Lisa Brennan-Jobs empfängt in ihrem Schreibstudio im obersten Geschoss eines Brownstone-Gebäudes in Brooklyn, weiß getünchte Backsteinwände, schwarze Bambusdielen. Die Tür öffnet ihr Mann Bill, der schon bald wieder mit ihrem vier Monate alten Sohn im Tragegurt die Wohnung verlässt. Lisa Brennan-Jobs ist 40 Jahre alt, lange hat sie die Öffentlichkeit gemieden, hat in London und Italien im Finanzsektor gearbeitet und schreibt nun als Autorin für Magazine und Literaturjournale – auch wenn sie das als Tochter von Apple-Gründer Steve Jobs wohl nicht mehr müsste, laut dem Wirtschaftsmagazin "Forbes" hat sie mehrere Millionen geerbt.
In diesen Tagen erscheint ihr Buch "Beifang", es erzählt in literarischer Sprache die aufwühlende Geschichte ihrer Kindheit und den Kampf um die Liebe ihres 2011 verstorbenen Vaters. Sie entwirft das Porträt eines großen Kommunikators, dem im Umgang mit seiner Tochter allzu oft die richtigen Worte fehlten, eines Charmeurs, der ihr und anderen gegenüber so kalt sein konnte. Und eines Menschenfängers, von dem sie trotz seines verletzenden Verhaltens nicht loskam. Eigentlich, erzählt sie, habe sie ein anderes Buch schreiben wollen, aber sie habe ihre Geschichte aufarbeiten müssen, um den Kopf freizubekommen.

Das Buch hat in den USA schon vor dem Erscheinen große Wellen geschlagen, immer wieder wurde aus einigen Passagen solch eine Kälte und Charakterschwäche von Steve Jobs im Umgang mit seiner Tochter hineingelesen, dass die "New York Times" fragte: "Seine Tochter hat ihm verziehen – können wir es?"
Lisa Brennans Stiefmutter Laurene Powell Jobs veröffentlichte ein harsches Statement: "Lisa gehört zur Familie, deshalb lasen wir mit Traurigkeit ihr Buch, das sich dramatisch von unseren Erinnerungen an diese Zeit unterscheidet. Es zeichnet Steve nicht als den Ehemann und Vater, den wir kannten."
Und Lisa Brennan-Jobs fühlt ihr Buch missverstanden, sie macht im Gespräch immer wieder deutlich, dass sie ihre eigene Perspektive schildert. Und dass es auch eine große Freude sein konnte, mit Steve Jobs zusammen zu sein. Es ist, als ob sie fürchtete, dass von ihrem Buch nur die Geschichten der Grausamkeiten ihres Vaters übrig bleiben und dahinter die Geschichte ihres Triumphes verblasst: wie es ihr gelang, ihm zu verzeihen.
In den letzten Wochen vor dem Tod Ihres Vaters fingen Sie an, Sachen aus seinem Haus zu stehlen.
Ja, es war verrückt. Mein Vater lag, vom Krebs ausgemergelt, auf seinem Bett im ehemaligen Arbeitszimmer, ein buddhistischer Mönch wachte an seiner Seite. Manchmal bin ich durchs Haus gelaufen und habe heimlich Sachen eingesteckt. Ich stahl nichts von Wert. Zahnpasta und alte Kissenhüllen zum Beispiel. Ich spürte so ein starkes Bedürfnis in mir, es war schwer aufzuhören, es war ein Gefühl wie Durst.
Was wollten Sie mit diesen Sachen?
Ich dachte, ich brauche all diese Dinge, sie wären schön in meinem Haus in New York. Gleichzeitig wusste ich, wie verrückt das war. Ich rief meine Mutter an, sie sagte: Hör auf. Und ich legte alles wieder zurück. Es war, als wollte ich mir Teile von meinem Vater sichern. Es fühlte sich für mich so an, als würde ich Antworten finden, wenn ich einen Teil seines Besitzes nehme.
Haben Sie Antworten gefunden?
Das funktioniert so nicht. Jedes Mal, wenn ich etwas nahm, merkte ich schnell, dass es nicht funktionierte, deshalb stahl ich immer mehr, in der Hoffnung, dass es irgendwann klappen würde, vergebens.

Was ist Ihre erste Erinnerung an Ihren Vater?
