August Diehl, was sind Ihre Ideale?
Ein Ziel zu haben und Idealismus zu besitzen machen einen glücklich und lassen einen zumindest weiterleben. Aber nach Idealen lässt es sich nicht leben. Deswegen habe ich auch ein bisschen Schiss vor ihnen. Ein alltäglicher, normaler, toleranter Umgang mit Menschen ist auch schon ein Ideal. Ein anderes Ideal für mich ist zum Beispiel: Neugierde zu bewahren auf alles, bis ich sechzig bin. Aber leider gibt es jetzt schon Dinge, die mich langweilen.
Zum Beispiel?
Jetzt widerspreche ich mir bestimmt total, aber Menschen langweilen mich oft. Ich bin ungern mit Leuten zusammen, die mir nichts geben, mich nicht berühren. Das finde ich nicht richtig, denn ich glaube, die könnten mir was geben, aber es ist ein unglaublicher Kampf für mich, solange dranzubleiben.
Der Widerspruch wäre, dass es zu einem offenen, toleranten Umgang mit Menschen gehört, sich möglichst lange jeder festen Position ihnen gegenüber zu verschließen.
Das ist ja das, wogegen ich mich dauernd wehre, auch gegenüber der Presse. Ich möchte in keine Schubladen gesteckt werden und möchte das auch nicht tun. Das Beleidigendste gegenüber jemandem ist doch, so zu tun, als ob man ihn kennen würde.
Andererseits berühren Menschen einen doch, indem sie Position beziehen, als Person erkennbar werden.
Das stimmt. Aber eine Position ist eben auch ein Interesse und eine Neugier an den Menschen und Dingen. In dem Moment, wo der eine immer sagt: Das ist so und so! und der andere sagt: Völlig richtig, ich bin absolut deiner Meinung!, ist das Gespräch beendet…
Das Interview
August Diehl wurde 1976 in Berlin geboren, wo er auch die Schauspielschule Ernst Busch besuchte. Das Interview gab der Schauspieler dem Magazin U_mag.
Zurück zu Ihren Idealen…
Ich sauge mir da auch gerade was aus den Fingern. Meine absolut heiligen Ideale sind natürlich auch nichts für ein Interview…
Weil sie heilig sind, also Gott gehören?
Ja, genau. (lacht)
Vorhin sprachen Sie davon, dass Menschen Sie oft langweilen. Was finden Sie an Menschen spannend?
Ich finde halt spannend, wenn sich jemand inkorrekt verhält - alles, was Sand im Getriebe ist, etwas aufhält und stocken lässt. Also kann auch jemand oder etwas, das einen nicht weiterbringt, etwas sehr Spannendes sein. Filme, Theaterstücke, Bücher können den Alltag völlig durcheinanderbringen. Immer, wenn mir etwas gefällt, hat es damit zu tun, dass es eigentlich auch etwas Unangenehmes ist.
Das eine raut auf, das andere deckt zu.
Was schön ist und beruhigt, bestätigt mich in dem, wie ich bin, und das will ich eigentlich nicht. Oberflächlich natürlich dauernd. (lacht)
Ist es ein Ideal, sich selbst an die Grenzen seiner Möglichkeiten zu führen, um dann diese Grenzen zu erweitern?
Sich zu entwickeln, genau. Manchmal merkt man gar nicht, wenn das passiert. Letztes Jahr war ich drei Wochen in Klagenfurt, wo ich überhaupt nicht sein wollte. Abgesehen vom Spielen empfand ich das als eine unglaublich langweilige Zeit. Im Nachhinein habe ich bemerkt, wie wichtig sie für mich war.
Wie lässt es sich heute mit einem wachen Blick und Gewissen leben? Wie kann man sich in der Welt positionieren, ohne an ihr zu zerbrechen?
Das ist auch eine Frage, die mich momentan sehr beschäftigt. Wir sind ja eine Generation, in der sich viele Nachrichten zu viel zu vielen Nachrichten entwickelt haben. Man muss sich eigentlich dazu zwingen, dass einen gewisse Sachen nicht interessieren dürfen. Wenn ich nur ein bisschen darüber nachdenken würde, was es für mich als Mensch heißt, in so einer Welt zu leben, bekäme ich über Nacht graue Haare. Das Einzige, was ich sicher weiß, ist, dass jeder künstlerische Beruf auch etwas bewirkt und dass es ohne das gar nicht mehr geht. Man kann nicht unbedingt die Welt verbessern, aber man kann sie aufwühlen, anders zu denken.
