Deutschland beim ESC Ein bisschen Hoffnung – so schlagen sich "Lord of the Lost" in Liverpool

Lord of the Lost
"Lord of the Lost" bei der Generalprobe des ESC in Liverpool.
© Martin Meissner/AP / DPA
Bitte nicht mehr Letzter: "Lord of the Lost" sind die deutsche Hoffnung beim Eurovision Song Contest in Liverpool. Dort sorgt die Glamrockband bei Fans für Begeisterung. Doch die Punktemission stottert.

"Germany gets 41 points from the public", verkündet ESC-Moderatorin Hannah Waddingham in der Liverpool-Arena. Endlich Punkte. Deutschland geht nicht leer aus und landet damit nicht wie in den Vorjahren auf einem der letzten Plätze. Doch das Ergebnis, das Fans und ESC-Deutschland zumindest ein bisschen aufatmen lassen würde, hat einen Schönheitsfehler: Die Halle an den Docks von Liverpool, in denen in diesem Jahr der 67. Eurovision Song Contest ausgetragen wird, ist fast leer. Es ist Freitagnachmittag, die verlesenen Punkte Teil der ersten von insgesamt drei Probedurchläufen für das große Finale am Samstagabend. Und reine Fantasie.

Lord of the Lost (kurz LotL) heißt die Band, die nach dem katastrophalen Abschneiden in den Vorjahren endlich Erlösung bringen soll. Auf schmale 33 Punkte hat es Deutschland seit 2019 in den Finals des ESC gebracht. So schlecht wie kein anderer Finalteilnehmer. Die Lovely-Lena-Jahre, sie scheinen Lichtjahre weit entfernt. Da kommen die schillernden Rocker aus St. Pauli gerade recht, um ESC-Deutschland zu retten. Seit einer Woche sind Frontmann Chris Harms und seine Bandmitglieder Klaas Helmecke, Gerrit Heinemann, Niklas Kahl und Pi, die am 3. März den deutschen Vorentscheid gewonnen hatten und sich gegen Ballermannsänger Ikke Hüftgold durchsetzen, in Liverpool. Doch ihre Punktemission stottert.

Dabei waren Lord of the Lost noch am Dienstag auf Kurs. Im strömenden Liverpooler Regen hatte sich bereits um 6.24 Uhr der erste Fan in die Warteschlange am weltberühmten Cavern Club eingereiht. Als sich um 10 Uhr die Türen zum Kellergewölbe, in dem schon die Beatles spielten, öffnen, sind es über 300, die wegen Lord of the Lost gekommen sind. Die Band gibt an diesem Vormittag einen Gig, spielt sechs Songs aus ihrem neuen Album und natürlich auch ihren ESC-Beitrag "Blood and Glitter". Es gibt Beifall, Jubel und das Urteil der ESC-Fans fällt einmütig aus: großartige Sänger, dufte Typen, ein guter deutscher Beitrag. Das Resümee gleicht einem kleinen Wunder.

Zwischen Lord of the Lost und dem ESC matched es

Denn selbst die nicht erfolgsverwöhnten deutschen ESC-Anhänger haderten zunächst mit der Band, mit ihren Outfits und vor allem mit ihrer Musik. Denn die meisten Fans zählen auf die Frage nach ihrer Lieblingsmusik vieles auf, doch ganz bestimmt nichts, was Metal-Rock gleichkommt. Mary Roos und Abba statt Hardrock Hallelujah. Die Rocker aus Hamburg kämen freiwillig jedenfalls nicht auf die Playlist. Doch aus dem kritischen Abtasten ist längst ein Flirt geworden. Chris Harms und seine Sänger erobern ESC-Herzen.

"Wir sind hier wahnsinnig warmherzig aufgenommen worden", sagt der 43-jährige Frontmann dem stern. Die vergangenen Wochen seien wie eine Achterbahnfahrt gewesen – aber eine, die immer nur nach oben gegangen sei. Er und seine Kollegen seien von der Eurovisionscommunity trotz anfänglicher Vorbehalte so akzeptiert worden, wie sie sind. "Eine großartige Erfahrung", schwärmt der ehemalige Waldorfschüler und lobt die Diversität des Wettbewerbs. Dass es zwischen der Band und den Fans matched, liegt auch an der Haltung der Rocker, die für Toleranz, Vielfalt und Weltoffenheit stehen. Werte, die der ESC wie kein anderer Wettbewerb verkörpert: "Blood and Glitter" – und manchmal eben mehr Glitzer.

Doch wenn "Lord of the Lost" am Samstagabend in ihren roten Lack- und Lederkostümen und mit dunkel geschminkten Augen auf der Liverpooler Bühne stehen, sind sie die harten Rocker und müssen um Punkte bangen. Seit Lordi mit ihrem Sieg 2006 Rock beim ESC salonfähig gemacht haben, hat es viele Nachahmer gegeben. Lotl legen wert darauf, stets ihren eigenen Stil kreiert zu haben und keine Kopie zu sein. Stimmlich müssen die Band und Deutschland keine Angst vor einer Blamage haben  – auch das war in den Vorjahren anders. Harms tiefe Stimme braucht kein Autotune. Auch das Bühnenbild mit viel Pyrotechnik passt. Die bombastische Inszenierung ist genau Harms' Ding. Doch reicht das, um bei Jurys und Zuschauern zu reüssieren?

Hoffen auf die Anrufer

Bei den englischen Buchmachern, die in den vergangenen Jahren das Ergebnis mit ziemlicher Genauigkeit vorhersagten, werden Lord of the Lost inzwischen nach hinten durchgereicht. Auf Platz 18 wird Deutschland gewettet – noch hinter dem belanglosen Gute-Laune-Söngchen aus Polen. Das wäre zwar ein besseres Ergebnis als in den Vorjahren, aber weit davon entfernt, endlich wieder einen der guten Positionen auf der linken Seite der Tabellenhälfte zu erreichen.

Doch es gibt Hoffnung. Beim Televote könnten die Hamburger Rocker deutlich besser abschneiden als bei den Jurys. Die Buchmacher jedenfalls sagen bei den Zuschauern einen sensationellen 7. Platz voraus. Wenn Moderatorin Hannah Waddingham am Samstagabend die echten Punkte für Deutschland vorliest, könnten es also weit mehr als die fiktiven 41 aus der Probe sein.

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