Ich muss fünf Jahre alt gewesen sein. Mein Vater kam, holte meine Mutter und mich in seinem Porsche ab. Ich hatte ihn jahrelang nicht gesehen und kannte ihn eigentlich nur von Fotos in Zeitschriften. Er wollte uns sein neues Haus zeigen. Drinnen waren keine Möbel, wir liefen durch die riesigen Zimmer. In einem Raum stand eine alte Kirchenorgel, das Haus hatte einen Fahrstuhl, und ich fuhr rauf und runter. Es war ein wenig beängstigend, aber gleichzeitig schön, ich erinnere mich daran, dass er mir eine Aprikose gab, sie schmeckte sehr gut. Danach sah ich ihn jahrelang nicht wieder.
Ihre Eltern waren schon nicht mehr zusammen, als Sie im Frühjahr 1978 auf einer Farm in Oregon auf die Welt kamen. Ihr Vater besuchte Sie einige Tage später, einigte sich mit Ihrer Mutter auf Ihren Namen. Dann verschwand er wieder aus Ihrem Leben. Bis Sie zwei Jahre alt waren, da verklagte ihn der Staat auf Unterhalt.
Meine Mutter kellnerte und bezog Sozialleistungen, um uns beide irgendwie durchzubringen, es war eine harte Zeit für sie. Mein Vater verdiente schon gutes Geld, er sollte Unterhalt zahlen. Er stritt aber die Vaterschaft ab.
Er schwor sogar unter Eid, er sei unfruchtbar. Erst ein DNA-Test bewies das Gegenteil. Vier Tage nachdem er sich verpflichtet hatte, 500 Dollar Unterhalt im Monat zu zahlen, ging Apple an die Börse, und er besaß mehr als 200 Millionen Dollar. Haben Sie ihn einmal gefragt: Warum hast du mich verleugnet?
Ja. Er sagte: Vergiss es lieber. Ich sagte ihm: Ich kann das nicht vergessen. Darauf antwortete er: Es tut mir leid. Aber das war mir nicht genug. Er sagte mir nicht, warum er mir das angetan hatte. Ich kann nur selbst Erklärungen suchen. Er war so gut im Computerbusiness und so erfolgreich und so außergewöhnlich. Ihm schien damals alles zu glücken. Es muss für ihn seltsam gewesen sein, mich als Kind kennenzulernen und nicht gut darin zu sein. Er hatte keine Zeit mit Kindern verbracht, er wusste nicht, was er tun sollte. Ich glaube, dass er das später wirklich bereute.
Ihre Mutter, eine Künstlerin, war als junge Mutter überfordert.
Einmal brach sie mitten auf einer Autofahrt zusammen. Sie schrie: Dieses Leben ist beschissen! Ich will nicht mehr leben! Sie schrie lange, und immer wenn sie schrie, trat sie auf das Gaspedal. Ich erinnere mich sehr gut an diesen Moment.
Wann sahen Sie Ihren Vater wieder?
Mit acht Jahren. Er kam von nun an häufiger, es war, als wollte er ein besserer Vater sein und seinen Fehler ausmerzen. Ich sage nicht, man sollte ihm vergeben. Aber ich hatte schöne Momente mit ihm, er kam ein- oder zweimal im Monat, wir fuhren Rollschuh.

Während Ihre Mutter mit Ihnen schwanger war, arbeitete Ihr Vater an einem Computer, der später Lisa heißen sollte. Es war ein Vorläufer des Macintosh, einer der ersten Computer für den Massenmarkt mit Maus. Sie fragten sich lange, ob er den Computer nach Ihnen benannt hat. Warum war das so wichtig für Sie?
Weil es bedeutet hätte, dass er mich geliebt hätte, auch wenn er die ganze Zeit nicht da gewesen ist. Das ist natürlich eine bizarre Verknüpfung von Gefühlen mit einer Maschine. Ich habe wirklich immer gewollt, dass mein Vater diesen Computer nach mir benannt hat.
Hat er das?
Er sagte Nein. Und ich glaubte ihm. Vielleicht sagte er das ja, weil der Computer ein spektakulärer Reinfall war. Und er wollte mich nicht damit in Verbindung bringen. Oder er wollte nicht, dass ich überheblich werde. Ich weiß nicht, warum er es nicht zugegeben hat. Ich weiß nur, wie sehr es mich verletzte, wenn er es abstritt. Ich muss Bono dafür dankbar sein, dass er ihm eine andere Antwort entlockte.
Der Sänger der Band U2. Wieso?