Das wäre dann Menschenverbesserung.
Ich glaube, es gibt gar keine andere.
Es braucht eine Schulung der Gefühle.
Gedankenschulung. In Phasen, in denen ich viel fernsehe, bin ich so was von unkonzentriert, weil ständig Bilder und Sachen in mir sind, die ich nicht geordnet habe. Filmschnipsel, echte Nachrichten, eine U-Boot-Sendung…
Wie ein anstrengender Traum?
Ja, und ich weiß nicht, wie ich mich dazu verhalten soll. Fernsehen macht so passiv. Als würde man intravenös ernährt. Man ernährt sich, aber kriegt es eigentlich gar nicht mit.
Oder wie die Manie, 400.000 Songs im iPod mit sich zu schleppen, die man niemals ausschöpft.
Es ist aber auch klasse, dass wir in so einer Welt leben, in der das alles da ist. Aber es ist echt eine neue Herausforderung, sich selber auch ein System zu geben, sich zu sagen: Das picke ich mir raus. Das Tolle am iPod ist ja, dass das, was ich hören will, plötzlich sehr individuell wird. Eine Idee, wonach man suchen will, entsteht irgendwo, meistens gar nicht am Computer, und man muss sich durchwühlen, bis man dahin kommt, wo man hin will. Auch das Internet provoziert im Gegensatz zum Fernsehen aktivere Vorgänge. Das Fernsehen schaltet man ein und weiß oft gar nicht, was man da eigentlich sucht. Die Idee, was man vom Internet haben möchte, entsteht oft ja ganz woanders, nicht am Computer. Durch den muss man sich dann durchwühlen, bis man da ist, wo man hin will.
Da sind dann wieder die alten Tugenden gefragt: Neugier und Standhaftigkeit. Ist das Gefühl der Überforderung nur eine Kinderkrankheit der neuen medialen Wirklichkeit?
Vielleicht. Die Menschheit war an vielen Punkten ihrer Geschichte erst mal überfordert von neuen Erfindungen.
Apropos Wirklichkeit: Die wichtigsten Gradmesser des deutschen Seelenzustandes scheinen Konsumverhalten und Arbeitslosenquote zu sein. Wie wichtig sind Ihnen Geld und Arbeit?
Geld ist mir eigentlich nur wichtig, wenn ich es nicht hab. Und bei meiner Arbeit denke ich nur ungern an das Geld, das ich damit verdiene. Ich habe manchmal fast ein schlechtes Gewissen, wenn ich mit meiner Arbeit was verdiene, weil sie mir so viel Spaß macht.
Sind Sie ein Spaßjunkie?
Ja.
Ihr Showreel auf der Homepage Ihrer Agentur endet damit, dass Sie sich eine Pistole an den Kopf halten. Ist das eine Art zu zeigen, wie abhängig Sie von Ihrer Arbeit sind?
Ist das so? Wusste ich gar nicht. Nein, das kann man verstehen, wie man will. Das ist einfach eine Filmszene und hat mit mir nichts zu.
Arbeit ist auch nicht alles?
Stimmt. (lacht)
Und wofür lohnt es sich zu sterben?
Für ein Ideal.
Für eins von denen, die Sie verschweigen?
Vielleicht lohnt es sich gar nicht zu sterben. Das ist eine Frage, zu der mir dummerweise mehr Fragen als Antworten einfallen.
Herr Diehl, das Interview ist gleich zu Ende. Wenn Sie was fragen möchten, tun sie es jetzt!
Wozu lohnt es sich zu sterben?
Spontan muss ich sagen: für die Liebe.
Ja, vielleicht. Aber warum denn sterben?
Aus Egoismus.
Siehste. Ist 'ne schwierige Frage. Ich glaube, um die ehrlich zu beantworten, müsste man wissen, was der Tod ist. Und weil wir das nicht wissen, können wir nicht sagen, wofür es sich zu sterben lohnt.