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Berlinale-Tagebuch Das Berlinale-Erschöpfungssyndrom

Nach einer Woche Berlinale sind die Akkus fast leer. Das Festival plätschert vor sich hin, und auch die Filme können einen nicht wirklich vom Hocker reißen. Das gilt insbesondere für den zweiten deutschen Wettbewerbsbeitrag.
Von Bernd Teichmann

Wieder einiges gelernt heute: "Ich bin noch feucht hinter den Ohren" (Jury-Mitglied Gael Garcia Bernal). "Als Regisseur fühle ich mich wesentlich mehr ich selbst" (Antonio Banderas). "Das war eklig, obwohl wir nur mit 'nem Plastikdildo gearbeitet haben" (Marianne Faithfull über ihren befriedigenden Job als "Irina Palm"). Weitere Erkenntnisse: Sharon Stone braucht sich bei der Cinema for Peace-Gala nur ein paar Sekunden auf dem Klavier zu räkeln, an dem Richard Gere sitzt, und die Tagespresse tickt aus, als wäre die obere Etage des Hauptbahnhofs abgesackt. Und: Der hiesige Zoo freut sich über Eisbären-Nachwuchs, was die mysteriösen "Welcome Knut"-Grüße auf zahlreichen Betonflächen am Potsdamer Platz erklärt.

Nur Vermutungen hingegen sind, dass knapp ein Drittel der kinokomatösen Festivalinsassen den Valentinstag vergessen und die Auswahlkommission um Patron Dieter Kosslick beim Sichten der Competition-Kandidaten ab und zu verbotene Substanzen konsumiert hat. Anders lässt es sich jedenfalls nicht erklären, dass eine Blut- und Boden-Oper wie "300" - wenn auch außer Konkurrenz - im Wettbewerb läuft. Das bewährte Star-Glamour-Argument kann nicht der Grund gewesen sein. Oder haben nicht Eingeweihte schon mal was von Gerard Butler, Lena Headey oder David Wenham gehört? Worum es geht, passt auf einen Bierdeckel: Halbnackte Herren, die alle direkt vom Casting für die Chippendales zu kommen scheinen, gröhlen und metzeln und gröhlen und metzeln und gröhlen und metzeln sich durch die Antike.

Subtil wie ein Vorschlaghammer

Basierend auf der Graphic Novel des anerkannten Genre-Meisters Frank Miller ("Die Rückkehr des dunklen Ritters", "Sin City"), schildert Regisseur Zack Snyder ("Dawn of the Dead") mit viel optischem und tricktechnischem Zinnober die Schlacht bei den Thermopylen anno 480 v. Chr., bei sich Spartas König Leonidas (Butler) mit nur 300 Kämpfern der gigantischen persischen Streitmacht entgegenstellte. Ein David-gegen-Goliath-Szenario, das letztlich ganz Griechenland einte und somit der ersten Demokratie den Weg bereitete. Subtil wie ein Vorschlaghammer und ästhetisch zwischen Leni Riefenstahl, Rammstein-Video und Live-Wrestling oszillierend - da muss man sich schon sehr auf die Zunge beißen, um nicht von einer faschistoiden Kleinjungen-Phantasie zu sprechen.

Snyder sieht das hingegen eher künstlerisch-sportlich. Er ärgerte sich bislang stets, dass bei Filmen dann ausgeblendet wird, wenn's in Sachen Sex und Gewalt richtig zu Sache geht. "Ich will immer das kleine bisschen mehr, das ich sonst nicht bekomme, und die Schraube etwas weiterdrehen. Die Leute sollen sagen: 'Nein, ist nicht wahr, die bringen das tatsächlich!'" Na denn...

Israelis im Libanon

Weit entfernt von derartigem Bilderbuch-Heldentum ist indes der Wettbewerber "Beaufort" über die letzte israelische Militäreinheit, die im Jahre 2000 vor dem Abzug aus dem Libanon im Süden stationiert war. Schauplatz des Geschehens ist die legendäre, titelgebende Festung - der gefährlichste Stützpunkt der ganzen Gegend. Ständig detonieren hier die Raketen des unsichtbaren Feindes, der Hisbollah, und für die Soldaten zählt nur, den Tag zu überleben, die Angst vor dem Tod zu kanalisieren und in der bedrückenden Isolation nicht verrückt zu werden. Als schließlich der Befehl zum Abrücken kommt und die Truppe ihren verlassenen Posten in die Luft jagt, kommt das einem rituellen Befreiungsschlag gleich. Durchatmen dann nach zwei Stunden auch für die Zuschauer, die sicherlich zufriedener den Saal verlassen hätten, wenn Regisseur Joseph Cedar seine Geschichte etwas dichter und knapper erzählt hätte.

Das wiederum beherrscht ja sein deutscher Kollege Christian Petzold ganz gut, der mit dem zweiten Beitrag aus diesen Landen ins Bären-Rennen geht. Aber auch mit "Yella" gelingt es ihm nicht, den Vorwurf vieler zu entkräften, dass seine Filme immer ein wenig zu akademisch und distanziert daherkommen. Unterkühlt war denn auch die Reaktion des Publikums auf die Erlebnisse der von Nina Hoss konzentriert und minimalistisch verkörperten Titelheldin, die ihren Job und ihre zerrüttete Ehe im Osten hinter sich lässt, um im vermeintlich blühenden Westen Deutschlands ihr Glück zu suchen. Details über die Handlung seien hier fairerweise wegen des Twists am Ende verschwiegen, nur soviel: Man kann sich darüber streiten, ob dieser nun notwendig gewesen wäre oder nicht. Nicht aber darüber, dass einen das Ganze relativ unberührt zurücklässt.

"Good evening"

Weitere Erkenntnis nach diesem Festivaltag: Die Berlinale plätschert weiter gemütlich vor sich hin, und es beschleicht einen der Verdacht, dass es die Jury verdammt schwer haben wird, etwas preiswürdiges zu finden. Zumal die Akkus nach sieben Tagen auch langsam Richtung Reserve gehen. Gael Garcia Bernal etwa war bei seinem vorgestrigen Auftritt auf dem Talent Campus derart durch den Wind, dass er sein Publikum um elf Uhr morgens mit "good evening" begrüßte.

Klarer Fall von Berlinale-Erschöpfungssyndrom. "Oh, sorry", rechtfertigte er sich charmant, "aber ich sehe gerade drei Filme am Tag, da kommt man schon mal durcheinander." Das wiederum, mein Lieber, ist für uns keine neue Erkenntnis.

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