Als ich 27 Jahre alt war, hatte mich mein Vater nach langen Jahren, in denen wir uns nicht gesehen hatten, für ein Wochenende zum Segeln im Mittelmeer eingeladen. Ich fuhr mit gemischten Gefühlen hin. Mein Vater schien sich langsam daran zu erinnern, dass wir uns gut verstehen konnten, und bat mich, länger zu bleiben. Vor der südfranzösischen Küste sagte er, er wolle einen Freund von ihm zum Mittagessen treffen. Wer dieser Freund war, wollte er nicht sagen. Wir kamen in einer Villa mit Mittelmeerblick an, sie gehörte Bono. Und wir saßen dann auf der Terrasse beim Essen, als Bono irgendwann fragte: Der Lisa-Computer wurde also nach ihr benannt? Mein Vater hielt ein wenig inne. Ich bereitete mich schon innerlich darauf vor, dass er sagen würde: Nein. Doch er sagte: Ja.
Wie fühlten Sie sich in diesem Moment?
Ich dachte nur: O mein Gott, endlich, nach all den Jahren. Ich fühlte eine neue Kraft in mir. Und ich sagte zu Bono: Danke, dass Sie gefragt haben.
Seit Ihrem neunten Lebensjahr schickte man Sie zu einem Therapeuten.
Meine Mutter und die Schwester meines Vaters, Mona Simpson, dachten, es wäre gut für mich, Stabilität und ein positives männliches Rollenmodell zu erfahren, eine stabile Beziehung zu einem netten Mann. Es war eine gute Zeit, wir sprachen natürlich viel, aber gingen auch Eis essen.

Später, als Teenager, bestellten Sie Ihren Vater in eine dieser Therapiesitzungen ein.
Ich war 14, und ich hatte so viel Nähe nachzuholen, die mir mein Vater nie gegeben hatte. Ich wohnte gerade bei ihm, und das zeigte mir, wie viel mir entgangen war. Und wie viel ich nicht bekam. Es tat mir zum Beispiel sehr weh, dass er mir nicht Gute Nacht sagte.
Warum tat er das nicht?
Er wollte es nicht. Ich weiß nicht, warum. Ich habe dann den Therapeuten darum gebeten, ihn und meine Stiefmutter einzuladen. Ich weinte und sagte: Ich bin so einsam. Könnt ihr mir nicht Gute Nacht sagen? Mein Vater schwieg. Meine Stiefmutter sagte, und das war sehr ehrlich: Wir sind einfach kalte Leute. Ich realisierte, ich werde das nicht von denen bekommen, das ist nichts, worin sie gut sind.
War Ihr Vater ein kalter Mensch?
Nein. Er war nicht kalt. Er konnte sehr leidenschaftlich sein. Mal sehr heißblütig, mal sehr kalt. All das. Aber sicherlich war ihm klar, dass er nicht seine Zeit dafür opfern würde, mir Gute Nacht zu sagen.
Hat er zu Ihnen jemals gesagt: Ich habe dich lieb?
Ja, aber er war nicht der Vater, der Zuneigung gut zeigen konnte.
Als Sie einmal auf Klassenfahrt in Japan sind, steht er plötzlich vor Ihnen. Sie schreiben: "Ich hatte Angst vor ihm und fühlte gleichzeitig überwältigende Liebe."
Ich war 16, und er war immer noch eine mir so entfernte Person, jemand, der mir so ähnlich und doch so anders ist. Jetzt aber war er da, und es war wunderbar, dass er extra zu mir gekommen war und einen Nachmittag mit mir verbrachte.
Haben Sie in diesem Moment gedacht, Sie würden endlich zusammenfinden?
Ich habe das immer gedacht. Aber immer wenn er mir nah gewesen war, tauchte er kurze Zeit später ab. Es war, als ob er mit der Situation nie klarkäme. Und ich hoffte immer: Jetzt wird es perfekt.
Sie schreiben: "Für ihn war ich ein Makel in seiner spektakulären Karriere, passte nicht in die Geschichte von Größe und Tugend, die er sich wünschte. Meine Existenz ruinierte seine Bilanz."
Ich versuche, mir zu erklären, warum es ihm so schwerfiel, kontinuierlich gut zu mir zu sein. Warum er immer wieder sagte, ich sei nicht sein Kind. Ich dachte, wenn er mich nicht gehabt hätte, würde sein Leben perfekt aussehen. Ich ließ ihn schlecht aussehen. Weil er sich nicht um mich gekümmert hatte, als ich jünger war. Er war so unglaublich gut und erfolgreich, und es war ein seltsames Gefühl, die Person, die man liebt, zu sehen und zu realisieren: Du lässt ihn schlecht aussehen. Das habe ich internalisiert: Ich bin so klein, so hässlich, ich bin nicht blond, nicht klug genug. Das muss der Grund sein, warum er nichts mit mir zu tun haben will.

