Gleich zu Beginn eine grundsätzliche Frage zum bereits heftig diskutierten Film "Zero Dark Thirty": Was macht ein ganz realer Terrorist 20 Monate nach seinem ganz realen, gewaltsamen Tod eigentlich im Kino?
In der anlässlich des Filmstarts in den USA ausgebrochenen Debatte geht es um Folter (wird im Film ausführlich gezeigt) und Geheimnisverrat (Regisseurin Kathryn Bigelow und Autor Mark Boal hatten angeblich Zugang zu geheimen Dokumenten), nicht aber um Beweggründe. Als sei es das Normalste der Welt, bei Popcorn und Cola das zu sehen, was die Nachrichten zwar vermeldet, aber im Bild ausgelassen haben: wie das Seal Team Six am 2. Mai 2011 eine Wohnanlage im pakistanischen Abbottabad stürmt und Al-Qaida-Chef Osama bin Laden tötet. Aber diesmal eben mit schöner Heldin und guter Ausleuchtung.
Ein Actionthriller mit gewissem Ausgang? Ein Propagandafilm zum Stillen der nationalen Rachegelüste? Eine politische Abrechnung? Eine passable Antwort gibt praktischerweise das Medium selbst: Der Kampf des Westens gegen den islamistischen Terror, wie wir ihn seit dem 11. September 2011 kennen, ist auch eine Schlacht der Bilder. Und welcher Ort, wenn nicht das Kino, wäre geeigneter, um ihn auszutragen.
Gegen das Trauma der stürzenden Türme
Am Anfang steht das Ur-Trauma: Die einstürzenden Türme des World Trade Centers sind die einschüchterndste Ikone des Terrors, der die Vormachtstellung der USA und des ganzen Westens seit den Anschlägen vom 11. September zutiefst verunsichert hat. Seitdem wird nach einem Bild gesucht, das diese Terrorikone ersetzen und vor allem umdeuten kann. Bisherige Versuche wie das feierliche Herunterreißen der Saddam--Hussein-Statue im eingenommenen Bagdad im April 2003 oder auch Hussein selbst, der am 13. Dezember 2003 von US-Soldaten aus einem Erdloch gezogen wird, sind gescheitert. Zu schwach.
Aber dann wurde bin Laden - vermeintliches Oberhaupt und Befehlshaber eines weltumspannenden Terrornetzwerkes namens al Qaida, das für die Anschläge vom 11. September verantwortlich zeichnet - gefunden und getötet, und plötzlich tauchte ein Bild auf, das in Kraft und Aussage endlich etwas zu bieten hatte: die angespannten und verschreckten Gesichter des US-Präsidenten Barack Obama und Außenministerin Hillary Clinton, die im Situation Room des Weißen Hauses live dabei zusehen, wie das Anwesen in Abbottabad gestürmt wird.
Der Betrachter sieht nichts von dem, was Anspannung und Schrecken auslöst. Nur dessen Spiegelung. Es ist ein Nichtbild, aber umso stärker, weil es das Kopfkino jedes einzelnen anwirft. Die blanke Zerstörungskraft der einbrechenden Türme wird durch die Menschlichkeit der Reaktionen ersetzt, Menschlichkeit in Kombination mit unbedingtem Tötungswillen. Genau das hat Oscar-Gewinnerin Kathryn Bigelow ("The Hurtlocker - Tödliches Kommando") mit "Zero Dark Thirty" (was übrigens nichts weiter heißt als "eine halbe Stunde nach Mitternacht" in Soldatensprache) tatsächlich zu einem eiskalten Thriller mit gewissem Ausgang gemacht.
Folter ist nur ein Puzzleteil
Auch Bigelow fängt mit den Türmen an. Allerdings bleibt die Leinwand schwarz. Die Stimmen Sterbender sind zu hören, eingeschlossen im brennenden World Trade Center. Aufnahmen von Anrufen, die bei der Polizei eingingen. Wenn es dann plötzlich still bleibt, stürzen die Türme in den Köpfen der Zuschauer. Die Arbeit am neuen Bild kann beginnen.
Das neue Bild ist das einer jungen CIA-Agentin: fragil, rothaarig und besessen von der Idee, Osama bin Laden zur Strecke zu bringen, "die Sache zu beenden", wie sie selbst einmal sagt. Der Zuschauer folgt Maya (beeindruckend: Jessica Chastain), die angeblich ein reales Vorbild hat, in ihren Jahren der Jagd: vom Computer in die Folterzelle und zurück. Von Pakistan nach Washington. Vom Schreibtisch ins Feldlager, in das die Navy Seals am Ende Osama bin Ladens Leiche bringen. Dabei ist die vieldiskutierte Folter übrigens nur ein Puzzleteil. Die entscheidende Spur zu bin Laden liefert sie im Film nicht.
Aber Bigelow scheint an der Wertung der eigenen Bilder sowieso nicht interessiert. Das überlässt sie Maya, deren Job es ist, Informationen in Bild, Ton und Text in sich hineinzufressen und auszuwerten, und dem Zuschauer. Der kann damit machen, was er will. Dass Bigelow eben darauf verzichtet, Bewertungshilfen an die Hand zu geben, macht diesen Film so stark. "Zero Dark Thirty" sei ein politischer Rorschach-Test, hat Drehbuchautor Mark Boal gesagt. Was der Zuschauer darin sieht, sagt etwas über ihn selbst aus, weniger über den Film.
Deshalb entschuldigen Sie am Ende diesen leichtfertigen Vergleich: Ich musste während des Abspanns von "Zero Dark Thirty" an den letzten Teil von "Der Herr der Ringe" denken. Weil "kein Mann ihn besiegen kann", zittern die Kämpfer Mittelerdes vor dem dunklen Reiter. Bis die junge Éowyn kommt - Frau nicht Mann - und dem Inbegriff des Bösen den Garaus macht. Auch in "Zero Dark Thirty" ist es "ein Mädchen", das die Personifikation des Bösen zur Strecke bringt. Insgesamt zwölf Jahre lang hat CIA-Agentin Maya Osama bin Laden gejagt, ihn gefunden und am Ende den Leichensack zugezogen. Was für ein Bild!