Zuerst war sie beim Totengräber, danach bei einer öffentlichen Hinrichtung. Nun steht sie endlich vor dem Sheriff dieses staubigen Nests. Ich würde gerne jemanden anheuern, der den feigen Mörder meines Vaters fängt, sagt sie. Ob sie sich denn auskenne mit Kopfgeldjägern, will der Sheriff wissen. Was für eine dumme Frage: Ich bin 14!
Der mittlere Wilde Westen, Arkansas um 1870. Eine Männerwelt, in der Frauen entweder den Herd warm halten oder die Röcke heben im Saloon. Doch die blutjunge Mattie hat eine andere Agenda: Vergeltung. Für den Tod ihres alten Herrn, der lediglich bei einem Pokerstreit schlichten wollte. Mit ein paar Dollar und noch mehr Überredungskunst heuert sie schließlich einen schießwütigen, raubeinigen US Marshal an. Augenklappe, Whiskey-Atem. Die Hetzjagd, die sie mitten im Winter ins gesetzeslose Indianerterritorium führen wird, kann los gehen.
Ein Mädchen, starrköpfig und altklug
So beginnt "True Grit". So beginnt ein geradliniger, fast archaischer Spätwestern, der schon allein durch seine Besetzung schillert wie ein frisch polierter Flintenlauf. Jeff Bridges, Oscarpreisträger, als aufgedunsener Marshal. Matt Damon, Oscarpreisträger, als sein selbstverliebter Partner. Josh Brolin, Oscarnominierter, als flüchtiger Verbrecher. Doch der eigentliche Held der erstaunlichen Pferde-Oper ist eine Heldin: Hailee Steinfeld als Mattie. Ein Mädchen, starrköpfig und altklug, das mit buschigen Augenbrauen, Pfirsichwangen und zwei dicken Zöpfen unter einem viel zu großen Stetson die wilden Kerle in Grund und Boden galoppiert. Und deren Zunge schärfer schießt als jeder Trommelrevolver. Gerade habe ich noch überlegt, ob ich dich trotz deines Alters nicht mal küssen sollte, sagt der genervte Matt Damon an einer Stelle im Film. Aber jetzt würde ich dich doch lieber übers Knie legen. Darauf Mattie: Beides wäre mir gleichermaßen unangenehm.
Dass die Newcomerin Steinfeld tatsächlich die weibliche Hauptrolle im neuen Film von Joel und Ethan Coen ergattern würde, war noch vor knapp einem Jahr so unwahrscheinlich, als würden sich Winnetou und Old Shatterhand als schwules Paar outen. Eine der üblichen Casting-Agenturen klapperte im Auftrag der Regiebrüder sämtliche Südstaaten ab und ließ vor allem Western- und Rodeo-Reiterinnen vorsprechen und jede Menge erfahrener Kinderdarsteller. Insgesamt mehr als 5000 Mädchen, darunter auch bekanntere Namen wie Dakota Fanning.
Erst kurz vor Drehbeginn wurde man fündig, ausgerechnet im Hinterhof von Hollywood: Hailee aus Tarzana im San Fernando Valley. Eine brünette, zappelige 13-Jährige, die Mutter Innenausstatterin, der Vater Fitnesstrainer, mit jüdisch-phillippinisch-afrikanischen Wurzeln. Die in ihrer Kindheit je nach Lust und Laune mal dies ausprobierte, mal jenes. Basketball, Tennis, Tanzen: Nichts konnte sie länger fesseln. Bis sie mit einer Freundin hinter die Bühne eines Schultheaterstückes durfte und Blut leckte. Mit Acht machte sie ihren ersten Schauspielkurs, mit Neun hatte sie einen eigenen Agenten, doch wie bei so vielen ambitionierten Jungschauspielerinnen, die im Großraum Los Angeles vom großen Durchbruch träumen, passierte dann erstmal: ziemlich wenig. Ein paar Kurzfilme für Studenten der örtlichen Filmhochschule, Gastauftritte in einer längst vergessenen TV-Serie und einer Sitcom, und viel Werbung, unter anderem für die Glitzerjeans einer Discount-Ladenkette.