Sie waren Teenager, als Ihr Vater heiratete und drei weitere Kinder bekam. Waren Sie eifersüchtig auf Ihre Geschwister und darauf, dass sie mehr Zeit mit Ihrem Vater verbringen konnten?
Er hat viel gearbeitet, ich weiß nicht, ob er wirklich mit ihnen so viel mehr Zeit verbracht hat. Aber sie waren seine legitimen Kinder. Er wollte sie. Ich war der Fehler. Ich fühlte mich immer so, als müsste ich kämpfen, als würde ich draußen sitzen und von dort zusehen.
Einmal ließ Ihr Vater einen Fotografen ins Haus kommen.
O ja. Nach ein paar Fotos der Familie sagte mein Vater: Lisa, geh bitte mal aus dem Bild. Das tat mir sehr weh. Ich wollte doch so sehr den Beweis, dass ich gewünscht war.
Stattdessen mussten Sie auf der Apple-Homepage lesen, Ihr Vater habe drei Kinder. Warum leugnete er Sie schon wieder?
Ich rief ihn an. Er sagte, ich sei einfach schwierig in den Satz einzufügen gewesen. Darin hieß es: "... lebt mit seinen drei Kindern ..." Ich dachte: Wenn das daran liegt, dann schicke ich dir ein paar Sätze, in denen ich vorkomme. Es tat so weh.
Es gibt Momente in Ihrem Buch, da ist Ihr Vater gut zu Ihnen, und andere …
... in denen er schrecklich ist.
Er lässt die Heizung in Ihrem Zimmer nicht reparieren, obwohl Sie ihm sagen, dass Ihnen kalt ist. Er zahlt plötzlich nicht mehr, obwohl er das versprochen hat. Einmal beschimpft er Ihre Cousine Sarah, weil sie im Restaurant einen Hamburger bestellt ...
Ich wusste sofort, dass etwas passieren würde. Er missbilligte Fleisch, das hatte nichts mit Tierschutz zu tun, sondern mit seiner Vorstellung von Ästhetik. Er fuhr sie an: 'Ist dir eigentlich klar, wie schrecklich deine Stimme ist? Du kannst ja nicht mal richtig reden. Du kannst ja nicht mal richtig essen. Du isst Dreck.' Sarah fing an zu weinen. Ich war schockiert, aber auch froh, wenigstens hatte er mich nicht angegriffen. Aber es gab auch andere Zeiten, da war er großartig, er war eine komplizierte Person. In gewissem Maß waren wir alle bereit, ihm sein Verhalten, die Art, wie er andere Menschen attackierte, nachzusehen, weil er so brillant war und manchmal zugewandt und einfühlsam sein konnte.

Manchmal fasste er in Ihrer Gegenwart seinen Freundinnen an die Brust, rieb sich an ihnen und stöhnte.
Einmal tat er das mit meiner Stiefmutter, ich fand es schrecklich und wollte den Raum verlassen. Er sagte: Lis, wir haben einen Familienmoment, bleib hier. Es war unangenehm und peinlich, nicht übergriffig. Ich weiß nicht, warum er das tat. Vielleicht, weil er so unsicher war und nicht wusste, wie man mit Kindern umgeht.
Am Ende seines Lebens entschuldigte sich Ihr Vater.
Er saß auf seinem Sterbebett, seine Beine dünn wie Stricknadeln. Er sagte immer wieder: Du hast etwas gut bei mir. Was für eine seltsame Aussage. Er sagte: Ich habe nicht genug Zeit mit dir verbracht, es tut mir so leid. Wir haben keine Zeit mehr, es ist zu spät. Ich dachte, es muss schrecklich sein, wenn du das auf deinem Sterbebett realisierst. Ich fragte mich, ob er das auch noch sagen würde, wenn er plötzlich seine Gesundheit wiederbekommen würde. Ich dachte, es ist so spät. Wir hätten Freunde sein können, aber nun ist es so spät.
Fühlten Sie sich nicht erlöst?
Ich dachte nur: Das ist seltsam, wie im Film. Ich wusste in dem Moment nichts damit anzufangen. Wie er so dalag, dem Tod nah, ausgemergelt, konnte ich schlecht sagen: Warum hast du das nicht früher gesagt? Ich habe ihm stattdessen geantwortet: Okay.
Danach gingen Sie in den Garten, ein Mädchen fragte Ihre damals zwölfjährige Halbschwester, wer Sie seien. Sie antwortete: Sie war Daddys Fehler.
Das stimmt ja irgendwie auch.