcelona oder Bayern.  

Hansi Flick
Hansi Flick
© RONNY HARTMANN / AFP
"Ich bin der richtige Trainer": Hansi Flick erklärt das Testspiel-Debakel gegen Japan

Hansi Flick: ein Bild des Jammers

Ilkay Gündogan, Champions League-Sieger mit Manchester City und seit August beim FC Barcelona, sagte: "Die Japaner waren uns in allen Belangen überlegen. Spielerisch sind wir mit solch einer Mannschaft nicht auf Augenhöhe."

Flick wählte ähnliche Worte, wobei diese als Versuch einer Selbstverteidigung zu werten sind. Wer den Grund für eine Niederlage schlicht in einem Klassenunterschied sieht, muss sich für Details nicht rechtfertigen – es war ja eh nichts zu holen. Flick behauptete gar, seinen Spielern hätten "die Basics gefehlt". Das klang so, als müssten sie Ballannahme, Passen und Stoppen erst noch lernen.

Es war ein Bild des Jammers, das Flick kurz vor Mitternacht in Wolfsburg bot. Er suchte nach Worten, brach seine Sätze immer wieder ab, hatte hier noch einen halben Gedanken im Angebot und dort noch ein schiefes Argument. Wer ihn so strampeln sah, musste sich fragen: Wann wird dieser Trainer endlich erlöst?

Ein Erfolg gegen Frankreich wird Flick nicht retten 

Einiges deutet darauf hin, dass Flick beim Testspiel gegen Frankreich am Dienstag (21 Uhr, ARD) noch auf der Bank sitzen wird. Danach aber dürfte Flick beurlaubt werden; selbst ein überzeugendes Spiel gegen den WM-Zweiten wird ihn nicht retten können. Als mögliche Nachfolger werden Julian Nagelsmann (zuletzt FC Bayern) und Oliver Glasner (zuletzt Eintracht Frankfurt) genannt, aber das sind bislang nur Branchengerüchte.

Gut möglich, dass der DFB erst jetzt mit der Suche nach Ersatz beginnt. Zu lange wollte die Verbandsspitze nicht sehen, welchen Trainer sie da im August 2021 geholt hatte. Oliver Bierhoff, damals Direktor Nationalmannschaften, pries ihn als "absoluten Weltklassetrainer", er sei ein "Glücksfall für den DFB". Tatsächlich galt Flick damals als der Trainer der Stunde. Mit dem FC Bayern hatte er sechs Titel binnen eines Jahres geholt, darunter die Champions League 2020.

Der Glanz all der Pokale und Schalen täuschte jedoch darüber hinweg, dass Flick schon in München nicht durch strategisches Geschick und die Entwicklung von Spielern aufgefallen war. Als Flick zunächst interimsweise das Traineramt von Niko Kovac übernahm, fand er eine hochtalentierte, aber zerstrittene Mannschaft vor, die sich an ihrem Trainer aufgerieben hatte. Flick hörte zu, moderierte die Konflikte und befriedete das Team innerhalb weniger Wochen. Wahrscheinlich kann er das wie kein Zweiter im europäischen Fußball: Wärme und Wertschätzung vermitteln und dadurch eine Mannschaft hinter sich bringen.

Aber genügt das? Flick ist kein Taktiker wie Guardiola oder Tuchel, er ist auch kein Motivationskünstler wie Klopp. Beim FC Bayern fiel das nicht weiter auf; die Mannschaft war spielerisch stark, und irgendwann eilte sie wie auf Autopilot von Erfolg zu Erfolg. Eine Nationalmannschaft aber funktioniert anders. Sie kann niemals so ausbalanciert sein wie ein Vereinsteam. Flick darf sich nicht einfach einen englischen Mittelstürmer für 100 Millionen Euro bestellen, weil ihm die Neuner-Position zu dünn besetzt scheint. Auch darf er keine Außenverteidiger einkaufen, obwohl er dies wahrscheinlich liebend gern täte.

Ein Würfelspiel, kein Plan, keine Strategie 

Flick ist beim DFB daran gescheitert, sich mit der Realität zu arrangieren. Er war nie der kluge Mangelverwalter, den es gebraucht hätte für diese Mannschaft mit ihren Unwuchten. Die Probleme sind im deutschen Spiel sind seit Jahren bekannt, aber Flick hatte bis zuletzt keine Lösung dafür. Sein Plan bestand lediglich darin, das Personal durchzumischen in der Hoffnung, dass sich irgendwann eine starke Formation ergibt. Es war ein Würfelspiel, aber kein Plan, keine Strategie. Das führte zu verstörenden, geradezu verrückten Aufstellungen: Gegen Japan schickte Flick den 1,91 Meter großen und 86 Kilo schweren Innenverteidiger Nico Schlotterbeck auf die linke Außenbahn. Eine Position, die Schlotterbeck in seiner Profikarriere erst ein einziges Mal bekleidet hatte. Schlotterbeck wurde, oh Wunder, von den kleinen, säbelbeinigen Japanern schwindelig gespielt und musste sich zwei Gegentore anlasten lassen.

Die Liste der handwerklichen Fehler ist lang bei Hansi Flick, und der DFB hätte dies schon viel früher erkennen können, nämlich nach der enttäuschenden WM in Katar. Aber der Verband gab Flick im Frühjahr eine zweite Chance, im Sommer dann eine dritte, nachdem auch die auch die Partien gegen die Ukraine (3:3), Polen (0:1) und Kolumbien (0:2) missraten waren. Und jetzt Japan, 1:4. Auf eine vierte Chance darf Flick nicht hoffen, und so wird die Partie gegen Frankreich am Dienstag wohl sein Abschiedsspiel werden.