Den Ausschlag gab Hailees Sprachfertigkeit
"Stimmt schon, das alles ist ziemlich verrückt", sagt Steinfeld, zieht ihre schmalen Schultern hoch und kiekst wie ein Kleinkind, das gerade ein Pony zum Geburtstag bekommen hat. "Ich bin immer noch völlig überwältigt von dem, was mir in den letzten Monaten widerfahren ist." Okay, sie wäre perfekt vorbereitet zum Casting erschienen, hatte den zugrunde liegenden Roman von Charles Portis gelesen, den alten "True Grit" von 1969 gesehen, für den der schon recht hüftsteife John Wayne seinen überfälligen Oscar erhalten hatte. "Und meine Mutter nähte mir aus Sackleinen von der Heilsarmee ein Kleid wie aus dem 19. Jahrhundert. Damit die beim Vorsprechen gleich sahen, dass ich es ernst meine."
Den Ausschlag gab aber letztlich nicht die Kostümierung, sondern Hailees Sprachfertigkeit. Sie war mit die Einzige, die auf Anhieb, den blumig-altmodischen Stil der Originaldialoge meistern konnte. "Wir waren unsicher, ob da draußen überhaupt eine 13-Jährige existiert, die so etwas spielen kann", erinnert sich Joel Coen. Und Jeff Bridges ergänzt: "Das wäre sogar hart für eine erfahrene Schauspielerin, aber Hailee hatte diesen eigenartigen Arkansas-Dialekt von Anfang an im Griff."
Und so nahm es seinen Lauf, das Hollywood-Märchen der Hailee Steinfeld. Sie lernte Westernreiten, übte mit einem befreundeten Polizisten das Schießen und Jeff Bridges brachte ihr bei, wie man ordentlich eine Zigarette rollt. Nur wenige Wochen nach der überraschenden Zusage schwamm Hailee bereits in New Mexico auf dem Rücken eines Pferdes durch einen eisigen Fluss und kämpfte in einer Felsspalte gegen Klapperschlangen. "Ehrlich gesagt", sagt sie und gluckst wieder, "ich wollte auch wegen des Glamours nach Hollywood. Und dann schmieren sie mir bei meinem Debüt als erstes Dreck ins Gesicht."
Fünf Dollar für jedes Fuck
Dafür muss sie nun nie wieder Werbespots drehen für billige Hosen. Seit der umjubelten Premiere des Films in New York - Steinfeld, sichtlich mitgenommen: "Ich habe mein Gesicht noch nie so groß gesehen" - hat der Film allein in den USA über 150 Millionen Dollar eingespielt, und auch in Deutschland wollten den Film gleich am Startwochenende mehr als 200.000 Zuschauer sehen. Kritiker vergleichen sie mit Ali McGraw, Brooke Shields oder mit der ähnlich furchtlosen Natalie Portman in "Leon - Der Profi". Dann wurde "True Grit" mit zehn Oscar-Nominierungen überhäuft, darunter, logisch, auch eine für Steinfeld als bester Nebendarstellerin. Die Unbekannte aus Tarzana war über Nacht zum It-Girl geworden. Daran änderte auch die Oscar-Nacht wenig, in der "True Grit" überraschenderweise leer ausging.
"Ich habe von Jeff und den Jungs enorm viel übers Filmemachen gelernt", sagt Steinfeld und dreht an ihrem kleinen Glitzer-Ring, der aussieht als stamme er aus einem Kaugummi-Automaten. "Aber der beste Rat war: Nimm das alles, den Job und den Rummel, nicht zu ernst". Womit sie allerdings überhaupt keinen Spaß verstand: Dem andauernden Gefluche der harten Männer während der Dreharbeiten. Also stellte sie eine Art Schimpf-Schüssel auf. Fünf Dollar für jedes Fuck, einen Dollar für Shit und andere wüste Wörter. Eine Disziplinarmaßnahme, an die sich Josh Brolin nur ungern erinnert: "Damit hat sie wohl mehr Geld verdient als mit dem Film. Aber nur so konnte sie uns im Zaum gehalten. Manchmal hatte ich den Eindruck: Eigentlich ist sie die einzige Erwachsene am Set."